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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Dichterische und unterhaltende Erzählungskunst

schnoddrigen Humor in der Menschenbeobachtung für die übrige Schablone der
Erfindung einigermaßen entschädigt. Von ihr ist auch Ganghofer in seinem
neuem Roman "Die Trutze von Trutzberg" (G. Grote, Berlin), einer Ritter¬
geschichte aus dem fünfzehnten Jahrhundert, nicht ganz frei zu sprechen. Aber
wie ist hier doch letzten Endes die Kunst der Erzählung ausgereift, nichts ist so
hingehauen wie bei Presber, und wie spricht hier doch eine grundgütige, liebens¬
würdige Persönlichkeit aus dem Erzählten. Wirklich wertvoll ist der Roman
vollends durch seinen köstlichen Humor in der Schilderung der alten Ritterwelt,
einen Humor voll so herzenswarmen Schalks, wie man ihm sehr selten in
deutscher Literatur begegnet; man kann sich deshalb über den Erfolg des
Romans, der unseren ernsten Zeiten daheim und im Felde echte Heiterkeit
schenkt, nur freuen.

Eine etwas reichlichere Portion dieses Ganghoferschen Humors wünschen
wir Viktor Fleischer, dessen "Wirt vom Berg" (Fr. W. Grunow. Leipzig)
eine gute Erzählungskunst offenbart. Wird Fleischer noch etwas kräftiger, so
werden wir bedeutende Bücher von ihm erhalten. Er ist originell in der Er¬
findung, sachlich in der Ausführung, vornehm im Geschmack -- es fehlen nur
noch die blutvollen Farben und die Fesselung wäre größer; gerade Fleischers
gepflegter Art wünschen wir Erfolg. Denn Sorgsamkeit müssen wir vom
Schriftsteller wie Dichter verlangen, sonst überfällt man uns wieder mit Marlitt-
und Heimburg-"poesien" nach der Art von Fritz Gantzers "Altem Klang" und
"Rosenhaus" (ebenda) oder von Christiane Ratzels "Maria Dolores" (ebenda).
All diese nur für die anspruchsloseste Augenblicksunterhaltung bestimmten Bücher,
unter denen W. Poecks Geschichten "Das verhängnisvolle Honorar" (ebenda)
noch wenigstens lustig-vergnügt sind, blieben besser der Buchform fern, nur dem
Zeitungsfeuilleton vorbehalten. Denn sonst ertöten ihre verbrauchten Klischees
und abgeklapperten Stoffe noch vollends den letzten Rest Geschmack, den jene
Kreise noch haben, die zu solchen Büchern greifen.

Der Gefahr, dieser Unterhaltungsart zu verfallen, entgeht hoffentlich die
überaus begabte, seit kurzem so erfolgreiche TheavonHarbou, die bei
anhaltendem künstlerischen Streben einmal Wertvollstes leisten wird. Ihre
neuen Novellen "Masken des Todes" (Cotta, Stuttgart) bestärken unsere Hoff¬
nungen erfreulich. Diese Geschichten des Grauens, die das Thema des Todes¬
moments nach jeder Richtung hur variieren, stützen sich zwar noch auf die
hergebrachte Pointenschablone, sind aber in Erfindung und Ausführung doch
schon zumeist so neu und selbständig, daß man sich dem Erzählten willig hin¬
gibt. Es ist freilich noch mehr Erschütterung durch das vorgetragene Geschehen
und Erleben, durch den Stoff, es bleibt noch jener feinere Kunstgenuß aus,
der von Werken vermittelt wird, die mit wirklich gepflegter Kultur und Gestaltungs¬
kraft geschaffen sind.

Etwa wie Anselma Heines Novellen: "Fern von Paris" (Fleischel
u. Co., Berlin) oder wie Georg Hermanns Roman "Heinrich Schön jr."


Dichterische und unterhaltende Erzählungskunst

schnoddrigen Humor in der Menschenbeobachtung für die übrige Schablone der
Erfindung einigermaßen entschädigt. Von ihr ist auch Ganghofer in seinem
neuem Roman „Die Trutze von Trutzberg" (G. Grote, Berlin), einer Ritter¬
geschichte aus dem fünfzehnten Jahrhundert, nicht ganz frei zu sprechen. Aber
wie ist hier doch letzten Endes die Kunst der Erzählung ausgereift, nichts ist so
hingehauen wie bei Presber, und wie spricht hier doch eine grundgütige, liebens¬
würdige Persönlichkeit aus dem Erzählten. Wirklich wertvoll ist der Roman
vollends durch seinen köstlichen Humor in der Schilderung der alten Ritterwelt,
einen Humor voll so herzenswarmen Schalks, wie man ihm sehr selten in
deutscher Literatur begegnet; man kann sich deshalb über den Erfolg des
Romans, der unseren ernsten Zeiten daheim und im Felde echte Heiterkeit
schenkt, nur freuen.

Eine etwas reichlichere Portion dieses Ganghoferschen Humors wünschen
wir Viktor Fleischer, dessen „Wirt vom Berg" (Fr. W. Grunow. Leipzig)
eine gute Erzählungskunst offenbart. Wird Fleischer noch etwas kräftiger, so
werden wir bedeutende Bücher von ihm erhalten. Er ist originell in der Er¬
findung, sachlich in der Ausführung, vornehm im Geschmack — es fehlen nur
noch die blutvollen Farben und die Fesselung wäre größer; gerade Fleischers
gepflegter Art wünschen wir Erfolg. Denn Sorgsamkeit müssen wir vom
Schriftsteller wie Dichter verlangen, sonst überfällt man uns wieder mit Marlitt-
und Heimburg-„poesien" nach der Art von Fritz Gantzers „Altem Klang" und
„Rosenhaus" (ebenda) oder von Christiane Ratzels „Maria Dolores" (ebenda).
All diese nur für die anspruchsloseste Augenblicksunterhaltung bestimmten Bücher,
unter denen W. Poecks Geschichten „Das verhängnisvolle Honorar" (ebenda)
noch wenigstens lustig-vergnügt sind, blieben besser der Buchform fern, nur dem
Zeitungsfeuilleton vorbehalten. Denn sonst ertöten ihre verbrauchten Klischees
und abgeklapperten Stoffe noch vollends den letzten Rest Geschmack, den jene
Kreise noch haben, die zu solchen Büchern greifen.

Der Gefahr, dieser Unterhaltungsart zu verfallen, entgeht hoffentlich die
überaus begabte, seit kurzem so erfolgreiche TheavonHarbou, die bei
anhaltendem künstlerischen Streben einmal Wertvollstes leisten wird. Ihre
neuen Novellen „Masken des Todes" (Cotta, Stuttgart) bestärken unsere Hoff¬
nungen erfreulich. Diese Geschichten des Grauens, die das Thema des Todes¬
moments nach jeder Richtung hur variieren, stützen sich zwar noch auf die
hergebrachte Pointenschablone, sind aber in Erfindung und Ausführung doch
schon zumeist so neu und selbständig, daß man sich dem Erzählten willig hin¬
gibt. Es ist freilich noch mehr Erschütterung durch das vorgetragene Geschehen
und Erleben, durch den Stoff, es bleibt noch jener feinere Kunstgenuß aus,
der von Werken vermittelt wird, die mit wirklich gepflegter Kultur und Gestaltungs¬
kraft geschaffen sind.

Etwa wie Anselma Heines Novellen: „Fern von Paris" (Fleischel
u. Co., Berlin) oder wie Georg Hermanns Roman „Heinrich Schön jr."


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[0107] Dichterische und unterhaltende Erzählungskunst schnoddrigen Humor in der Menschenbeobachtung für die übrige Schablone der Erfindung einigermaßen entschädigt. Von ihr ist auch Ganghofer in seinem neuem Roman „Die Trutze von Trutzberg" (G. Grote, Berlin), einer Ritter¬ geschichte aus dem fünfzehnten Jahrhundert, nicht ganz frei zu sprechen. Aber wie ist hier doch letzten Endes die Kunst der Erzählung ausgereift, nichts ist so hingehauen wie bei Presber, und wie spricht hier doch eine grundgütige, liebens¬ würdige Persönlichkeit aus dem Erzählten. Wirklich wertvoll ist der Roman vollends durch seinen köstlichen Humor in der Schilderung der alten Ritterwelt, einen Humor voll so herzenswarmen Schalks, wie man ihm sehr selten in deutscher Literatur begegnet; man kann sich deshalb über den Erfolg des Romans, der unseren ernsten Zeiten daheim und im Felde echte Heiterkeit schenkt, nur freuen. Eine etwas reichlichere Portion dieses Ganghoferschen Humors wünschen wir Viktor Fleischer, dessen „Wirt vom Berg" (Fr. W. Grunow. Leipzig) eine gute Erzählungskunst offenbart. Wird Fleischer noch etwas kräftiger, so werden wir bedeutende Bücher von ihm erhalten. Er ist originell in der Er¬ findung, sachlich in der Ausführung, vornehm im Geschmack — es fehlen nur noch die blutvollen Farben und die Fesselung wäre größer; gerade Fleischers gepflegter Art wünschen wir Erfolg. Denn Sorgsamkeit müssen wir vom Schriftsteller wie Dichter verlangen, sonst überfällt man uns wieder mit Marlitt- und Heimburg-„poesien" nach der Art von Fritz Gantzers „Altem Klang" und „Rosenhaus" (ebenda) oder von Christiane Ratzels „Maria Dolores" (ebenda). All diese nur für die anspruchsloseste Augenblicksunterhaltung bestimmten Bücher, unter denen W. Poecks Geschichten „Das verhängnisvolle Honorar" (ebenda) noch wenigstens lustig-vergnügt sind, blieben besser der Buchform fern, nur dem Zeitungsfeuilleton vorbehalten. Denn sonst ertöten ihre verbrauchten Klischees und abgeklapperten Stoffe noch vollends den letzten Rest Geschmack, den jene Kreise noch haben, die zu solchen Büchern greifen. Der Gefahr, dieser Unterhaltungsart zu verfallen, entgeht hoffentlich die überaus begabte, seit kurzem so erfolgreiche TheavonHarbou, die bei anhaltendem künstlerischen Streben einmal Wertvollstes leisten wird. Ihre neuen Novellen „Masken des Todes" (Cotta, Stuttgart) bestärken unsere Hoff¬ nungen erfreulich. Diese Geschichten des Grauens, die das Thema des Todes¬ moments nach jeder Richtung hur variieren, stützen sich zwar noch auf die hergebrachte Pointenschablone, sind aber in Erfindung und Ausführung doch schon zumeist so neu und selbständig, daß man sich dem Erzählten willig hin¬ gibt. Es ist freilich noch mehr Erschütterung durch das vorgetragene Geschehen und Erleben, durch den Stoff, es bleibt noch jener feinere Kunstgenuß aus, der von Werken vermittelt wird, die mit wirklich gepflegter Kultur und Gestaltungs¬ kraft geschaffen sind. Etwa wie Anselma Heines Novellen: „Fern von Paris" (Fleischel u. Co., Berlin) oder wie Georg Hermanns Roman „Heinrich Schön jr."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/107>, abgerufen am 23.12.2024.