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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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begnügen; über die Art, wie der Gegenstund zur Darstellung gebracht ist, wie
er sich im sinnlich Erfaßbaren ausdrückt, wie er verdeutlicht, vertieft, geprägt
wird durch sinnliche Ausdrucksmittel -- eine Betrachtung, die von einseitigen!
Formenkultus himmelweit entfernt ist -- will er sich nur in den seltensten
Fällen Rechenschaft geben.

Anders in der Architektur. Hier gibt es, von spärlichen Resten alt-
romantischer Stimmung?duselei abgesehen, nichts Literarisches, sondern, außer
dem selbstverständlichen Zweck, nur Formensprache, die der Betrachtende auf¬
nehmen muß, will er das Bauwerk überhaupt wahrnehmen, Er wird, soll
ihm das Kunstwerk überhaupt etwas sagen, direkt auf die Sprache der Form
geführt, diese muß er auffassen, will er sich überhaupt Rechenschaft über den
Bau ablegen. Dazu aber kommt noch etwas anderes. Die Architektur ist heute
die einzige Kunst, die auch in das Leben des wenig Gebildeten als ein nicht
zu Umgehendes hineinragt. Auch der Kuustfremdeste ist gezwungen, dann und
wann einen Blick auf die Hauptkirche, auf das Rathaus seiner Stadt zu werfen,
dem Empfänglichen aber wachsen die Monumentalbauten seiner Stadt organisch
mit dem Bilde der Heimat zusammen. Und wie der tüchtige Mensch eine
Heimat haben muß, in der er wurzeln kann, so lernt er auch an der Architektur
mehr als einen bloßen Schmuck des Lebens sehen, lernt sie als Ausdruck der
Heimat empfinden. Damit wächst die architektonische Kunst ins tägliche Leben
hinein wie die besten Volkslieder, wie bestimmte Redensarten, wie Gewohn¬
heiten und Sitten. Das Bewußtsein aber, daß die Kunst Lebenswerte schafft,
daß sie selbst etwas Lebendiges, nicht zu Umgehendes ist, bildet die Grundlage
alles Kunstverständnisses. Und nun erhalten auch die Einzelheiten der Formen¬
sprache einen bestimmten Sinn, das scheinbar willkürliche Spiel wird verständ¬
liche Sprache.*) Eben aber dieses, daß die Architektur zur Erarbeitung scheinbar
abstrakter Formen zwingt und den ernsthaft Strebenden dadurch nach kurzer
Übung weiter fördert, als ein langes, aber leicht am Gegenständlichen haften
bleibendes Genießen in den anderen bildenden Künsten, eben das macht den
hohen kunstpädagogischen Wert des Architekturstudiums aus.

Aber nicht nur um ein kunstpädagogisches Problem handelt es sich, auch
um ein kulturelles. Welche Erhöhung das Heimatsgefühl durch Beschäftigung
mit der Architektur erfahren kann, wurde schon erwähnt, aber auch der Wert
des Reifens erhält dadurch eine bedeutende Steigerung. Wer sinnvoll, d. h.
nicht bloß zur Zerstreuung, sondern um Kenntnis anderer Daseinsformen zu
erhalten, reist, dem wird durch rasches Verständnis der den Ausdruck fremder
Städte so wesentlich bestimmenden Bauten, die Arbeit des Aufnehmens außer-



*) In das Problem der Formensymbolik führt ein wegen des vielen Hypothetischen
und der durch notwendige Kürze veranlaßten, aber oft zu schematischen Abstraktion mit Vor¬
sicht zu benutzendes Werkchen von Th. Volbehr, Bau und Leben der bildenden Kunst, ein.
(Aus "Natur und Geisteswelt". Ur. 68. Teubner, Leipzig. 2. Auflage.)
vom llulturwert des Architektnrstudiunl!-

begnügen; über die Art, wie der Gegenstund zur Darstellung gebracht ist, wie
er sich im sinnlich Erfaßbaren ausdrückt, wie er verdeutlicht, vertieft, geprägt
wird durch sinnliche Ausdrucksmittel — eine Betrachtung, die von einseitigen!
Formenkultus himmelweit entfernt ist — will er sich nur in den seltensten
Fällen Rechenschaft geben.

Anders in der Architektur. Hier gibt es, von spärlichen Resten alt-
romantischer Stimmung?duselei abgesehen, nichts Literarisches, sondern, außer
dem selbstverständlichen Zweck, nur Formensprache, die der Betrachtende auf¬
nehmen muß, will er das Bauwerk überhaupt wahrnehmen, Er wird, soll
ihm das Kunstwerk überhaupt etwas sagen, direkt auf die Sprache der Form
geführt, diese muß er auffassen, will er sich überhaupt Rechenschaft über den
Bau ablegen. Dazu aber kommt noch etwas anderes. Die Architektur ist heute
die einzige Kunst, die auch in das Leben des wenig Gebildeten als ein nicht
zu Umgehendes hineinragt. Auch der Kuustfremdeste ist gezwungen, dann und
wann einen Blick auf die Hauptkirche, auf das Rathaus seiner Stadt zu werfen,
dem Empfänglichen aber wachsen die Monumentalbauten seiner Stadt organisch
mit dem Bilde der Heimat zusammen. Und wie der tüchtige Mensch eine
Heimat haben muß, in der er wurzeln kann, so lernt er auch an der Architektur
mehr als einen bloßen Schmuck des Lebens sehen, lernt sie als Ausdruck der
Heimat empfinden. Damit wächst die architektonische Kunst ins tägliche Leben
hinein wie die besten Volkslieder, wie bestimmte Redensarten, wie Gewohn¬
heiten und Sitten. Das Bewußtsein aber, daß die Kunst Lebenswerte schafft,
daß sie selbst etwas Lebendiges, nicht zu Umgehendes ist, bildet die Grundlage
alles Kunstverständnisses. Und nun erhalten auch die Einzelheiten der Formen¬
sprache einen bestimmten Sinn, das scheinbar willkürliche Spiel wird verständ¬
liche Sprache.*) Eben aber dieses, daß die Architektur zur Erarbeitung scheinbar
abstrakter Formen zwingt und den ernsthaft Strebenden dadurch nach kurzer
Übung weiter fördert, als ein langes, aber leicht am Gegenständlichen haften
bleibendes Genießen in den anderen bildenden Künsten, eben das macht den
hohen kunstpädagogischen Wert des Architekturstudiums aus.

Aber nicht nur um ein kunstpädagogisches Problem handelt es sich, auch
um ein kulturelles. Welche Erhöhung das Heimatsgefühl durch Beschäftigung
mit der Architektur erfahren kann, wurde schon erwähnt, aber auch der Wert
des Reifens erhält dadurch eine bedeutende Steigerung. Wer sinnvoll, d. h.
nicht bloß zur Zerstreuung, sondern um Kenntnis anderer Daseinsformen zu
erhalten, reist, dem wird durch rasches Verständnis der den Ausdruck fremder
Städte so wesentlich bestimmenden Bauten, die Arbeit des Aufnehmens außer-



*) In das Problem der Formensymbolik führt ein wegen des vielen Hypothetischen
und der durch notwendige Kürze veranlaßten, aber oft zu schematischen Abstraktion mit Vor¬
sicht zu benutzendes Werkchen von Th. Volbehr, Bau und Leben der bildenden Kunst, ein.
(Aus „Natur und Geisteswelt". Ur. 68. Teubner, Leipzig. 2. Auflage.)
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[0421] vom llulturwert des Architektnrstudiunl!- begnügen; über die Art, wie der Gegenstund zur Darstellung gebracht ist, wie er sich im sinnlich Erfaßbaren ausdrückt, wie er verdeutlicht, vertieft, geprägt wird durch sinnliche Ausdrucksmittel — eine Betrachtung, die von einseitigen! Formenkultus himmelweit entfernt ist — will er sich nur in den seltensten Fällen Rechenschaft geben. Anders in der Architektur. Hier gibt es, von spärlichen Resten alt- romantischer Stimmung?duselei abgesehen, nichts Literarisches, sondern, außer dem selbstverständlichen Zweck, nur Formensprache, die der Betrachtende auf¬ nehmen muß, will er das Bauwerk überhaupt wahrnehmen, Er wird, soll ihm das Kunstwerk überhaupt etwas sagen, direkt auf die Sprache der Form geführt, diese muß er auffassen, will er sich überhaupt Rechenschaft über den Bau ablegen. Dazu aber kommt noch etwas anderes. Die Architektur ist heute die einzige Kunst, die auch in das Leben des wenig Gebildeten als ein nicht zu Umgehendes hineinragt. Auch der Kuustfremdeste ist gezwungen, dann und wann einen Blick auf die Hauptkirche, auf das Rathaus seiner Stadt zu werfen, dem Empfänglichen aber wachsen die Monumentalbauten seiner Stadt organisch mit dem Bilde der Heimat zusammen. Und wie der tüchtige Mensch eine Heimat haben muß, in der er wurzeln kann, so lernt er auch an der Architektur mehr als einen bloßen Schmuck des Lebens sehen, lernt sie als Ausdruck der Heimat empfinden. Damit wächst die architektonische Kunst ins tägliche Leben hinein wie die besten Volkslieder, wie bestimmte Redensarten, wie Gewohn¬ heiten und Sitten. Das Bewußtsein aber, daß die Kunst Lebenswerte schafft, daß sie selbst etwas Lebendiges, nicht zu Umgehendes ist, bildet die Grundlage alles Kunstverständnisses. Und nun erhalten auch die Einzelheiten der Formen¬ sprache einen bestimmten Sinn, das scheinbar willkürliche Spiel wird verständ¬ liche Sprache.*) Eben aber dieses, daß die Architektur zur Erarbeitung scheinbar abstrakter Formen zwingt und den ernsthaft Strebenden dadurch nach kurzer Übung weiter fördert, als ein langes, aber leicht am Gegenständlichen haften bleibendes Genießen in den anderen bildenden Künsten, eben das macht den hohen kunstpädagogischen Wert des Architekturstudiums aus. Aber nicht nur um ein kunstpädagogisches Problem handelt es sich, auch um ein kulturelles. Welche Erhöhung das Heimatsgefühl durch Beschäftigung mit der Architektur erfahren kann, wurde schon erwähnt, aber auch der Wert des Reifens erhält dadurch eine bedeutende Steigerung. Wer sinnvoll, d. h. nicht bloß zur Zerstreuung, sondern um Kenntnis anderer Daseinsformen zu erhalten, reist, dem wird durch rasches Verständnis der den Ausdruck fremder Städte so wesentlich bestimmenden Bauten, die Arbeit des Aufnehmens außer- *) In das Problem der Formensymbolik führt ein wegen des vielen Hypothetischen und der durch notwendige Kürze veranlaßten, aber oft zu schematischen Abstraktion mit Vor¬ sicht zu benutzendes Werkchen von Th. Volbehr, Bau und Leben der bildenden Kunst, ein. (Aus „Natur und Geisteswelt". Ur. 68. Teubner, Leipzig. 2. Auflage.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/421>, abgerufen am 15.01.2025.