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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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vom Mordrecht der Gbrigkeit

Staatswohl geopfert werden, die Religion wird zum in8trumentum re^ni,
denn 82in8 publica suprema lex."

Noch an anderer Stelle findet sich die gleiche theoretisch begründete Doktrin
von der Mordbefugnis, und zwar.aus der Zeit des Pescara, Feldherrn Karl
des Fünften, führt Lamansky in seinen Lecrets ä'IZtat ac Vemse eine Denk¬
schrift an, in der sogar der Fürstenmord in Feindesland als berechtigt und
erlaubt hingestellt wird. "Es ist im Kriege das Vorteilhafteste", heißt es da,
"dem Gegner alle Verbündeten zu nehmen. Auch ist unter den vielen Un¬
gerechtigkeiten, die ein Krieg mit sich bringt, ein Mordanschlag auf die feind¬
lichen Führer und ihre Alliierten noch gerechter, als der Krieg selbst, denn in
dem einen Falle werden nur die getroffen, die den Krieg veranlaßten, in dem
andern Falle aber die an den meisten Kriegen unschuldige Masse."

Während in den ersten Jahrzehnten des sechzehnten Jahrhunderts die
Theorie überwiegend in Erscheinung trat, häufte sich im Laufe des vor¬
schreitender Säkulums die Mordpraxis in so erschreckender Weise, daß z. B. der
Rat der Zehn in Venedig ein besonderes Mordregister in seinen Stadtlisten
anlegte und der venetianische Gesandte sich vor dem Papst in Rom mit den
Worten brüstete: "Wir in Venedig lieben mehr Wirkung als Schaustellung,
nicht Feuer und Flammen, sondern heimlichen Tod."

Italien stand in der Ausübung der macchiavellistischen Theorien allen
anderen Staaten voran, erst die Glaubenskämpfe, die dem politischen Mord des
sechzehnten Jahrhunderts das rechte, abschließende Gepräge geben, übertrugen
ihn auch mehr und mehr auf andere Länder, unter denen sich Frankreich mit
der Bartholomäusnacht, diesem Massenmörder aus religiösen Gründen, für
ewig das schwärzeste Schandmal aufgedrückt hat. Der Beschluß des Augs¬
burger Religionsfriedens: Lulu8 rexio ein8 reliZio war der gesammelte
Ausdruck des absoluten Souveränitätsgedankens, mit dem die Fürsten ihre
Untertanen in ein Bekenntnis hineinzwingen wollten, weil der Haß zwischen
verschiedenen Religionen innerhalb eines Staates ihnen eine Gefahr für sein
Bestehen bedeutete.

Staatsinteresse aber ging allem vor, ihm durfte jedes Mittel dienen, also
auch der Mord. Es ist nachgewiesen, daß Katharina von Medici, die Urheberin
der Bartholomäusnacht von 1572, eine große Vorliebe für Macchiavellis Schriften
besaß, daß sie ihre Söhne in seinen Theorien unterweisen ließ und deren Kenntnis
vom gesamten Hofstaat verlangte.

Auch in den Memoiren von l^a den^uerys findet sich eine hinweisende
Stelle auf den Einfluß Macchiavells: Heinrich von Anjou beruft sich zur
Rechtfertigung der Blutrache auf ihn und gerät dabei scharf aneinander mit
dem Landgrafen von Hessen, "qui lui re8ponäit unA peu ruclement ac
8orde> que I'on entenäait aan8 la rue, n68einand pa8, at8vit-it, un Komme
etre8lieu, qui sai8on S8tat cluäit ^aeemavelli an tout eontralrs aux lois
6u altri8tiaru8me." (Altfranzöstsche Handschrift.)


vom Mordrecht der Gbrigkeit

Staatswohl geopfert werden, die Religion wird zum in8trumentum re^ni,
denn 82in8 publica suprema lex."

Noch an anderer Stelle findet sich die gleiche theoretisch begründete Doktrin
von der Mordbefugnis, und zwar.aus der Zeit des Pescara, Feldherrn Karl
des Fünften, führt Lamansky in seinen Lecrets ä'IZtat ac Vemse eine Denk¬
schrift an, in der sogar der Fürstenmord in Feindesland als berechtigt und
erlaubt hingestellt wird. „Es ist im Kriege das Vorteilhafteste", heißt es da,
„dem Gegner alle Verbündeten zu nehmen. Auch ist unter den vielen Un¬
gerechtigkeiten, die ein Krieg mit sich bringt, ein Mordanschlag auf die feind¬
lichen Führer und ihre Alliierten noch gerechter, als der Krieg selbst, denn in
dem einen Falle werden nur die getroffen, die den Krieg veranlaßten, in dem
andern Falle aber die an den meisten Kriegen unschuldige Masse."

Während in den ersten Jahrzehnten des sechzehnten Jahrhunderts die
Theorie überwiegend in Erscheinung trat, häufte sich im Laufe des vor¬
schreitender Säkulums die Mordpraxis in so erschreckender Weise, daß z. B. der
Rat der Zehn in Venedig ein besonderes Mordregister in seinen Stadtlisten
anlegte und der venetianische Gesandte sich vor dem Papst in Rom mit den
Worten brüstete: „Wir in Venedig lieben mehr Wirkung als Schaustellung,
nicht Feuer und Flammen, sondern heimlichen Tod."

Italien stand in der Ausübung der macchiavellistischen Theorien allen
anderen Staaten voran, erst die Glaubenskämpfe, die dem politischen Mord des
sechzehnten Jahrhunderts das rechte, abschließende Gepräge geben, übertrugen
ihn auch mehr und mehr auf andere Länder, unter denen sich Frankreich mit
der Bartholomäusnacht, diesem Massenmörder aus religiösen Gründen, für
ewig das schwärzeste Schandmal aufgedrückt hat. Der Beschluß des Augs¬
burger Religionsfriedens: Lulu8 rexio ein8 reliZio war der gesammelte
Ausdruck des absoluten Souveränitätsgedankens, mit dem die Fürsten ihre
Untertanen in ein Bekenntnis hineinzwingen wollten, weil der Haß zwischen
verschiedenen Religionen innerhalb eines Staates ihnen eine Gefahr für sein
Bestehen bedeutete.

Staatsinteresse aber ging allem vor, ihm durfte jedes Mittel dienen, also
auch der Mord. Es ist nachgewiesen, daß Katharina von Medici, die Urheberin
der Bartholomäusnacht von 1572, eine große Vorliebe für Macchiavellis Schriften
besaß, daß sie ihre Söhne in seinen Theorien unterweisen ließ und deren Kenntnis
vom gesamten Hofstaat verlangte.

Auch in den Memoiren von l^a den^uerys findet sich eine hinweisende
Stelle auf den Einfluß Macchiavells: Heinrich von Anjou beruft sich zur
Rechtfertigung der Blutrache auf ihn und gerät dabei scharf aneinander mit
dem Landgrafen von Hessen, „qui lui re8ponäit unA peu ruclement ac
8orde> que I'on entenäait aan8 la rue, n68einand pa8, at8vit-it, un Komme
etre8lieu, qui sai8on S8tat cluäit ^aeemavelli an tout eontralrs aux lois
6u altri8tiaru8me." (Altfranzöstsche Handschrift.)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/418>, abgerufen am 15.01.2025.