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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Nationalkirchliche Phantasien eines Engländers

Ratschläge mancher fanatisterter Kleriker trieben? Belgien ist das mit Klöstern
und Ordensleuten am meisten gesegnete Land, die Jesuiten sind einflußreich
und in ihrer Bollandistenschule wissenschaftlichen Arbeiten zugekehrt, die nur
wiederum im Anschluß an Rom ihren guten Sinn behalten. Man frage sich,
ob nicht auch in Belgien eine Lösung vom Zentrum der römisch-katholischen
Kirche in sich selbst utopisch ist, nicht zuletzt ein Bruch mit der ganzen Ver¬
gangenheit des belgischen Volkes, dessen Erinnerungen im Kampfe für Rom
gegen den Protestantismus gipfeln. -- Auch an die englischen Katholiken scheint
Sheridan zu denken, wenngleich er ihre Mitwirkung nur verschämt andeutet,
"ähnlich wie seine Landsleute im Kampfe der Waffen die farbigen Engländer
und ihre Bundesgenossen vorzuschicken lieben, sofern sie nicht neutrale Völker
in ihren Dienst zu pressen trachten, wie sie es einst mit den Matrosen ihrer
Flotte taten. >Jo popsry war einst die Losung Englands im Zeitalter der
Restauration; in anderem Sinne wird sie jetzt von Sheridan erneut. Gewiß,
es ist bekannt, daß auf der britischen Insel heute ein ziemlich starker Zug zum
Katholizismus besteht, daß die Verfassung der englischen Kirche mit ihren
Bischöfen, daß ihre Liturgie mit ihren prunkvollen Gottesdiensten sich den römisch¬
katholischen Ordnungen nähern, -- wird es möglich sein, diese Neigungen und
diese Ähnlichkeiten in ihr Gegenteil zu verkehren, weil Sheridan es für nötig
hält? Wie sollen sich die Katholiken in den englischen Kolonien verhalten?
Sollen sie und ihre Glaubensgenossen in England in einer romfreien, vom
Staate geleiteten Nationalkirche sich zusammenfinden? Der kühne Ratgeber
schweigt -- und sagt damit alles.

Am eigentümlichsten bleibt die Reihe der Sätze, in denen der englische
Kirchenpolitiker, wenn anders diese Bezeichnung überhaupt auf Sheridan an¬
gewandt werden darf, von den Maßnahmen berichtet, die das ihm vorschwebende
Ziel herbeiführen könnten. Zunächst: wer soll das vatikanische Konzil ver¬
werfen, um damit dem Papste Abbruch zu tun? Die einzelnen Gläubigen in
Belgien, Frankreich und England? Nach katholischer Auffassung ist die Kirche
sichtbarlich in ihren Bischöfen und Geistlichen verkörpert, hat sie also die Laien
durch die KierarLNia, oräinis zu heiligen, zu leiten und zu belehren; sie kennt
kein allgemeines Priestertum ihrer Gläubigen und kann darum auch kein Plebiszit
unter den katholischen Bewohnern eines Landes über die Frage zulassen, ob sie
fortan romfrei oder romtreu sein wollen. Sollen die Bischöfe und Geistlichen
das Vaticanum verwerfen? Die Geschichte kennt episkopalistische Neigungen
unter dem Klerus mehr als eines Landes, ihre Tendenz aber befehdete nicht
den Glauben, der das Wesen der Kirche ausmacht, sondern die Verteilung
kirchlicher Macht, demnach Schöpfungen des Kirchenrechts. Angenommen ein¬
mal, die katholischen Bischöfe und Geistlichen insgesamt in Frankreich, Belgien
und England kündigten die Unterwerfung unter das vatikanische Konzil: würden
sie dann Katholiken bleiben können? Würden sie nicht ip8v kaeto aus der
Glaubensgemeinschaft mit Rom und den übrigen Katholiken ausscheiden? Kein


Nationalkirchliche Phantasien eines Engländers

Ratschläge mancher fanatisterter Kleriker trieben? Belgien ist das mit Klöstern
und Ordensleuten am meisten gesegnete Land, die Jesuiten sind einflußreich
und in ihrer Bollandistenschule wissenschaftlichen Arbeiten zugekehrt, die nur
wiederum im Anschluß an Rom ihren guten Sinn behalten. Man frage sich,
ob nicht auch in Belgien eine Lösung vom Zentrum der römisch-katholischen
Kirche in sich selbst utopisch ist, nicht zuletzt ein Bruch mit der ganzen Ver¬
gangenheit des belgischen Volkes, dessen Erinnerungen im Kampfe für Rom
gegen den Protestantismus gipfeln. — Auch an die englischen Katholiken scheint
Sheridan zu denken, wenngleich er ihre Mitwirkung nur verschämt andeutet,
"ähnlich wie seine Landsleute im Kampfe der Waffen die farbigen Engländer
und ihre Bundesgenossen vorzuschicken lieben, sofern sie nicht neutrale Völker
in ihren Dienst zu pressen trachten, wie sie es einst mit den Matrosen ihrer
Flotte taten. >Jo popsry war einst die Losung Englands im Zeitalter der
Restauration; in anderem Sinne wird sie jetzt von Sheridan erneut. Gewiß,
es ist bekannt, daß auf der britischen Insel heute ein ziemlich starker Zug zum
Katholizismus besteht, daß die Verfassung der englischen Kirche mit ihren
Bischöfen, daß ihre Liturgie mit ihren prunkvollen Gottesdiensten sich den römisch¬
katholischen Ordnungen nähern, — wird es möglich sein, diese Neigungen und
diese Ähnlichkeiten in ihr Gegenteil zu verkehren, weil Sheridan es für nötig
hält? Wie sollen sich die Katholiken in den englischen Kolonien verhalten?
Sollen sie und ihre Glaubensgenossen in England in einer romfreien, vom
Staate geleiteten Nationalkirche sich zusammenfinden? Der kühne Ratgeber
schweigt — und sagt damit alles.

Am eigentümlichsten bleibt die Reihe der Sätze, in denen der englische
Kirchenpolitiker, wenn anders diese Bezeichnung überhaupt auf Sheridan an¬
gewandt werden darf, von den Maßnahmen berichtet, die das ihm vorschwebende
Ziel herbeiführen könnten. Zunächst: wer soll das vatikanische Konzil ver¬
werfen, um damit dem Papste Abbruch zu tun? Die einzelnen Gläubigen in
Belgien, Frankreich und England? Nach katholischer Auffassung ist die Kirche
sichtbarlich in ihren Bischöfen und Geistlichen verkörpert, hat sie also die Laien
durch die KierarLNia, oräinis zu heiligen, zu leiten und zu belehren; sie kennt
kein allgemeines Priestertum ihrer Gläubigen und kann darum auch kein Plebiszit
unter den katholischen Bewohnern eines Landes über die Frage zulassen, ob sie
fortan romfrei oder romtreu sein wollen. Sollen die Bischöfe und Geistlichen
das Vaticanum verwerfen? Die Geschichte kennt episkopalistische Neigungen
unter dem Klerus mehr als eines Landes, ihre Tendenz aber befehdete nicht
den Glauben, der das Wesen der Kirche ausmacht, sondern die Verteilung
kirchlicher Macht, demnach Schöpfungen des Kirchenrechts. Angenommen ein¬
mal, die katholischen Bischöfe und Geistlichen insgesamt in Frankreich, Belgien
und England kündigten die Unterwerfung unter das vatikanische Konzil: würden
sie dann Katholiken bleiben können? Würden sie nicht ip8v kaeto aus der
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[0082] Nationalkirchliche Phantasien eines Engländers Ratschläge mancher fanatisterter Kleriker trieben? Belgien ist das mit Klöstern und Ordensleuten am meisten gesegnete Land, die Jesuiten sind einflußreich und in ihrer Bollandistenschule wissenschaftlichen Arbeiten zugekehrt, die nur wiederum im Anschluß an Rom ihren guten Sinn behalten. Man frage sich, ob nicht auch in Belgien eine Lösung vom Zentrum der römisch-katholischen Kirche in sich selbst utopisch ist, nicht zuletzt ein Bruch mit der ganzen Ver¬ gangenheit des belgischen Volkes, dessen Erinnerungen im Kampfe für Rom gegen den Protestantismus gipfeln. — Auch an die englischen Katholiken scheint Sheridan zu denken, wenngleich er ihre Mitwirkung nur verschämt andeutet, "ähnlich wie seine Landsleute im Kampfe der Waffen die farbigen Engländer und ihre Bundesgenossen vorzuschicken lieben, sofern sie nicht neutrale Völker in ihren Dienst zu pressen trachten, wie sie es einst mit den Matrosen ihrer Flotte taten. >Jo popsry war einst die Losung Englands im Zeitalter der Restauration; in anderem Sinne wird sie jetzt von Sheridan erneut. Gewiß, es ist bekannt, daß auf der britischen Insel heute ein ziemlich starker Zug zum Katholizismus besteht, daß die Verfassung der englischen Kirche mit ihren Bischöfen, daß ihre Liturgie mit ihren prunkvollen Gottesdiensten sich den römisch¬ katholischen Ordnungen nähern, — wird es möglich sein, diese Neigungen und diese Ähnlichkeiten in ihr Gegenteil zu verkehren, weil Sheridan es für nötig hält? Wie sollen sich die Katholiken in den englischen Kolonien verhalten? Sollen sie und ihre Glaubensgenossen in England in einer romfreien, vom Staate geleiteten Nationalkirche sich zusammenfinden? Der kühne Ratgeber schweigt — und sagt damit alles. Am eigentümlichsten bleibt die Reihe der Sätze, in denen der englische Kirchenpolitiker, wenn anders diese Bezeichnung überhaupt auf Sheridan an¬ gewandt werden darf, von den Maßnahmen berichtet, die das ihm vorschwebende Ziel herbeiführen könnten. Zunächst: wer soll das vatikanische Konzil ver¬ werfen, um damit dem Papste Abbruch zu tun? Die einzelnen Gläubigen in Belgien, Frankreich und England? Nach katholischer Auffassung ist die Kirche sichtbarlich in ihren Bischöfen und Geistlichen verkörpert, hat sie also die Laien durch die KierarLNia, oräinis zu heiligen, zu leiten und zu belehren; sie kennt kein allgemeines Priestertum ihrer Gläubigen und kann darum auch kein Plebiszit unter den katholischen Bewohnern eines Landes über die Frage zulassen, ob sie fortan romfrei oder romtreu sein wollen. Sollen die Bischöfe und Geistlichen das Vaticanum verwerfen? Die Geschichte kennt episkopalistische Neigungen unter dem Klerus mehr als eines Landes, ihre Tendenz aber befehdete nicht den Glauben, der das Wesen der Kirche ausmacht, sondern die Verteilung kirchlicher Macht, demnach Schöpfungen des Kirchenrechts. Angenommen ein¬ mal, die katholischen Bischöfe und Geistlichen insgesamt in Frankreich, Belgien und England kündigten die Unterwerfung unter das vatikanische Konzil: würden sie dann Katholiken bleiben können? Würden sie nicht ip8v kaeto aus der Glaubensgemeinschaft mit Rom und den übrigen Katholiken ausscheiden? Kein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/82>, abgerufen am 15.01.2025.