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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die neuen Männer in Frankreich

achtsamkeit, weil sie den deutschen Unterseebooten nicht die Durchfahrt von.
Gibraltar gesperrt habe; auf die Niederlage von Ktesipton, als eine Folge
englischer egoistischer Sonderbestrebungen, wies die offiziöse französische Presse
mit kaum verhehlter Schadenfreude hin. Bulgariens Übertritt zu den Mittel¬
mächten, sowie die zögernde Unentschlossenheit Rumäniens wurden aus das
Schuldkonto der Russen gebucht, und die ungeheueren Opfer an Menschen, die
Frankreich gebracht habe, mit der überlegten Zurückhaltung der westlichen Ver¬
bündeten verglichen. Aber auch nach Innen suchte sich Briand zu decken und
die Verantwortung für das mazedonische Abenteuer abzuwälzen. Joffre wurde
zum Befehlshaber aller französischen Heere "erhöht", sodaß er auch über den
Verbleib oder den Abzug der Orientarmee wenigstens scheinbar zu entscheiden
hat. Man brauchte diesem pflichtbewußten Soldaten ohne politischen Ehrgeiz
und ohne politischen Fernblick diese seine Ernennung wohl nur als eine mili¬
tärische Notwendigkeit darzustellen, um ihn geneigt zu machen, mit seiner Volks¬
tümlichkeit den unbeliebten Balkanfeldzug vor dem Lande zu decken. Die Arbeit
wird für Briands Sirenenkünste nicht schwer gewesen und wird von Gallion
sicher nach Kräften gefördert worden sein, der dadurch eine Gelegenheit fand,
den ihm unsympathischen Generalissimus kalt zu stellen, den man offen nicht
zu beseitigen wagte. Nach der ungeheueren Reklame, die man für seine be¬
scheidene Tüchtigkeit gemacht hat, gilt er dem Heere und dem Volk als der
unbesiegte und unbesiegbare Heerführer, der nur zu wollen braucht, um im
gegebenen Moment den Feind aus dem Lande zu jagen. Sein Abgang hätte
zu einem moralischen Zusammenbruch geführt. So ehrte man ihn durch eine
besondere Auszeichnung, die ihm an tatsächlicher Macht nur den Vorsitz in dem
buntscheckigen Kriegsrat von Engländern, Russen, Italienern, Belgiern und
Serben läßt.

An Joffres Stelle trat als Führer der Nordostarmee der General de Castelnau,
der Vertrauensmann Galliönis. Es fiel dem Kriegsminister schwer, seine Er¬
nennung durchzusetzen, denn wenn die militärischen Fähigkeiten seines Schützlings
auch allseitig anerkannt werden, so ist er ein streng klerikaler Royalist. Zwei
Wochen streubten sich die herrschenden Radikalen, und es scheint, daß Galliöni
erst mit seinem Rücktritt drohen mußte, ehe sie in verbissener Wüd nachgaben,
weil sie einen anderen Kriegsminister nicht aufbringen konnten. Ihrem Kan¬
didaten, dem Freimaurer Sarrail, der schon vor Monaten Millerand ersetzen
sollte, fehlte damals schon der nötige Nimbus, und sein meisterhafter Rückzug
vom Wardar war trotz aller Anpreisungen nicht geeignet, ihm diesen zu er¬
werben. Galliöni ist der starke Mann im Kabinett, der es in der Hand hat,
die militärische Diktatur an sich zu reißen. Ein General als Kriegsminister
war unter der dritten Republik niemals beliebt, der parlamentarische Gedanke
verlangt einen aus der Kammer hervorgegangenen Zivilisten, keinen Kriegsmann,
der auf das Heer gestützt das ganze Ministerium beherrscht und es sogar wagt,
kirchlich gesinnte Unterführer zu ernennen. Es ist nicht zu verwundern, daß


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Die neuen Männer in Frankreich

achtsamkeit, weil sie den deutschen Unterseebooten nicht die Durchfahrt von.
Gibraltar gesperrt habe; auf die Niederlage von Ktesipton, als eine Folge
englischer egoistischer Sonderbestrebungen, wies die offiziöse französische Presse
mit kaum verhehlter Schadenfreude hin. Bulgariens Übertritt zu den Mittel¬
mächten, sowie die zögernde Unentschlossenheit Rumäniens wurden aus das
Schuldkonto der Russen gebucht, und die ungeheueren Opfer an Menschen, die
Frankreich gebracht habe, mit der überlegten Zurückhaltung der westlichen Ver¬
bündeten verglichen. Aber auch nach Innen suchte sich Briand zu decken und
die Verantwortung für das mazedonische Abenteuer abzuwälzen. Joffre wurde
zum Befehlshaber aller französischen Heere „erhöht", sodaß er auch über den
Verbleib oder den Abzug der Orientarmee wenigstens scheinbar zu entscheiden
hat. Man brauchte diesem pflichtbewußten Soldaten ohne politischen Ehrgeiz
und ohne politischen Fernblick diese seine Ernennung wohl nur als eine mili¬
tärische Notwendigkeit darzustellen, um ihn geneigt zu machen, mit seiner Volks¬
tümlichkeit den unbeliebten Balkanfeldzug vor dem Lande zu decken. Die Arbeit
wird für Briands Sirenenkünste nicht schwer gewesen und wird von Gallion
sicher nach Kräften gefördert worden sein, der dadurch eine Gelegenheit fand,
den ihm unsympathischen Generalissimus kalt zu stellen, den man offen nicht
zu beseitigen wagte. Nach der ungeheueren Reklame, die man für seine be¬
scheidene Tüchtigkeit gemacht hat, gilt er dem Heere und dem Volk als der
unbesiegte und unbesiegbare Heerführer, der nur zu wollen braucht, um im
gegebenen Moment den Feind aus dem Lande zu jagen. Sein Abgang hätte
zu einem moralischen Zusammenbruch geführt. So ehrte man ihn durch eine
besondere Auszeichnung, die ihm an tatsächlicher Macht nur den Vorsitz in dem
buntscheckigen Kriegsrat von Engländern, Russen, Italienern, Belgiern und
Serben läßt.

An Joffres Stelle trat als Führer der Nordostarmee der General de Castelnau,
der Vertrauensmann Galliönis. Es fiel dem Kriegsminister schwer, seine Er¬
nennung durchzusetzen, denn wenn die militärischen Fähigkeiten seines Schützlings
auch allseitig anerkannt werden, so ist er ein streng klerikaler Royalist. Zwei
Wochen streubten sich die herrschenden Radikalen, und es scheint, daß Galliöni
erst mit seinem Rücktritt drohen mußte, ehe sie in verbissener Wüd nachgaben,
weil sie einen anderen Kriegsminister nicht aufbringen konnten. Ihrem Kan¬
didaten, dem Freimaurer Sarrail, der schon vor Monaten Millerand ersetzen
sollte, fehlte damals schon der nötige Nimbus, und sein meisterhafter Rückzug
vom Wardar war trotz aller Anpreisungen nicht geeignet, ihm diesen zu er¬
werben. Galliöni ist der starke Mann im Kabinett, der es in der Hand hat,
die militärische Diktatur an sich zu reißen. Ein General als Kriegsminister
war unter der dritten Republik niemals beliebt, der parlamentarische Gedanke
verlangt einen aus der Kammer hervorgegangenen Zivilisten, keinen Kriegsmann,
der auf das Heer gestützt das ganze Ministerium beherrscht und es sogar wagt,
kirchlich gesinnte Unterführer zu ernennen. Es ist nicht zu verwundern, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/47>, abgerufen am 15.01.2025.