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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland

Süddeutschland zu machen, wird erst eine spätere Geschichtsschreibung feststellen
können. In der Schweiz war jedenfalls diese Besorgnis weit verbreitet. Von
Schweizer Soldaten, die an der Grenze im Jura standen, ist mir er¬
zählt worden, daß sie darauf gefaßt waren, binnen wenigen Stunden in die
Schlacht einzugreifen. Dasselbe erzählt der Schweizer Arnold von Salis, "Die
Neutralität der Schweiz", Leipzig, S. Hirzel, 1915 Seite 38. Der Aufmarsch
der französischen Armee an der Westgrenze der Schweiz war bedrohlich, "und
mit der Möglichkeit eines Versuchs, die Jurapässe zu forcieren, um dem
deutschen Heer in die Flanke oder in den Rücken zu fallen, war zweifellos zu
rechnen. In der sicheren Erwartung, kämpfen zu müssen, und mit einer Be¬
geisterung, welche derjenigen der deutschen Heere kaum nachstand, zogen die
Schweizer Soldaten an die Grenze." Ob etwa Frankreich durch den Vorstoß
der deutschen Armee nach Belgien hinein seine Absicht, durch die Schweiz durch¬
zubrechen aufgegeben hat oder diesen Plan nicht ernstlich gehabt hat, kann
heute noch nicht festgestellt werden. Jedenfalls leistet die Schweiz den krieg¬
führenden Parteien den Dienst, daß ihre Front wesentlich verkürzt wird und
daß ihre beiderseitigen Flanken gedeckt werden. Freilich kommt ihr dabei die
gebirgige Lage des Landes zugute^ die im Verein mit einer gut ausge¬
bildeten Truppe die Verteidigung des Landes sehr erleichtert.

^ Von dem Weltkrieg hat die Schweiz nur Lasten zu tragen, und zwar
schwere. Wenn auch die männliche Bevölkerung nicht auf den Schlachtfeldern
bluten muß, so macht sich doch die Einberufung der Dienstfähigen in den ver¬
schiedenen Berufen störend bemerkbar. Die Kosten der Unterhaltung des stehen¬
den Heeres betragen bereits 200 Millionen Franken, eine Summe, die das
nicht reiche Land nur schwer aufzubringen vermag. Dabei hat die Schweiz
nicht die geringste Aussicht, irgend etwas durch den Weltkrieg zu gewinnen.
Begreiflich genug, daß die Volksstimmung sich in einem Schimpfen über den
Weltkrieg und seine Anstifter Luft macht. Ja man kann den Wunsch aus¬
gesprochen hören, alle Kriegführenden möchten sich blutige Köpfe holen und
nichts beim Kriege herauskommen, so daß allen die Lust vergehe, noch einmal
die Ruhe der neutralen Welt zu stören. Viel politische Weisheit zeigt sich in
solchen Worten nicht, aber sie kennzeichnen die Stimmung des Individualisten,
der ungestört bleiben will.

Ungeheuer leidet die Schweiz unter dem Weltkrieg. Die Hotelindustrie,
die in der Sommer- und Wintersaison, besonders aus Deutschland, England,
zum Teil auch aus Amerika einen Goldstrom in das Land hineinzieht, muß
auf die fremden Besucher beinahe ganz verzichten. Gerade die großen Luxus¬
hotels haben in der Sommersaison teilweise ihre Pforten geschlossen gehalten
und werden nun schon den Ausfall der zweiten Wintersaison zu erfahren haben.
Ohne nachhaltige Hilfe der Bankkonsortien geraten sie in Konkurs. Zugleich
ist das Heer der Hotelangestellten mit einem Schlage brotlos geworden.

In ebenso schwerer Lage befindet sich die Volkswirtschaft. Die Schweiz


Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland

Süddeutschland zu machen, wird erst eine spätere Geschichtsschreibung feststellen
können. In der Schweiz war jedenfalls diese Besorgnis weit verbreitet. Von
Schweizer Soldaten, die an der Grenze im Jura standen, ist mir er¬
zählt worden, daß sie darauf gefaßt waren, binnen wenigen Stunden in die
Schlacht einzugreifen. Dasselbe erzählt der Schweizer Arnold von Salis, „Die
Neutralität der Schweiz", Leipzig, S. Hirzel, 1915 Seite 38. Der Aufmarsch
der französischen Armee an der Westgrenze der Schweiz war bedrohlich, „und
mit der Möglichkeit eines Versuchs, die Jurapässe zu forcieren, um dem
deutschen Heer in die Flanke oder in den Rücken zu fallen, war zweifellos zu
rechnen. In der sicheren Erwartung, kämpfen zu müssen, und mit einer Be¬
geisterung, welche derjenigen der deutschen Heere kaum nachstand, zogen die
Schweizer Soldaten an die Grenze." Ob etwa Frankreich durch den Vorstoß
der deutschen Armee nach Belgien hinein seine Absicht, durch die Schweiz durch¬
zubrechen aufgegeben hat oder diesen Plan nicht ernstlich gehabt hat, kann
heute noch nicht festgestellt werden. Jedenfalls leistet die Schweiz den krieg¬
führenden Parteien den Dienst, daß ihre Front wesentlich verkürzt wird und
daß ihre beiderseitigen Flanken gedeckt werden. Freilich kommt ihr dabei die
gebirgige Lage des Landes zugute^ die im Verein mit einer gut ausge¬
bildeten Truppe die Verteidigung des Landes sehr erleichtert.

^ Von dem Weltkrieg hat die Schweiz nur Lasten zu tragen, und zwar
schwere. Wenn auch die männliche Bevölkerung nicht auf den Schlachtfeldern
bluten muß, so macht sich doch die Einberufung der Dienstfähigen in den ver¬
schiedenen Berufen störend bemerkbar. Die Kosten der Unterhaltung des stehen¬
den Heeres betragen bereits 200 Millionen Franken, eine Summe, die das
nicht reiche Land nur schwer aufzubringen vermag. Dabei hat die Schweiz
nicht die geringste Aussicht, irgend etwas durch den Weltkrieg zu gewinnen.
Begreiflich genug, daß die Volksstimmung sich in einem Schimpfen über den
Weltkrieg und seine Anstifter Luft macht. Ja man kann den Wunsch aus¬
gesprochen hören, alle Kriegführenden möchten sich blutige Köpfe holen und
nichts beim Kriege herauskommen, so daß allen die Lust vergehe, noch einmal
die Ruhe der neutralen Welt zu stören. Viel politische Weisheit zeigt sich in
solchen Worten nicht, aber sie kennzeichnen die Stimmung des Individualisten,
der ungestört bleiben will.

Ungeheuer leidet die Schweiz unter dem Weltkrieg. Die Hotelindustrie,
die in der Sommer- und Wintersaison, besonders aus Deutschland, England,
zum Teil auch aus Amerika einen Goldstrom in das Land hineinzieht, muß
auf die fremden Besucher beinahe ganz verzichten. Gerade die großen Luxus¬
hotels haben in der Sommersaison teilweise ihre Pforten geschlossen gehalten
und werden nun schon den Ausfall der zweiten Wintersaison zu erfahren haben.
Ohne nachhaltige Hilfe der Bankkonsortien geraten sie in Konkurs. Zugleich
ist das Heer der Hotelangestellten mit einem Schlage brotlos geworden.

In ebenso schwerer Lage befindet sich die Volkswirtschaft. Die Schweiz


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[0099] Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland Süddeutschland zu machen, wird erst eine spätere Geschichtsschreibung feststellen können. In der Schweiz war jedenfalls diese Besorgnis weit verbreitet. Von Schweizer Soldaten, die an der Grenze im Jura standen, ist mir er¬ zählt worden, daß sie darauf gefaßt waren, binnen wenigen Stunden in die Schlacht einzugreifen. Dasselbe erzählt der Schweizer Arnold von Salis, „Die Neutralität der Schweiz", Leipzig, S. Hirzel, 1915 Seite 38. Der Aufmarsch der französischen Armee an der Westgrenze der Schweiz war bedrohlich, „und mit der Möglichkeit eines Versuchs, die Jurapässe zu forcieren, um dem deutschen Heer in die Flanke oder in den Rücken zu fallen, war zweifellos zu rechnen. In der sicheren Erwartung, kämpfen zu müssen, und mit einer Be¬ geisterung, welche derjenigen der deutschen Heere kaum nachstand, zogen die Schweizer Soldaten an die Grenze." Ob etwa Frankreich durch den Vorstoß der deutschen Armee nach Belgien hinein seine Absicht, durch die Schweiz durch¬ zubrechen aufgegeben hat oder diesen Plan nicht ernstlich gehabt hat, kann heute noch nicht festgestellt werden. Jedenfalls leistet die Schweiz den krieg¬ führenden Parteien den Dienst, daß ihre Front wesentlich verkürzt wird und daß ihre beiderseitigen Flanken gedeckt werden. Freilich kommt ihr dabei die gebirgige Lage des Landes zugute^ die im Verein mit einer gut ausge¬ bildeten Truppe die Verteidigung des Landes sehr erleichtert. ^ Von dem Weltkrieg hat die Schweiz nur Lasten zu tragen, und zwar schwere. Wenn auch die männliche Bevölkerung nicht auf den Schlachtfeldern bluten muß, so macht sich doch die Einberufung der Dienstfähigen in den ver¬ schiedenen Berufen störend bemerkbar. Die Kosten der Unterhaltung des stehen¬ den Heeres betragen bereits 200 Millionen Franken, eine Summe, die das nicht reiche Land nur schwer aufzubringen vermag. Dabei hat die Schweiz nicht die geringste Aussicht, irgend etwas durch den Weltkrieg zu gewinnen. Begreiflich genug, daß die Volksstimmung sich in einem Schimpfen über den Weltkrieg und seine Anstifter Luft macht. Ja man kann den Wunsch aus¬ gesprochen hören, alle Kriegführenden möchten sich blutige Köpfe holen und nichts beim Kriege herauskommen, so daß allen die Lust vergehe, noch einmal die Ruhe der neutralen Welt zu stören. Viel politische Weisheit zeigt sich in solchen Worten nicht, aber sie kennzeichnen die Stimmung des Individualisten, der ungestört bleiben will. Ungeheuer leidet die Schweiz unter dem Weltkrieg. Die Hotelindustrie, die in der Sommer- und Wintersaison, besonders aus Deutschland, England, zum Teil auch aus Amerika einen Goldstrom in das Land hineinzieht, muß auf die fremden Besucher beinahe ganz verzichten. Gerade die großen Luxus¬ hotels haben in der Sommersaison teilweise ihre Pforten geschlossen gehalten und werden nun schon den Ausfall der zweiten Wintersaison zu erfahren haben. Ohne nachhaltige Hilfe der Bankkonsortien geraten sie in Konkurs. Zugleich ist das Heer der Hotelangestellten mit einem Schlage brotlos geworden. In ebenso schwerer Lage befindet sich die Volkswirtschaft. Die Schweiz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/99>, abgerufen am 15.01.2025.