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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Dichterische und unterhaltende Grzählnngskunst

breit-soziale Art. wie ein Bild der feinsten Gesellschaftskultur abhebt. Dabei ist
sie aber voll tiefster Innerlichkeit, stets ergriffen vom seelischen Schicksal. So
erlebt sie auch den Krieg in ihrem neuen Buch. Ein wundersames, tief ge¬
sehenes Motiv: der Gegensatz zwischen dem Egoismus der Liebe, die nur dem
Ich und dem Du gehört, und der Hingabe des Kriegers an die Allgemeinheit.
Man muß die Novelle "Der Ring des Lebendigen" (G. Westermann, Braun-
schweig) lesen, um zu erkennen, mit welchem Takte dies Motiv zu lebensvoller
Schönheit und zu einer großen Idee in einem Einzelschicksal ausgestaltet ist.
Wohl selten ist eine Kriegsnovelle so frei von aller Effekthascherei zu einer
geistigen Tat emporgewachsen, die vielen Deutschen heute etwas bedeuten wird.

Äußerlich an den Krieg anknüpfende Werke erhalten wir ja täglich in er¬
schreckender Unzahl. Aber sie sind uns leider zumeist nichts als eine andere Art der
Unterhaltung. Selbst wenn Streben nach Tiefe wie bei Eilhard Erich Pauls
"Der Hüter Israels" (Hamburg, G. Schloßmann) spürbar ist -- es wird freilich
wieder zerstört durch die konventionelle Art der Grundanschauungen bei Pauls oder
der Form bei Rudolf Greinz, der in seinen neuen Tiroler Dorfgeschichten "Die
kleine Welt" (Staackmann. Leipzig) die allbekannten Ausschnitte aus dem Tiroler
Bauernleben gibt, teilweise mit Einbeziehung des Krieges; man liest sie gerne
wegen ihrer gesunden Kraft und Natürlichkeit, zu gutem Zeitvertreib oder um
einer netten Stimmung willen. Darüber geht auch Karl Linzen mit seinen lose
geknüpften Erzählungen "Aus Krieg und Frieden" (Kempten, Jos. Kösel) nicht
hinaus: gut wiedergegebene Stimmungen, Erinnerungen, Liebesschicksale und ein
paar Kriegserlebnisse, insgesamt von einem romantisch-verträumten Gemüt ge¬
sehen, aber doch im Grunde genommen leicht oberflächlich, nicht emporquellend
aus erlebten Seelentiefen, nicht fördernd im großen Sinne.

Dies Ziel muß man Joseph von Laufs, dem jetzt Sechzigjährtgen, doch
immer zugestehen. Sein neuer Roman "Anne-Susanne" (G. Grote, Berlin),
der die Liebesgeschicke in einer niederrheinischen Tuchmachersfamilie voll hin¬
reißender Leidenschaft erzählt, hat wieder jenen Zug ins Große, ins Schicksal¬
hafte. Landschaft, Menschen. Geschehnisse und Erlebnisse erscheinen hier, von
starker Phantasie beleuchtet und kraftvoller Bildhauerfaust plastisch geformt, wieder
als elementare Naturgewalten, die mit erschütternder Dramatik die Einheit der
Liebeskraft im Menschen offenbaren. Laufs schafft auf Grund einer instinkt¬
sicheren Mannheit und Männlichkeit, er verniedlicht nichts, eher brutalisiert er;
das mag manches zarte Gemüt abstoßen, aber letzten Endes ruft er doch Be¬
wunderung hervor, weil Ehrlichkeit und Sachlichkeit dahinterstehen. Die Probe
darauf ist leicht zu machen, wenn man einmal seine Schilderungskunst im ein¬
zelnen nachprüft.

Dieser leidenschaftlichen Art gegenüber versagt ein Rudolf Presber so gut
wie völlig. Zumal in einem so schwachen Buche wie dem "Der Rubin der
Herzogin" (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt), einer ganz sorglos hingeworfenen
Vergnügungsdampfergeschichte herkömmlichen Stils, die vielleicht nur durch den


Dichterische und unterhaltende Grzählnngskunst

breit-soziale Art. wie ein Bild der feinsten Gesellschaftskultur abhebt. Dabei ist
sie aber voll tiefster Innerlichkeit, stets ergriffen vom seelischen Schicksal. So
erlebt sie auch den Krieg in ihrem neuen Buch. Ein wundersames, tief ge¬
sehenes Motiv: der Gegensatz zwischen dem Egoismus der Liebe, die nur dem
Ich und dem Du gehört, und der Hingabe des Kriegers an die Allgemeinheit.
Man muß die Novelle „Der Ring des Lebendigen" (G. Westermann, Braun-
schweig) lesen, um zu erkennen, mit welchem Takte dies Motiv zu lebensvoller
Schönheit und zu einer großen Idee in einem Einzelschicksal ausgestaltet ist.
Wohl selten ist eine Kriegsnovelle so frei von aller Effekthascherei zu einer
geistigen Tat emporgewachsen, die vielen Deutschen heute etwas bedeuten wird.

Äußerlich an den Krieg anknüpfende Werke erhalten wir ja täglich in er¬
schreckender Unzahl. Aber sie sind uns leider zumeist nichts als eine andere Art der
Unterhaltung. Selbst wenn Streben nach Tiefe wie bei Eilhard Erich Pauls
„Der Hüter Israels" (Hamburg, G. Schloßmann) spürbar ist — es wird freilich
wieder zerstört durch die konventionelle Art der Grundanschauungen bei Pauls oder
der Form bei Rudolf Greinz, der in seinen neuen Tiroler Dorfgeschichten „Die
kleine Welt" (Staackmann. Leipzig) die allbekannten Ausschnitte aus dem Tiroler
Bauernleben gibt, teilweise mit Einbeziehung des Krieges; man liest sie gerne
wegen ihrer gesunden Kraft und Natürlichkeit, zu gutem Zeitvertreib oder um
einer netten Stimmung willen. Darüber geht auch Karl Linzen mit seinen lose
geknüpften Erzählungen „Aus Krieg und Frieden" (Kempten, Jos. Kösel) nicht
hinaus: gut wiedergegebene Stimmungen, Erinnerungen, Liebesschicksale und ein
paar Kriegserlebnisse, insgesamt von einem romantisch-verträumten Gemüt ge¬
sehen, aber doch im Grunde genommen leicht oberflächlich, nicht emporquellend
aus erlebten Seelentiefen, nicht fördernd im großen Sinne.

Dies Ziel muß man Joseph von Laufs, dem jetzt Sechzigjährtgen, doch
immer zugestehen. Sein neuer Roman „Anne-Susanne" (G. Grote, Berlin),
der die Liebesgeschicke in einer niederrheinischen Tuchmachersfamilie voll hin¬
reißender Leidenschaft erzählt, hat wieder jenen Zug ins Große, ins Schicksal¬
hafte. Landschaft, Menschen. Geschehnisse und Erlebnisse erscheinen hier, von
starker Phantasie beleuchtet und kraftvoller Bildhauerfaust plastisch geformt, wieder
als elementare Naturgewalten, die mit erschütternder Dramatik die Einheit der
Liebeskraft im Menschen offenbaren. Laufs schafft auf Grund einer instinkt¬
sicheren Mannheit und Männlichkeit, er verniedlicht nichts, eher brutalisiert er;
das mag manches zarte Gemüt abstoßen, aber letzten Endes ruft er doch Be¬
wunderung hervor, weil Ehrlichkeit und Sachlichkeit dahinterstehen. Die Probe
darauf ist leicht zu machen, wenn man einmal seine Schilderungskunst im ein¬
zelnen nachprüft.

Dieser leidenschaftlichen Art gegenüber versagt ein Rudolf Presber so gut
wie völlig. Zumal in einem so schwachen Buche wie dem „Der Rubin der
Herzogin" (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt), einer ganz sorglos hingeworfenen
Vergnügungsdampfergeschichte herkömmlichen Stils, die vielleicht nur durch den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/106>, abgerufen am 23.12.2024.