Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland hat. Auch bei strenger Einhaltung der politischen Neutralität wäre eine andere Bereits ein Jahr vor dem Weltkriege glaubte der Redakteur der "Basler Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland hat. Auch bei strenger Einhaltung der politischen Neutralität wäre eine andere Bereits ein Jahr vor dem Weltkriege glaubte der Redakteur der „Basler <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0050" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329716"/> <fw type="header" place="top"> Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland</fw><lb/> <p xml:id="ID_104" prev="#ID_103"> hat. Auch bei strenger Einhaltung der politischen Neutralität wäre eine andere<lb/> Stellungnahme möglich gewesen. Indessen wer die Schweiz nicht bloß auf<lb/> gelegentlichen Ferienreisen besucht hat und nicht bloß die Schweizer Berge und<lb/> die Schweizer Demokratie preist, sondern die Schweiz auf Grund langjährigen<lb/> Aufenthalts in ihr kennt, konnte nicht verwundert sein, daß in ihr ein viel¬<lb/> gemischter Chor von Stimmen aufgetreten ist. So sei es mir vergönnt, in<lb/> ruhiger Darstellung der Tatsachen die Stimmungen, die zum Weltkriege hier<lb/> laut geworden sind, zu schildern. Jan Eyssen hat in den Grenzboten 1915 Heft 11<lb/> S. 321 ff über die „marmorkalte Neutralität" der Schweiz geklagt und in<lb/> warmem Appell an die Schweizer ihre kritischen Einwendungen zu widerlegen<lb/> gesucht. Er hat das Ohr der Schweizer nicht erreicht. Mir ist es mehr um<lb/> eine objektive Schilderung der Stimmung, um ein Verständnis der eigenartigen<lb/> Lage und Schwierigkeiten der Schweiz zu tun. Und wenn ich manche herbe<lb/> Kritik Deutschlands bedauere, so ist doch auch Grund genug da, sich über<lb/> andere Stimmen zu freuen. Trotz aller Kulturgemeinschaft erzeugt die politische<lb/> Sonderexistenz der Schweiz mit Notwendigkeit einen besonderen politischen Willen,<lb/> der seinen eigenen unabhängigen Weg geht und gehen muß. Damit müssen<lb/> wir Deutsche uns abfinden. Die Kulturgemeinschaft mit Deutschland soll nach<lb/> dem Willen der besten Schweizer nicht aufgehoben werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_105" next="#ID_106"> Bereits ein Jahr vor dem Weltkriege glaubte der Redakteur der „Basler<lb/> Nachrichten", or. Albert Oeri, in den Süddeutschen Monatsheften, August 1913<lb/> zu dem angeführten Wort Lamprechts sich äußern zu sollen. „Zu Lamprechts<lb/> schweizerischen Zukunftsträumen" versicherte er, daß der Neutralitätswille der<lb/> Schweizer eine „einheitliche und starke politische Überzeugung" ist, wie ihn kaum<lb/> ein Volk der Erde in eben solcher Einheitlichkeit und Entschiedenheit habe. Es<lb/> ist mit Händen zu greifen, daß die Schweiz durch ein politisches Bündnis oder<lb/> eine Parteinahme nichts gewinnen kann. Denn irgend eine Gebietserweiterung<lb/> liegt gänzlich außerhalb ihrer politischen Ziele. In ihren größten Zeiten, im<lb/> 14. und 15. Jahrhundert, konnte sie Weltpolitik im großen Stile treiben.<lb/> Seit dem 16. Jahrhundert etwa ist ihr dies ganz unmöglich. Nachdem sie<lb/> wider ihren Willen seit 1793 in die Napoleonischen Kriege verflochten wurde,<lb/> ist die 1815 von ihr selbst erklärte ewige Neutralität der jedem Schweizer ein¬<lb/> leuchtende erste Grundsatz ihrer auswärtigen Politik. Jede Übertretung der<lb/> Neutralität ließe sie Gefahr laufen, ihre Unabhängigkeit für alle Zeit zu ver¬<lb/> lieren. Jedes Bündnis mit irgend einer auswärtigen Macht ist für die Schweiz<lb/> ausgeschlossen. Die Schweiz nimmt es mit den Pflichten ihrer Neutralität viel<lb/> ernster als Belgien. Irgendwelche Abmachungen, die auch nur für die Even¬<lb/> tualität kriegerischer Verwicklungen gelten sollen, sind für sie unmöglich. Das<lb/> elementarste Gebot der Klugheit gebietet ihr diese Haltung. Daß der schweizerische<lb/> Bundesrat die staatsrechtlich gebotene Neutralität in vollem Umfange gewahrt<lb/> hat, ist daher begreiflich. Er hat jede öffentliche Propaganda für die eine oder<lb/> die andere Partei verboten, die Zensur der Presse verhindert jede gehässige</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0050]
Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland
hat. Auch bei strenger Einhaltung der politischen Neutralität wäre eine andere
Stellungnahme möglich gewesen. Indessen wer die Schweiz nicht bloß auf
gelegentlichen Ferienreisen besucht hat und nicht bloß die Schweizer Berge und
die Schweizer Demokratie preist, sondern die Schweiz auf Grund langjährigen
Aufenthalts in ihr kennt, konnte nicht verwundert sein, daß in ihr ein viel¬
gemischter Chor von Stimmen aufgetreten ist. So sei es mir vergönnt, in
ruhiger Darstellung der Tatsachen die Stimmungen, die zum Weltkriege hier
laut geworden sind, zu schildern. Jan Eyssen hat in den Grenzboten 1915 Heft 11
S. 321 ff über die „marmorkalte Neutralität" der Schweiz geklagt und in
warmem Appell an die Schweizer ihre kritischen Einwendungen zu widerlegen
gesucht. Er hat das Ohr der Schweizer nicht erreicht. Mir ist es mehr um
eine objektive Schilderung der Stimmung, um ein Verständnis der eigenartigen
Lage und Schwierigkeiten der Schweiz zu tun. Und wenn ich manche herbe
Kritik Deutschlands bedauere, so ist doch auch Grund genug da, sich über
andere Stimmen zu freuen. Trotz aller Kulturgemeinschaft erzeugt die politische
Sonderexistenz der Schweiz mit Notwendigkeit einen besonderen politischen Willen,
der seinen eigenen unabhängigen Weg geht und gehen muß. Damit müssen
wir Deutsche uns abfinden. Die Kulturgemeinschaft mit Deutschland soll nach
dem Willen der besten Schweizer nicht aufgehoben werden.
Bereits ein Jahr vor dem Weltkriege glaubte der Redakteur der „Basler
Nachrichten", or. Albert Oeri, in den Süddeutschen Monatsheften, August 1913
zu dem angeführten Wort Lamprechts sich äußern zu sollen. „Zu Lamprechts
schweizerischen Zukunftsträumen" versicherte er, daß der Neutralitätswille der
Schweizer eine „einheitliche und starke politische Überzeugung" ist, wie ihn kaum
ein Volk der Erde in eben solcher Einheitlichkeit und Entschiedenheit habe. Es
ist mit Händen zu greifen, daß die Schweiz durch ein politisches Bündnis oder
eine Parteinahme nichts gewinnen kann. Denn irgend eine Gebietserweiterung
liegt gänzlich außerhalb ihrer politischen Ziele. In ihren größten Zeiten, im
14. und 15. Jahrhundert, konnte sie Weltpolitik im großen Stile treiben.
Seit dem 16. Jahrhundert etwa ist ihr dies ganz unmöglich. Nachdem sie
wider ihren Willen seit 1793 in die Napoleonischen Kriege verflochten wurde,
ist die 1815 von ihr selbst erklärte ewige Neutralität der jedem Schweizer ein¬
leuchtende erste Grundsatz ihrer auswärtigen Politik. Jede Übertretung der
Neutralität ließe sie Gefahr laufen, ihre Unabhängigkeit für alle Zeit zu ver¬
lieren. Jedes Bündnis mit irgend einer auswärtigen Macht ist für die Schweiz
ausgeschlossen. Die Schweiz nimmt es mit den Pflichten ihrer Neutralität viel
ernster als Belgien. Irgendwelche Abmachungen, die auch nur für die Even¬
tualität kriegerischer Verwicklungen gelten sollen, sind für sie unmöglich. Das
elementarste Gebot der Klugheit gebietet ihr diese Haltung. Daß der schweizerische
Bundesrat die staatsrechtlich gebotene Neutralität in vollem Umfange gewahrt
hat, ist daher begreiflich. Er hat jede öffentliche Propaganda für die eine oder
die andere Partei verboten, die Zensur der Presse verhindert jede gehässige
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