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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die wirtschaftliche Annäherung

zoll- und handelspolitischer Zusammenschluß zwischen dem Deutschen Reich und
Österreich-Ungarn eine Angelegenheit sei, für die in erster Linie politische Gründe
im eigentlichen Sinne sprechen, also machtpolitische Erwägungen" . . .

In diesem Zusammenhange mag aus naheliegenden Gründen noch eine
Bemerkung Spiethoffs angeführt werden. Da heißt es in seiner Abhandlung
"Gründe für und wider einen deutsch-österreichisch-ungarischen Zollverband":

"Die Überspannung des ungarischen Strebens nach politischer Selbständig¬
keit hat mit zur Unterschätzung der möglichen Machtentfaltung der Doppel¬
monarchie beigetragen und würde in Zukunft Ungarn zu einem bedeutungslosen
Mittelstaat Herabdrücken, der voraussichtlich nicht einmal die Kraft hätte, sich
selbst zusammenzuhalten. Und gerade so wäre die künstliche ungarische wirt¬
schaftliche Selbständigkeit nur geeignet, der österreichisch-ungarischen Volkswirt¬
schaft ihre großen Entwicklungsmöglichkeiten im Zollverbande abzuschneiden und
Ungarn abzuschließen von der belebenden und stärkenden Arbeitsteilung des
mitteleuropäischen Wirtschaftslebens."

Professor Schumacher-Bonn sieht mit Recht in dem zufälligen Zusammen-
treffen des Krieges mit dem Ablauf unserer Handelsverträge ein Ereignis von
weittragender Bedeutung. Dieses schafft nicht nur die Möglichkeit einer handels¬
politischen Neuregelung, sondern auch ein Bedürfnis danach. Nach ihm, dessen
Abhandlung "Meistbegünstigung und Zollunterscheidung" wiederum den aus¬
gezeichneten Fachmann auf diesem Gebiete erkennen läßt, ist das Zollwesen das
Mittel, die Zentralmächte möglichst miteinander zu verbinden. Hervorzuheben
ist seine Anschauung, es sei ein Irrtum, daß ein Schutzzollsystem an sich die aus¬
ländische Absatzsicherung verhindere. Er hält es für kurzsichtige Verkennung,
daß Schutzzoll und Ausfuhrbeförderung sich wie feindliche Brüder gegenüberstehen.

Wertvoll ist es zu erfahren, wie ein Arbeiter über die Annäherung der Zentral¬
mächte denkt. August Wirrig. der sich in seiner Abhandlung "Die Annäherung
der Zentralmächte und die Arbeiter" selbst als ein solcher bezeichnet (er ist, wie
gesagt, stellvertretender Vorsitzender des deutschen Bauarbeiterverbandes), sagt
wörtlich: "Die politisch denkenden Kreise der deutschen Arbeiterschaft werden es
an der nachdrücklichsten Förderung aller dieser Bestrebungen nicht fehlen lassen."

Wirrig hält die Beseitigung der deutsch-österreichischen landwirtschaftlichen
Zollschranken für wünschenswert und möglich, meint aber, daß die Verhältnisse
für eine Niederlegung der Zollschranken für Erzeugnisse des Gewerbes und der
Industrie ganz bedeutend schwieriger liegen. Jedenfalls hält er es für unbedacht
und gefährlich, im Eiltempo alle Schranken aufzuheben, die seit Menschenaltern
Zwischen der Wirtschaft beider Länder bestehen.

Mehrfach gehen die Verfasser auf die Befürchtung ein, daß die geplante
Annäherung nach Friedensschluß die gemeinsame Handelspolitik in Hochschutz¬
zöllnerische Bahnen lenken könnte. Dadurch würde der Abschluß günstiger zoll-
und handelspolitischer Vereinbarungen mit den jetzt feindlichen und neutralen
Staaten erschwert werden, während doch der preußische Handelsminister treffend


Die wirtschaftliche Annäherung

zoll- und handelspolitischer Zusammenschluß zwischen dem Deutschen Reich und
Österreich-Ungarn eine Angelegenheit sei, für die in erster Linie politische Gründe
im eigentlichen Sinne sprechen, also machtpolitische Erwägungen" . . .

In diesem Zusammenhange mag aus naheliegenden Gründen noch eine
Bemerkung Spiethoffs angeführt werden. Da heißt es in seiner Abhandlung
„Gründe für und wider einen deutsch-österreichisch-ungarischen Zollverband":

„Die Überspannung des ungarischen Strebens nach politischer Selbständig¬
keit hat mit zur Unterschätzung der möglichen Machtentfaltung der Doppel¬
monarchie beigetragen und würde in Zukunft Ungarn zu einem bedeutungslosen
Mittelstaat Herabdrücken, der voraussichtlich nicht einmal die Kraft hätte, sich
selbst zusammenzuhalten. Und gerade so wäre die künstliche ungarische wirt¬
schaftliche Selbständigkeit nur geeignet, der österreichisch-ungarischen Volkswirt¬
schaft ihre großen Entwicklungsmöglichkeiten im Zollverbande abzuschneiden und
Ungarn abzuschließen von der belebenden und stärkenden Arbeitsteilung des
mitteleuropäischen Wirtschaftslebens."

Professor Schumacher-Bonn sieht mit Recht in dem zufälligen Zusammen-
treffen des Krieges mit dem Ablauf unserer Handelsverträge ein Ereignis von
weittragender Bedeutung. Dieses schafft nicht nur die Möglichkeit einer handels¬
politischen Neuregelung, sondern auch ein Bedürfnis danach. Nach ihm, dessen
Abhandlung „Meistbegünstigung und Zollunterscheidung" wiederum den aus¬
gezeichneten Fachmann auf diesem Gebiete erkennen läßt, ist das Zollwesen das
Mittel, die Zentralmächte möglichst miteinander zu verbinden. Hervorzuheben
ist seine Anschauung, es sei ein Irrtum, daß ein Schutzzollsystem an sich die aus¬
ländische Absatzsicherung verhindere. Er hält es für kurzsichtige Verkennung,
daß Schutzzoll und Ausfuhrbeförderung sich wie feindliche Brüder gegenüberstehen.

Wertvoll ist es zu erfahren, wie ein Arbeiter über die Annäherung der Zentral¬
mächte denkt. August Wirrig. der sich in seiner Abhandlung „Die Annäherung
der Zentralmächte und die Arbeiter" selbst als ein solcher bezeichnet (er ist, wie
gesagt, stellvertretender Vorsitzender des deutschen Bauarbeiterverbandes), sagt
wörtlich: „Die politisch denkenden Kreise der deutschen Arbeiterschaft werden es
an der nachdrücklichsten Förderung aller dieser Bestrebungen nicht fehlen lassen."

Wirrig hält die Beseitigung der deutsch-österreichischen landwirtschaftlichen
Zollschranken für wünschenswert und möglich, meint aber, daß die Verhältnisse
für eine Niederlegung der Zollschranken für Erzeugnisse des Gewerbes und der
Industrie ganz bedeutend schwieriger liegen. Jedenfalls hält er es für unbedacht
und gefährlich, im Eiltempo alle Schranken aufzuheben, die seit Menschenaltern
Zwischen der Wirtschaft beider Länder bestehen.

Mehrfach gehen die Verfasser auf die Befürchtung ein, daß die geplante
Annäherung nach Friedensschluß die gemeinsame Handelspolitik in Hochschutz¬
zöllnerische Bahnen lenken könnte. Dadurch würde der Abschluß günstiger zoll-
und handelspolitischer Vereinbarungen mit den jetzt feindlichen und neutralen
Staaten erschwert werden, während doch der preußische Handelsminister treffend


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[0393] Die wirtschaftliche Annäherung zoll- und handelspolitischer Zusammenschluß zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn eine Angelegenheit sei, für die in erster Linie politische Gründe im eigentlichen Sinne sprechen, also machtpolitische Erwägungen" . . . In diesem Zusammenhange mag aus naheliegenden Gründen noch eine Bemerkung Spiethoffs angeführt werden. Da heißt es in seiner Abhandlung „Gründe für und wider einen deutsch-österreichisch-ungarischen Zollverband": „Die Überspannung des ungarischen Strebens nach politischer Selbständig¬ keit hat mit zur Unterschätzung der möglichen Machtentfaltung der Doppel¬ monarchie beigetragen und würde in Zukunft Ungarn zu einem bedeutungslosen Mittelstaat Herabdrücken, der voraussichtlich nicht einmal die Kraft hätte, sich selbst zusammenzuhalten. Und gerade so wäre die künstliche ungarische wirt¬ schaftliche Selbständigkeit nur geeignet, der österreichisch-ungarischen Volkswirt¬ schaft ihre großen Entwicklungsmöglichkeiten im Zollverbande abzuschneiden und Ungarn abzuschließen von der belebenden und stärkenden Arbeitsteilung des mitteleuropäischen Wirtschaftslebens." Professor Schumacher-Bonn sieht mit Recht in dem zufälligen Zusammen- treffen des Krieges mit dem Ablauf unserer Handelsverträge ein Ereignis von weittragender Bedeutung. Dieses schafft nicht nur die Möglichkeit einer handels¬ politischen Neuregelung, sondern auch ein Bedürfnis danach. Nach ihm, dessen Abhandlung „Meistbegünstigung und Zollunterscheidung" wiederum den aus¬ gezeichneten Fachmann auf diesem Gebiete erkennen läßt, ist das Zollwesen das Mittel, die Zentralmächte möglichst miteinander zu verbinden. Hervorzuheben ist seine Anschauung, es sei ein Irrtum, daß ein Schutzzollsystem an sich die aus¬ ländische Absatzsicherung verhindere. Er hält es für kurzsichtige Verkennung, daß Schutzzoll und Ausfuhrbeförderung sich wie feindliche Brüder gegenüberstehen. Wertvoll ist es zu erfahren, wie ein Arbeiter über die Annäherung der Zentral¬ mächte denkt. August Wirrig. der sich in seiner Abhandlung „Die Annäherung der Zentralmächte und die Arbeiter" selbst als ein solcher bezeichnet (er ist, wie gesagt, stellvertretender Vorsitzender des deutschen Bauarbeiterverbandes), sagt wörtlich: „Die politisch denkenden Kreise der deutschen Arbeiterschaft werden es an der nachdrücklichsten Förderung aller dieser Bestrebungen nicht fehlen lassen." Wirrig hält die Beseitigung der deutsch-österreichischen landwirtschaftlichen Zollschranken für wünschenswert und möglich, meint aber, daß die Verhältnisse für eine Niederlegung der Zollschranken für Erzeugnisse des Gewerbes und der Industrie ganz bedeutend schwieriger liegen. Jedenfalls hält er es für unbedacht und gefährlich, im Eiltempo alle Schranken aufzuheben, die seit Menschenaltern Zwischen der Wirtschaft beider Länder bestehen. Mehrfach gehen die Verfasser auf die Befürchtung ein, daß die geplante Annäherung nach Friedensschluß die gemeinsame Handelspolitik in Hochschutz¬ zöllnerische Bahnen lenken könnte. Dadurch würde der Abschluß günstiger zoll- und handelspolitischer Vereinbarungen mit den jetzt feindlichen und neutralen Staaten erschwert werden, während doch der preußische Handelsminister treffend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/393>, abgerufen am 15.01.2025.