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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

zeigt der Beginn der Habsburger den be¬
schränkten Lebenskreis eines süddeutschen Gra¬
fengeschlechtes: Rudolf von Habsburg ist in
der Schweiz geboren und zu Speier begraben;
ebenso Adolf von Nassau und Albrecht. Maxi¬
milian, der auch noch ein im Deutschen be¬
grenzter Herrscher war, beginnt und endet
sein Leben in Wiener-Neustadt. Aber sobald
die Macht des Geschlechtes sich erweitert und
sobald der römisch-deutsche Staat zu jenem
Weltreich wird, in welchen: die Sonne nicht
mehr untergeht, schieben sich auch diehistorischen
Stätten über die Grenzen Deutschlands hinaus:
schon ist Karl der Fünfte zu Gent geboren,
zu Se. Juste in Spanien begraben; und
Philipp der Zweite beginnt für sich und seine
Nachkommen den Eskurial zu bauen. Wie
die Orte, so ist das Hauptgewicht ihrer Politik
über Europa zerstreut. Nach den spanischen
Beherrschern tritt eine neuerliche Beschränkung
ein; der Schwerpunkt verlegt sich in die
deutschen Lande zurück, und endlich ganz in
die gegenteilige Richtung, ostwärts: nach Wien.
In der Kapuzinergruft am Neuen Markt zu
Wien liegen die letzten römisch-deutschen
Kaiser bestattet, in derselben Stadt, die bis
zur großen Aufrichtung Preußens die Metropole
der deutschen Länder blieb.

An landschaftlicher Abwechslung ist die
Wanderung, die der Autor des Buches mit
uns unternimmt, also reich genug. Wir er¬
kennen, daß fast alle deutschen Gaue national
geheiligte Stätten besitzen: von den bayerischen
Hochalpen bis zum Elm, vom Ausfluß des
Rheins aus dem Bodensee bis zur Mündung,
von der Eifel bis zum Wiener Wald führt
die Wanderung. Dazu kommen noch die
mannigfaltigsten Szenerien jenseits der
deutschen Grenzen: französisches Hügelland,
die ungarische Pußta, Kastilien, Rom, Zwei¬
undzwanzig der römisch-deutschen Herrscher
sind innerhalb der Grenzen des heutigen
deutschen Reiches gestorben, siebzehn auf
österreichischem Boden, acht in Italien, zwei
in den Niederlanden, je einer in der Schweiz,
Belgien, Spanien, Ungarn, -- und einer
sogar -- Barbarossa -- außerhalb Europas:
in Kleinasien.

Von den deutschen Städten treten zwei
hervor: es sind Speier und Wien. Das alte

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Privilegium gibt diesen Städten ihre Tradition,
ihre feierliche Geschlossenheit, gibt der einen
-- Wien -- noch ihr schmerzliches Anklammern
an Angestammtes. Freilich, die Kaisergräber
in Speier haben ihren ehemaligen Zustand
schon lange verloren. 1639 wurden sie durch
die Franzosen zerstört. Damals verschwanden
alle oberhalb deS Niveaus des Königschors
vorhandenen Grabmonumente vollständig, von
den Gräbern selbst entging nur die untere
Reihe der Verwüstung. Die Särge Heinrichs
des Fünften und Rudolfs, Albrechts und
Adolfs wurden zerbrochen und zerstreut.
Nach dem Abzug der Franzosen brachte man
die Gräber wieder notdürftig in Ordnung;
aber in den wechselvollen Schicksalen, welche
die Stadt Speier im Laufe der Jahrhunderte
noch mitmachte, kam es zu einer endgiltigen
Renovierung erst in der neuesten Zeit. Es
war im Jahre 1900, daß man die Gräber
offiziell eröffnete. Man fand den Schädel und
die unteren Extremitäten Kaiser Rudolfs, ein¬
zelne GebeineAdolfs und Albrechts, und das Ge¬
biß von Heinrich dem Fünften. Die Gebeine
Konrads des Zweiten und Konrads des
Dritten waren ganz zerfallen, dagegen die
Heinrichs des Vierten und Philipps gut er¬
halten. Diese aufgefundenen Reste wurden
einer öffentlichen Besichtigung zugelassen, die
Leichen lagen im Königschor in offenen Särgen,
und durch Stunden zogen an ihnen Menschen
vorbei, Menschen aller Klassen und Distrikte.
Alle Glocken Speiers läuteten. Dann wurden
die königlichen Überreste mit großen Feierlich¬
keiten neu bestattet.

Die zweite große Kaisergruft, dieKaPuziner-
gruft zu Wien, ist nicht nur die größte Familien¬
gruft der Habsburger, sondern die größte deutsche
überhaupt. Gegründet wurde sie im siebzehten
Jahrhundert, von Matthias und seiner Ge¬
mahlin, die hier für sich eine stille Ruhestätte
schassen wollte. Aber aus diesem bescheidenen
Anfang entwickelte sich eine Grabeskirche, die
zwar -- als Kapuzinerkirche -- eng und
schmucklos ist, aber nicht weniger als neun
deutsche Kaiser und einen römischen König
beherbergt. Der Fremde, der ohne Wissen an
dieser Kirche vorbeigeht, würde ihre Bedeutung
nicht ahnen. Ein niedriger Giebel, eine Fassade
ohne Zierrat und ohne Turm sind dem Platze

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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zeigt der Beginn der Habsburger den be¬
schränkten Lebenskreis eines süddeutschen Gra¬
fengeschlechtes: Rudolf von Habsburg ist in
der Schweiz geboren und zu Speier begraben;
ebenso Adolf von Nassau und Albrecht. Maxi¬
milian, der auch noch ein im Deutschen be¬
grenzter Herrscher war, beginnt und endet
sein Leben in Wiener-Neustadt. Aber sobald
die Macht des Geschlechtes sich erweitert und
sobald der römisch-deutsche Staat zu jenem
Weltreich wird, in welchen: die Sonne nicht
mehr untergeht, schieben sich auch diehistorischen
Stätten über die Grenzen Deutschlands hinaus:
schon ist Karl der Fünfte zu Gent geboren,
zu Se. Juste in Spanien begraben; und
Philipp der Zweite beginnt für sich und seine
Nachkommen den Eskurial zu bauen. Wie
die Orte, so ist das Hauptgewicht ihrer Politik
über Europa zerstreut. Nach den spanischen
Beherrschern tritt eine neuerliche Beschränkung
ein; der Schwerpunkt verlegt sich in die
deutschen Lande zurück, und endlich ganz in
die gegenteilige Richtung, ostwärts: nach Wien.
In der Kapuzinergruft am Neuen Markt zu
Wien liegen die letzten römisch-deutschen
Kaiser bestattet, in derselben Stadt, die bis
zur großen Aufrichtung Preußens die Metropole
der deutschen Länder blieb.

An landschaftlicher Abwechslung ist die
Wanderung, die der Autor des Buches mit
uns unternimmt, also reich genug. Wir er¬
kennen, daß fast alle deutschen Gaue national
geheiligte Stätten besitzen: von den bayerischen
Hochalpen bis zum Elm, vom Ausfluß des
Rheins aus dem Bodensee bis zur Mündung,
von der Eifel bis zum Wiener Wald führt
die Wanderung. Dazu kommen noch die
mannigfaltigsten Szenerien jenseits der
deutschen Grenzen: französisches Hügelland,
die ungarische Pußta, Kastilien, Rom, Zwei¬
undzwanzig der römisch-deutschen Herrscher
sind innerhalb der Grenzen des heutigen
deutschen Reiches gestorben, siebzehn auf
österreichischem Boden, acht in Italien, zwei
in den Niederlanden, je einer in der Schweiz,
Belgien, Spanien, Ungarn, — und einer
sogar — Barbarossa — außerhalb Europas:
in Kleinasien.

Von den deutschen Städten treten zwei
hervor: es sind Speier und Wien. Das alte

[Spaltenumbruch]

Privilegium gibt diesen Städten ihre Tradition,
ihre feierliche Geschlossenheit, gibt der einen
— Wien — noch ihr schmerzliches Anklammern
an Angestammtes. Freilich, die Kaisergräber
in Speier haben ihren ehemaligen Zustand
schon lange verloren. 1639 wurden sie durch
die Franzosen zerstört. Damals verschwanden
alle oberhalb deS Niveaus des Königschors
vorhandenen Grabmonumente vollständig, von
den Gräbern selbst entging nur die untere
Reihe der Verwüstung. Die Särge Heinrichs
des Fünften und Rudolfs, Albrechts und
Adolfs wurden zerbrochen und zerstreut.
Nach dem Abzug der Franzosen brachte man
die Gräber wieder notdürftig in Ordnung;
aber in den wechselvollen Schicksalen, welche
die Stadt Speier im Laufe der Jahrhunderte
noch mitmachte, kam es zu einer endgiltigen
Renovierung erst in der neuesten Zeit. Es
war im Jahre 1900, daß man die Gräber
offiziell eröffnete. Man fand den Schädel und
die unteren Extremitäten Kaiser Rudolfs, ein¬
zelne GebeineAdolfs und Albrechts, und das Ge¬
biß von Heinrich dem Fünften. Die Gebeine
Konrads des Zweiten und Konrads des
Dritten waren ganz zerfallen, dagegen die
Heinrichs des Vierten und Philipps gut er¬
halten. Diese aufgefundenen Reste wurden
einer öffentlichen Besichtigung zugelassen, die
Leichen lagen im Königschor in offenen Särgen,
und durch Stunden zogen an ihnen Menschen
vorbei, Menschen aller Klassen und Distrikte.
Alle Glocken Speiers läuteten. Dann wurden
die königlichen Überreste mit großen Feierlich¬
keiten neu bestattet.

Die zweite große Kaisergruft, dieKaPuziner-
gruft zu Wien, ist nicht nur die größte Familien¬
gruft der Habsburger, sondern die größte deutsche
überhaupt. Gegründet wurde sie im siebzehten
Jahrhundert, von Matthias und seiner Ge¬
mahlin, die hier für sich eine stille Ruhestätte
schassen wollte. Aber aus diesem bescheidenen
Anfang entwickelte sich eine Grabeskirche, die
zwar — als Kapuzinerkirche — eng und
schmucklos ist, aber nicht weniger als neun
deutsche Kaiser und einen römischen König
beherbergt. Der Fremde, der ohne Wissen an
dieser Kirche vorbeigeht, würde ihre Bedeutung
nicht ahnen. Ein niedriger Giebel, eine Fassade
ohne Zierrat und ohne Turm sind dem Platze

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[0071] Maßgebliches und Unmaßgebliches zeigt der Beginn der Habsburger den be¬ schränkten Lebenskreis eines süddeutschen Gra¬ fengeschlechtes: Rudolf von Habsburg ist in der Schweiz geboren und zu Speier begraben; ebenso Adolf von Nassau und Albrecht. Maxi¬ milian, der auch noch ein im Deutschen be¬ grenzter Herrscher war, beginnt und endet sein Leben in Wiener-Neustadt. Aber sobald die Macht des Geschlechtes sich erweitert und sobald der römisch-deutsche Staat zu jenem Weltreich wird, in welchen: die Sonne nicht mehr untergeht, schieben sich auch diehistorischen Stätten über die Grenzen Deutschlands hinaus: schon ist Karl der Fünfte zu Gent geboren, zu Se. Juste in Spanien begraben; und Philipp der Zweite beginnt für sich und seine Nachkommen den Eskurial zu bauen. Wie die Orte, so ist das Hauptgewicht ihrer Politik über Europa zerstreut. Nach den spanischen Beherrschern tritt eine neuerliche Beschränkung ein; der Schwerpunkt verlegt sich in die deutschen Lande zurück, und endlich ganz in die gegenteilige Richtung, ostwärts: nach Wien. In der Kapuzinergruft am Neuen Markt zu Wien liegen die letzten römisch-deutschen Kaiser bestattet, in derselben Stadt, die bis zur großen Aufrichtung Preußens die Metropole der deutschen Länder blieb. An landschaftlicher Abwechslung ist die Wanderung, die der Autor des Buches mit uns unternimmt, also reich genug. Wir er¬ kennen, daß fast alle deutschen Gaue national geheiligte Stätten besitzen: von den bayerischen Hochalpen bis zum Elm, vom Ausfluß des Rheins aus dem Bodensee bis zur Mündung, von der Eifel bis zum Wiener Wald führt die Wanderung. Dazu kommen noch die mannigfaltigsten Szenerien jenseits der deutschen Grenzen: französisches Hügelland, die ungarische Pußta, Kastilien, Rom, Zwei¬ undzwanzig der römisch-deutschen Herrscher sind innerhalb der Grenzen des heutigen deutschen Reiches gestorben, siebzehn auf österreichischem Boden, acht in Italien, zwei in den Niederlanden, je einer in der Schweiz, Belgien, Spanien, Ungarn, — und einer sogar — Barbarossa — außerhalb Europas: in Kleinasien. Von den deutschen Städten treten zwei hervor: es sind Speier und Wien. Das alte Privilegium gibt diesen Städten ihre Tradition, ihre feierliche Geschlossenheit, gibt der einen — Wien — noch ihr schmerzliches Anklammern an Angestammtes. Freilich, die Kaisergräber in Speier haben ihren ehemaligen Zustand schon lange verloren. 1639 wurden sie durch die Franzosen zerstört. Damals verschwanden alle oberhalb deS Niveaus des Königschors vorhandenen Grabmonumente vollständig, von den Gräbern selbst entging nur die untere Reihe der Verwüstung. Die Särge Heinrichs des Fünften und Rudolfs, Albrechts und Adolfs wurden zerbrochen und zerstreut. Nach dem Abzug der Franzosen brachte man die Gräber wieder notdürftig in Ordnung; aber in den wechselvollen Schicksalen, welche die Stadt Speier im Laufe der Jahrhunderte noch mitmachte, kam es zu einer endgiltigen Renovierung erst in der neuesten Zeit. Es war im Jahre 1900, daß man die Gräber offiziell eröffnete. Man fand den Schädel und die unteren Extremitäten Kaiser Rudolfs, ein¬ zelne GebeineAdolfs und Albrechts, und das Ge¬ biß von Heinrich dem Fünften. Die Gebeine Konrads des Zweiten und Konrads des Dritten waren ganz zerfallen, dagegen die Heinrichs des Vierten und Philipps gut er¬ halten. Diese aufgefundenen Reste wurden einer öffentlichen Besichtigung zugelassen, die Leichen lagen im Königschor in offenen Särgen, und durch Stunden zogen an ihnen Menschen vorbei, Menschen aller Klassen und Distrikte. Alle Glocken Speiers läuteten. Dann wurden die königlichen Überreste mit großen Feierlich¬ keiten neu bestattet. Die zweite große Kaisergruft, dieKaPuziner- gruft zu Wien, ist nicht nur die größte Familien¬ gruft der Habsburger, sondern die größte deutsche überhaupt. Gegründet wurde sie im siebzehten Jahrhundert, von Matthias und seiner Ge¬ mahlin, die hier für sich eine stille Ruhestätte schassen wollte. Aber aus diesem bescheidenen Anfang entwickelte sich eine Grabeskirche, die zwar — als Kapuzinerkirche — eng und schmucklos ist, aber nicht weniger als neun deutsche Kaiser und einen römischen König beherbergt. Der Fremde, der ohne Wissen an dieser Kirche vorbeigeht, würde ihre Bedeutung nicht ahnen. Ein niedriger Giebel, eine Fassade ohne Zierrat und ohne Turm sind dem Platze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/71>, abgerufen am 15.01.2025.