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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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galt, sondern daß er auch Fühlung mit dem Volke nahm und sich großer Be¬
liebtheit erfreute. Der Posten des Exarchen von Grusien, den Pitirim bis
zuletzt inne hatte, galt als politischer Posten, und zwar als einer der
schwierigsten und seit der Ermordung des Exarchen nitor auch als ein ziemlich
gefährlicher. Man betrachtete den Exarchen von Grusien als hohen russischen
Beamten, der dazu da war, die Russifizierung des Gebietes durch die Kirche
zu unterstützen und, ähnlich wie die Geistlichkeit im Cholmgebiet, die Aufgabe
hatte, die separatistischen Tendenzen der Bevölkerung zu ersticken. -- Pitirim
nun hat sich den Anschein gegeben mit diesen Traditionen zu brechen und da¬
durch die Sympathien der Massen zu erwerben gewußt.

Pressevertretern gegenüber hat er sich dahin geäußert, die Kirche müsse
sich von Politik, insbesondere von Politikastern, so fern wie möglich halten.
Sein eigenes Auftreten läßt aber an der Aufrichtigkeit dieser Ansichten zweifeln,
denn er selbst möchte gern großen Einfluß im politischen Staatsleben haben
und hat ihn schon jetzt. Er gilt als der Freund und Gönner des jetzigen
Ministerpräsidenten Stürmer, und die Berufung des letzteren auf diesen Posten
ist wohl nicht zuletzt sein Werk. Viel besprochen wurde der Besuch des
Metropoliten beim Reichsdumapräsidenten Rodsjanko, der, nach den Erklärungen
des letzteren zu urteilen, schwerlich rein kirchlichen Interessen gegolten hat.
Pitirim ist dabei für baldigsten Zusammentritt der Reichsduma eingetreten und
hat sich damit einen Anhang bei den Blockparteien zu sichern versucht, anderer¬
seits hat er aber durchblicken lassen, daß sich die Duma mit der Durchsicht des
Budgets begnügen und mit der Regierung Hand in Hand gehen sollte.
Rodsjanko ist anscheinend nicht auf den Leim gegangen, Pitirim den Ruhm
des Vermittlers zwischen Regierung und Volk zu lassen. Er hat, wie unter¬
richtete Dumaabgeordnete versichern, dem Metropoliten bedeutet, er trage
Bedenken, die von Pitirim angeregten Fragen in ihrer ganzen Tragweite zu
beleuchten, weil sein Gegenüber in seiner hohen Hierarchenstellung erklärlicher¬
weise in eine allseitige Beurteilung der brennenden politischen Tagesfragen
nicht eintreten könne.

Interessant ist unter diesen Umständen die Stellung der extrem rechten
Parteien zu Pitirim. Sein Hervortreten in den Spalten der "Nowoje Wremja"
in der Frage der Reform der Kirchengemeinde hat in ihren Kreisen geradezu
einen Aufruhr hervorgerufen. In der "Semtschina" ist Pitirim in der Person
eines "Geistlichen" ein strenger Kato erstanden, der die scharfe Kritik Pitirims
an dem Synodalprojekt als einen "Protest gegen eine vom spröd ergangene
Entscheidung" und als "Insubordination" verurteilt und darin die "drohenden
Anzeichen des kirchlichen Raskols" und "Gefahren einer kirchlichen Rebellion"
erblickt. -- Der "Kökökök" hinwiederum, das bekannte Organ der orthodoxen
Geistlichkeit, nimmt den so Angegriffenen warm in Schutz ob seines "kühnen
Hervortretens gegenüber den Strömungen in den obersten kirchlichen Sphären."
Die Partei hat sich mit Pitirim in einer Sondersitzung beschäftigt. Es wurde


galt, sondern daß er auch Fühlung mit dem Volke nahm und sich großer Be¬
liebtheit erfreute. Der Posten des Exarchen von Grusien, den Pitirim bis
zuletzt inne hatte, galt als politischer Posten, und zwar als einer der
schwierigsten und seit der Ermordung des Exarchen nitor auch als ein ziemlich
gefährlicher. Man betrachtete den Exarchen von Grusien als hohen russischen
Beamten, der dazu da war, die Russifizierung des Gebietes durch die Kirche
zu unterstützen und, ähnlich wie die Geistlichkeit im Cholmgebiet, die Aufgabe
hatte, die separatistischen Tendenzen der Bevölkerung zu ersticken. — Pitirim
nun hat sich den Anschein gegeben mit diesen Traditionen zu brechen und da¬
durch die Sympathien der Massen zu erwerben gewußt.

Pressevertretern gegenüber hat er sich dahin geäußert, die Kirche müsse
sich von Politik, insbesondere von Politikastern, so fern wie möglich halten.
Sein eigenes Auftreten läßt aber an der Aufrichtigkeit dieser Ansichten zweifeln,
denn er selbst möchte gern großen Einfluß im politischen Staatsleben haben
und hat ihn schon jetzt. Er gilt als der Freund und Gönner des jetzigen
Ministerpräsidenten Stürmer, und die Berufung des letzteren auf diesen Posten
ist wohl nicht zuletzt sein Werk. Viel besprochen wurde der Besuch des
Metropoliten beim Reichsdumapräsidenten Rodsjanko, der, nach den Erklärungen
des letzteren zu urteilen, schwerlich rein kirchlichen Interessen gegolten hat.
Pitirim ist dabei für baldigsten Zusammentritt der Reichsduma eingetreten und
hat sich damit einen Anhang bei den Blockparteien zu sichern versucht, anderer¬
seits hat er aber durchblicken lassen, daß sich die Duma mit der Durchsicht des
Budgets begnügen und mit der Regierung Hand in Hand gehen sollte.
Rodsjanko ist anscheinend nicht auf den Leim gegangen, Pitirim den Ruhm
des Vermittlers zwischen Regierung und Volk zu lassen. Er hat, wie unter¬
richtete Dumaabgeordnete versichern, dem Metropoliten bedeutet, er trage
Bedenken, die von Pitirim angeregten Fragen in ihrer ganzen Tragweite zu
beleuchten, weil sein Gegenüber in seiner hohen Hierarchenstellung erklärlicher¬
weise in eine allseitige Beurteilung der brennenden politischen Tagesfragen
nicht eintreten könne.

Interessant ist unter diesen Umständen die Stellung der extrem rechten
Parteien zu Pitirim. Sein Hervortreten in den Spalten der „Nowoje Wremja"
in der Frage der Reform der Kirchengemeinde hat in ihren Kreisen geradezu
einen Aufruhr hervorgerufen. In der „Semtschina" ist Pitirim in der Person
eines „Geistlichen" ein strenger Kato erstanden, der die scharfe Kritik Pitirims
an dem Synodalprojekt als einen „Protest gegen eine vom spröd ergangene
Entscheidung" und als „Insubordination" verurteilt und darin die „drohenden
Anzeichen des kirchlichen Raskols" und „Gefahren einer kirchlichen Rebellion"
erblickt. — Der „Kökökök" hinwiederum, das bekannte Organ der orthodoxen
Geistlichkeit, nimmt den so Angegriffenen warm in Schutz ob seines „kühnen
Hervortretens gegenüber den Strömungen in den obersten kirchlichen Sphären."
Die Partei hat sich mit Pitirim in einer Sondersitzung beschäftigt. Es wurde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/398>, abgerufen am 15.01.2025.