Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Nationalkirchlichc Phantasien eines Engländers Schranken auferlegt, weil eben jeder seiner Aussprüche ex eatdeära, auch die Er droht des weiteren mit dem Abfall der belgischen und französischen Nationalkirchlichc Phantasien eines Engländers Schranken auferlegt, weil eben jeder seiner Aussprüche ex eatdeära, auch die Er droht des weiteren mit dem Abfall der belgischen und französischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0080" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329746"/> <fw type="header" place="top"> Nationalkirchlichc Phantasien eines Engländers</fw><lb/> <p xml:id="ID_203" prev="#ID_202"> Schranken auferlegt, weil eben jeder seiner Aussprüche ex eatdeära, auch die<lb/> Gesamtheit der künftigen Päpste bindet. Es hieße der in langer Tradition er¬<lb/> worbenen Erfahrung und Voraussicht Roms Abbruch tun, wollte man annehmen,<lb/> der Papst hätte „bei dieser Gelegenheit zu irren" sich entschließen können. Seine<lb/> Entscheidungen ex catliecira gelten nicht Taten, sondern Glaubenssätzen und<lb/> Sittenvorschriften; sie haben Andersdenkende und Andersglaubende zu verfluchen.<lb/> Wen aber würde er zu verfluchen gehabt haben, hätte er dem Wunsche Sheridcms<lb/> Rechnung getragen? Die Deutschen, so meint natürlich unser Gegner —, aber<lb/> im Heere der Deutschen kämpften gläubige Katholiken; sollte er sie verfluchen,<lb/> um der Belgier willen, die dem Kriegsrecht Hohn sprachen, um der Franzosen<lb/> willen, die den Dom von Reims zum Stützpunkt ihrer Beobachwngsstatinn<lb/> machten? Soll er jetzt die Italiener verfluchen, weil sie den Dom von Görz<lb/> unter das Feuer ihrer Batterien nahmen, und mit dem ganzen Nachdruck seiner<lb/> Würde auf die Seite der Österreicher treten, der Bundesgenossen also der<lb/> Deutschen? Man steht, Sheridan gerät in einen Wirbel sich gegenseitig aus¬<lb/> sehender Tatsachen; seine Forderung ist kindisch.</p><lb/> <p xml:id="ID_204" next="#ID_205"> Er droht des weiteren mit dem Abfall der belgischen und französischen<lb/> Katholiken vom Papsttum und seiner „despotischen Herrschaft", vergißt aber<lb/> leider, daß der Papst das Oberhaupt der Katholiken des gesamten Erdkreises<lb/> ist und daß die eigene Prophezeiung völlig in der Luft schwebt. Wem würde<lb/> der Abfall schaden? Die römisch-katholische Kirche hat den „Abfall" der Pro¬<lb/> testanten erlebt und überwunden; sie würde also auch den der Franzosen und<lb/> Belgier zu tragen wissen. Trügen nicht Beobachtungen in Frankreich, so ist<lb/> gerade in diesem Lande unter dem Eindruck des Krieges der religiöse Sinn zu<lb/> neuem Leben erwacht, wie nicht anders zu erwarten in der Ausprägung, wie<lb/> sie ihn: der römische Katholizismus gewährt. Und dieser religiöse Sinn soll<lb/> als sein erstes Lebenszeichen den Abfall vom Papsttum offenbaren? Das wird<lb/> nur der glauben, der die Trennung von Staat und -Kirche in Frankreich als<lb/> eine Zerschneidung auch der ideellen Bande ansieht, die den französischen Katho¬<lb/> liken mit Rom verknüpfen. Noch heute gibt es in Frankreich „Ultramontane",<lb/> und diese sollten sich von Rom scheiden wollen? Das französische Volk hat im<lb/> Laufe der Jahrhunderte wiederholt mit dem Papst im Kampfe gelegen, es er¬<lb/> innert sich sehr wohl seiner gallikanischen Freiheiten, die sein Königtum ihm<lb/> einst erwirkte, mit seiner ganzen Naturanlage aber, mit seinem Drange zur<lb/> Zentralisation ist es innerlich dem Katholizismus und folgeweise dem Papsttum<lb/> derart wesensverwandt, daß es dem Kultus der Vernunft nicht noch einmal<lb/> rasch zerstörte Altäre errichten wird. In breiten Schichten religiös indifferent,<lb/> besitzt es unter seinen Angehörigen der Gläubigen noch genug, die trotz aller<lb/> „Separation" den organischen Zusammenhang der kirchlichen Einrichtungen in<lb/> ihrem Lande mit der allgemeinen Kirche nicht zerstört wissen wollen. Wider<lb/> den Sinn seiner eigenen Vergangenheit bekämpft es heute als geknechteter Sklave<lb/> Englands die Türkei und den Islam, beraubt es sich damit wertvoller Stützen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0080]
Nationalkirchlichc Phantasien eines Engländers
Schranken auferlegt, weil eben jeder seiner Aussprüche ex eatdeära, auch die
Gesamtheit der künftigen Päpste bindet. Es hieße der in langer Tradition er¬
worbenen Erfahrung und Voraussicht Roms Abbruch tun, wollte man annehmen,
der Papst hätte „bei dieser Gelegenheit zu irren" sich entschließen können. Seine
Entscheidungen ex catliecira gelten nicht Taten, sondern Glaubenssätzen und
Sittenvorschriften; sie haben Andersdenkende und Andersglaubende zu verfluchen.
Wen aber würde er zu verfluchen gehabt haben, hätte er dem Wunsche Sheridcms
Rechnung getragen? Die Deutschen, so meint natürlich unser Gegner —, aber
im Heere der Deutschen kämpften gläubige Katholiken; sollte er sie verfluchen,
um der Belgier willen, die dem Kriegsrecht Hohn sprachen, um der Franzosen
willen, die den Dom von Reims zum Stützpunkt ihrer Beobachwngsstatinn
machten? Soll er jetzt die Italiener verfluchen, weil sie den Dom von Görz
unter das Feuer ihrer Batterien nahmen, und mit dem ganzen Nachdruck seiner
Würde auf die Seite der Österreicher treten, der Bundesgenossen also der
Deutschen? Man steht, Sheridan gerät in einen Wirbel sich gegenseitig aus¬
sehender Tatsachen; seine Forderung ist kindisch.
Er droht des weiteren mit dem Abfall der belgischen und französischen
Katholiken vom Papsttum und seiner „despotischen Herrschaft", vergißt aber
leider, daß der Papst das Oberhaupt der Katholiken des gesamten Erdkreises
ist und daß die eigene Prophezeiung völlig in der Luft schwebt. Wem würde
der Abfall schaden? Die römisch-katholische Kirche hat den „Abfall" der Pro¬
testanten erlebt und überwunden; sie würde also auch den der Franzosen und
Belgier zu tragen wissen. Trügen nicht Beobachtungen in Frankreich, so ist
gerade in diesem Lande unter dem Eindruck des Krieges der religiöse Sinn zu
neuem Leben erwacht, wie nicht anders zu erwarten in der Ausprägung, wie
sie ihn: der römische Katholizismus gewährt. Und dieser religiöse Sinn soll
als sein erstes Lebenszeichen den Abfall vom Papsttum offenbaren? Das wird
nur der glauben, der die Trennung von Staat und -Kirche in Frankreich als
eine Zerschneidung auch der ideellen Bande ansieht, die den französischen Katho¬
liken mit Rom verknüpfen. Noch heute gibt es in Frankreich „Ultramontane",
und diese sollten sich von Rom scheiden wollen? Das französische Volk hat im
Laufe der Jahrhunderte wiederholt mit dem Papst im Kampfe gelegen, es er¬
innert sich sehr wohl seiner gallikanischen Freiheiten, die sein Königtum ihm
einst erwirkte, mit seiner ganzen Naturanlage aber, mit seinem Drange zur
Zentralisation ist es innerlich dem Katholizismus und folgeweise dem Papsttum
derart wesensverwandt, daß es dem Kultus der Vernunft nicht noch einmal
rasch zerstörte Altäre errichten wird. In breiten Schichten religiös indifferent,
besitzt es unter seinen Angehörigen der Gläubigen noch genug, die trotz aller
„Separation" den organischen Zusammenhang der kirchlichen Einrichtungen in
ihrem Lande mit der allgemeinen Kirche nicht zerstört wissen wollen. Wider
den Sinn seiner eigenen Vergangenheit bekämpft es heute als geknechteter Sklave
Englands die Türkei und den Islam, beraubt es sich damit wertvoller Stützen
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