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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Die Reichsgründung
Dr. Karl Buchheim von

o schwer wie das Ringen um den Bestand des unseren Feinden
jetzt so verhaßten Reiches ist, daß wir uns mit Anspannung aller
Kraft nun schier einundzwanzig Monde durch Kanonengebrüll und
Blutdampf durchkämpfen müssen, so schwer war auch schon der
Bau selber. Mancher formenschöne Entwurf mußte zerrissen
werden, manche glühende Begeisterung in bitterer Enttäuschung enden, mancher
Tropfen Blut fließen, bis der geniale Baumeister über das Werk kam und uns
ein wohnlich wetterfestes Haus schuf, das kein Donner erschüttern und kein
Sturm zerstören kann. Alle die großen Männer, die am weiteren Ausbau des
Reiches gearbeitet, und alle die, die das Reichshaus jetzt haben schirmen helfen,
stehen auf den Schultern Bismarcks, der allein der Künstler ist, dessen Geist den
Boden zu schaffen verstand, in dem alle seitherige Größe wurzeln konnte.

Indessen gerade wir, die Kämpfer des Weltkrieges, haben uns doch in den
Schützengräben das Recht erstritten, Bismarck mit selbstbewußteren Augen an¬
zuschauen, als wir es vor dem August 1914 durften. Der Krieg hat Epoche
gemacht, mit ihm ist das Werk Bismarcks endgültig Geschichte geworden. Das
heißt, wenn man der Sache auf den Grund geht: das, was für Bismarcks Zeit
politische Wahrheit und Notwendigkeit war, das ist für uns nur noch historische
Wahrheit und Notwendigkeit. Seit Beginn der wirtschaftlichen und welt¬
politischen Entwicklung unseres Volkes im Zeitalter Wilhelms des Zweiten beginnt
Deutschland aus dem von Bismarck geschaffenen Rahmen hinauszuwachsen.
Nichts anderes als dieses Wachstum hat uns die Heimsuchung des Weltkrieges
eingebracht. Aber mit dem siegreichen Bestehen der Heimsuchung, das wir
zuversichtlich erwarten, haben wir uns auch das Recht erstritten, uns als Kinder
einer neuen Zeit zu fühlen, und zu sagen, daß Bismarcks Arbeit bei all ihrer
Riesengröße nunmehr als eine historische Leistung anzusehen ist. Der Zustand


Grenzboten II t916 7


Die Reichsgründung
Dr. Karl Buchheim von

o schwer wie das Ringen um den Bestand des unseren Feinden
jetzt so verhaßten Reiches ist, daß wir uns mit Anspannung aller
Kraft nun schier einundzwanzig Monde durch Kanonengebrüll und
Blutdampf durchkämpfen müssen, so schwer war auch schon der
Bau selber. Mancher formenschöne Entwurf mußte zerrissen
werden, manche glühende Begeisterung in bitterer Enttäuschung enden, mancher
Tropfen Blut fließen, bis der geniale Baumeister über das Werk kam und uns
ein wohnlich wetterfestes Haus schuf, das kein Donner erschüttern und kein
Sturm zerstören kann. Alle die großen Männer, die am weiteren Ausbau des
Reiches gearbeitet, und alle die, die das Reichshaus jetzt haben schirmen helfen,
stehen auf den Schultern Bismarcks, der allein der Künstler ist, dessen Geist den
Boden zu schaffen verstand, in dem alle seitherige Größe wurzeln konnte.

Indessen gerade wir, die Kämpfer des Weltkrieges, haben uns doch in den
Schützengräben das Recht erstritten, Bismarck mit selbstbewußteren Augen an¬
zuschauen, als wir es vor dem August 1914 durften. Der Krieg hat Epoche
gemacht, mit ihm ist das Werk Bismarcks endgültig Geschichte geworden. Das
heißt, wenn man der Sache auf den Grund geht: das, was für Bismarcks Zeit
politische Wahrheit und Notwendigkeit war, das ist für uns nur noch historische
Wahrheit und Notwendigkeit. Seit Beginn der wirtschaftlichen und welt¬
politischen Entwicklung unseres Volkes im Zeitalter Wilhelms des Zweiten beginnt
Deutschland aus dem von Bismarck geschaffenen Rahmen hinauszuwachsen.
Nichts anderes als dieses Wachstum hat uns die Heimsuchung des Weltkrieges
eingebracht. Aber mit dem siegreichen Bestehen der Heimsuchung, das wir
zuversichtlich erwarten, haben wir uns auch das Recht erstritten, uns als Kinder
einer neuen Zeit zu fühlen, und zu sagen, daß Bismarcks Arbeit bei all ihrer
Riesengröße nunmehr als eine historische Leistung anzusehen ist. Der Zustand


Grenzboten II t916 7
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[0109] [Abbildung] Die Reichsgründung Dr. Karl Buchheim von o schwer wie das Ringen um den Bestand des unseren Feinden jetzt so verhaßten Reiches ist, daß wir uns mit Anspannung aller Kraft nun schier einundzwanzig Monde durch Kanonengebrüll und Blutdampf durchkämpfen müssen, so schwer war auch schon der Bau selber. Mancher formenschöne Entwurf mußte zerrissen werden, manche glühende Begeisterung in bitterer Enttäuschung enden, mancher Tropfen Blut fließen, bis der geniale Baumeister über das Werk kam und uns ein wohnlich wetterfestes Haus schuf, das kein Donner erschüttern und kein Sturm zerstören kann. Alle die großen Männer, die am weiteren Ausbau des Reiches gearbeitet, und alle die, die das Reichshaus jetzt haben schirmen helfen, stehen auf den Schultern Bismarcks, der allein der Künstler ist, dessen Geist den Boden zu schaffen verstand, in dem alle seitherige Größe wurzeln konnte. Indessen gerade wir, die Kämpfer des Weltkrieges, haben uns doch in den Schützengräben das Recht erstritten, Bismarck mit selbstbewußteren Augen an¬ zuschauen, als wir es vor dem August 1914 durften. Der Krieg hat Epoche gemacht, mit ihm ist das Werk Bismarcks endgültig Geschichte geworden. Das heißt, wenn man der Sache auf den Grund geht: das, was für Bismarcks Zeit politische Wahrheit und Notwendigkeit war, das ist für uns nur noch historische Wahrheit und Notwendigkeit. Seit Beginn der wirtschaftlichen und welt¬ politischen Entwicklung unseres Volkes im Zeitalter Wilhelms des Zweiten beginnt Deutschland aus dem von Bismarck geschaffenen Rahmen hinauszuwachsen. Nichts anderes als dieses Wachstum hat uns die Heimsuchung des Weltkrieges eingebracht. Aber mit dem siegreichen Bestehen der Heimsuchung, das wir zuversichtlich erwarten, haben wir uns auch das Recht erstritten, uns als Kinder einer neuen Zeit zu fühlen, und zu sagen, daß Bismarcks Arbeit bei all ihrer Riesengröße nunmehr als eine historische Leistung anzusehen ist. Der Zustand Grenzboten II t916 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/109>, abgerufen am 22.12.2024.