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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Nationalkirchliche Phantasien eines Engländers

seines Einflusses im Orient, die jener Ausspruch eines Ministers: "I^'anti-
LlönLalismö n'e8t pas un article ä'exportation" in Schutz und Pflege nahm.
Soll es nunmehr, um der furcht- und mitleiderregenden Drohung Sheridans
willen, im eigenen Lande zu allem noch den Kampf zwischen romtreuen
und romseindlichen Katholiken entfachen? Soll das Schauspiel der Parteiung
unter dem Klerus Frankreichs sich wiederholen, wie es die französische Revolution
durch den Bruch zwischen beeidigten und unbeeidigten Priestern gewährte?
Gesetzt den Fall, Sheridans Voraussage würde im Hinblick auf Frankreich zur
Tat, ihre Folge wäre die Bildung von romfreien und romtreueu Gemeinden
innerhalb desselben Volkes, also alles andere eher denn eine nationale Kirche,
deren Eigenart gerade darin besteht, daß sie die Angehörigen desselben Volkes
und desselben Glaubens zu einer rechtlichen Gemeinschaft zusammenfaßt. Gesetzt
ferner den Fall, es bildeten sich jene beiden Gruppen von Gemeinden in Frank¬
reich, welche von ihr würde dann das Gesetz der Trennung von Staat und
Kirche aufrechterhalten wünschen? Die romfreien müßten, wenn in der Minder¬
heit, die Hilfe des Staates für sich in Anspruch nehmen, um ihr Dasein zu
fristen, wenn aber in der Mehrheit, die Trennung der Kirche vom Staat als
einen Hemmschuh empfinden, der es vereiteln würde, die romtreuen Gemeinden
ihrem Willen zu unterwerfen. Das Schlagwort von der "libertö" würde auch
hier zum Spott, ganz abgesehen davon, daß nach aller geschichtlichen Erfahrung
eine Nationalkirche nur in Anlehnung an den Staat denkbar ist; Versuche einer
Nationalkirche ohne den Staat, wie sie etwa die deutsche Geschichte kennt, sind
gescheitert. Sollte Frankreich eine romfreie Nationalkirche sich schaffen wollen,
so müßte es zunächst das Trennungsgesetz wieder aufheben und die Erinnerung
an die Kämpfe, die seiner Einführung vorangingen, dürfte nicht ermutigen,
ihre Wiederholung zu wünschen, wenn es gilt, nach einem Friedensschluß mit
Deutschland, die materiellen und völkischen Wunden des Landes einigermaßen
zu heilen, die der Krieg ihm geschlagen hat. Es frommt nicht, dem Staate
eine neue Verfassung zu geben während eines auswärtigen Krieges, und ebenso¬
wenig der Kirche eines Landes, wenn ihre Kräfte insgesamt in den Dienst der
inneren Erneuerung des Volkes gezogen werden müssen. Der Krieg hat auch
in Frankreich den geistig hochstehenden Kreisen Verluste zugefügt; sollen nach
ihm die romfreien unter ihnen sich sondern von den romtreuen, um allein das
Privileg für sich zu beanspruchen, als vaterlandsliebend zu gelten? -- Etwas
anders liegen die Dinge in Belgien, über die aber deshalb schwerer zu sprechen
ist, weil das Schicksal Belgiens als Staat noch im Schoße der Zukunft ruht.
Man hat das belgische System des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche als
das "der freien Kirche im unfreien Staat" bezeichnet. Angenommen, in Belgien
kehrte alles auf den statte quo ante zurück, in Belgien vollzöge die Kirche
den von Sheridan angekündigten Abfall von Rom; würde das an die Leitung
durch Geistliche gewöhnte Volk, dem die Untertcmschaft unter den Papst alt¬
ererbte Vorstellung ist, seinen Führern folgen, jetzt, wo es erlebt, wohin die


Nationalkirchliche Phantasien eines Engländers

seines Einflusses im Orient, die jener Ausspruch eines Ministers: „I^'anti-
LlönLalismö n'e8t pas un article ä'exportation" in Schutz und Pflege nahm.
Soll es nunmehr, um der furcht- und mitleiderregenden Drohung Sheridans
willen, im eigenen Lande zu allem noch den Kampf zwischen romtreuen
und romseindlichen Katholiken entfachen? Soll das Schauspiel der Parteiung
unter dem Klerus Frankreichs sich wiederholen, wie es die französische Revolution
durch den Bruch zwischen beeidigten und unbeeidigten Priestern gewährte?
Gesetzt den Fall, Sheridans Voraussage würde im Hinblick auf Frankreich zur
Tat, ihre Folge wäre die Bildung von romfreien und romtreueu Gemeinden
innerhalb desselben Volkes, also alles andere eher denn eine nationale Kirche,
deren Eigenart gerade darin besteht, daß sie die Angehörigen desselben Volkes
und desselben Glaubens zu einer rechtlichen Gemeinschaft zusammenfaßt. Gesetzt
ferner den Fall, es bildeten sich jene beiden Gruppen von Gemeinden in Frank¬
reich, welche von ihr würde dann das Gesetz der Trennung von Staat und
Kirche aufrechterhalten wünschen? Die romfreien müßten, wenn in der Minder¬
heit, die Hilfe des Staates für sich in Anspruch nehmen, um ihr Dasein zu
fristen, wenn aber in der Mehrheit, die Trennung der Kirche vom Staat als
einen Hemmschuh empfinden, der es vereiteln würde, die romtreuen Gemeinden
ihrem Willen zu unterwerfen. Das Schlagwort von der „libertö" würde auch
hier zum Spott, ganz abgesehen davon, daß nach aller geschichtlichen Erfahrung
eine Nationalkirche nur in Anlehnung an den Staat denkbar ist; Versuche einer
Nationalkirche ohne den Staat, wie sie etwa die deutsche Geschichte kennt, sind
gescheitert. Sollte Frankreich eine romfreie Nationalkirche sich schaffen wollen,
so müßte es zunächst das Trennungsgesetz wieder aufheben und die Erinnerung
an die Kämpfe, die seiner Einführung vorangingen, dürfte nicht ermutigen,
ihre Wiederholung zu wünschen, wenn es gilt, nach einem Friedensschluß mit
Deutschland, die materiellen und völkischen Wunden des Landes einigermaßen
zu heilen, die der Krieg ihm geschlagen hat. Es frommt nicht, dem Staate
eine neue Verfassung zu geben während eines auswärtigen Krieges, und ebenso¬
wenig der Kirche eines Landes, wenn ihre Kräfte insgesamt in den Dienst der
inneren Erneuerung des Volkes gezogen werden müssen. Der Krieg hat auch
in Frankreich den geistig hochstehenden Kreisen Verluste zugefügt; sollen nach
ihm die romfreien unter ihnen sich sondern von den romtreuen, um allein das
Privileg für sich zu beanspruchen, als vaterlandsliebend zu gelten? — Etwas
anders liegen die Dinge in Belgien, über die aber deshalb schwerer zu sprechen
ist, weil das Schicksal Belgiens als Staat noch im Schoße der Zukunft ruht.
Man hat das belgische System des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche als
das „der freien Kirche im unfreien Staat" bezeichnet. Angenommen, in Belgien
kehrte alles auf den statte quo ante zurück, in Belgien vollzöge die Kirche
den von Sheridan angekündigten Abfall von Rom; würde das an die Leitung
durch Geistliche gewöhnte Volk, dem die Untertcmschaft unter den Papst alt¬
ererbte Vorstellung ist, seinen Führern folgen, jetzt, wo es erlebt, wohin die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/81>, abgerufen am 15.01.2025.