Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Die wirtschaftliche Annäherung Eine für uns sehr interessante Untersuchung liefert der Prager Professor Auch der Handelsminister Exzellenz Sydow scheint nach seinen Aus¬ Auch Professor Eßlen wird angesichts jener zahlreichen Stimmen aus Die wirtschaftliche Annäherung Eine für uns sehr interessante Untersuchung liefert der Prager Professor Auch der Handelsminister Exzellenz Sydow scheint nach seinen Aus¬ Auch Professor Eßlen wird angesichts jener zahlreichen Stimmen aus <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0392" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330060"/> <fw type="header" place="top"> Die wirtschaftliche Annäherung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1330"> Eine für uns sehr interessante Untersuchung liefert der Prager Professor<lb/> Spiethoff. Nach ihm kommt — das ist übrigens die allgemein im ganzen<lb/> Werke vertretene Ansicht — für keine der beteiligten Mächte eine reine Zollunion<lb/> mit ganz freiem inneren Markt in Frage, dagegen hält er eine zollpolitische<lb/> Annäherung durch möglichste Vergrößerung der Liste zollfreier Güter und<lb/> Vorzugsbehandlung sür erstrebenswert. Eulenburg lehnt in seiner Ab¬<lb/> handlung „Die Stellung der deutschen Industrie zum wirtschaftlichen Zweibund"<lb/> einen Zollbund mit Zwischenzolllinie und einer prinzipiellen Vorzugsbehandlung<lb/> ab und spricht sich vielmehr für eine wirtschaftliche Annäherung in Form eines<lb/> Tarifvertrages auf erweiterter Grundlage mit allgemeiner Meistbegünstigung<lb/> aus. Eulenburg hat gewiß mit seiner Bemerkung recht, daß in der Mehr¬<lb/> zahl der bisherigen Äußerungen über die künftige Gestaltung der Beziehungen<lb/> zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn das rein politische Argument —<lb/> nicht eben zum Vorteil der Sache — die Hauptrolle spielt. Dagegen scheint<lb/> er das Gewicht der Stimmen, die sich auch außerhalb Deutschlands bereits für<lb/> eine wirtschaftliche Annäherung der Verbündeten ausgesprochen haben, zu unter¬<lb/> schätzen. Eulenburg, der mit Recht die praktischen Bedürfnisse von Handel und<lb/> Gewerbe als naturgemäß maßgebend für Form und Umfang der Annäherung<lb/> hinstellt, wird mit Interesse den sehr wirksamen Abschnitt, den Professor Kobatsch,<lb/> der Generalsekretär des Niederösterreichischen Gewerbevereins, der praktische Ziele<lb/> rin praktischen Mitteln verfolgt, seiner Abhandlung über „Die Stellungnahme<lb/> der Industrie und der Gewerbe Österreichs zur wirtschaftlichen Annäherung"<lb/> anhängt, lesen. Hier find viele Stimmen weiter gewerblicher österreichisch¬<lb/> ungarischer Kreise, die natürlich aus dem Boden jener praktischen Forderung<lb/> Eulenburgs stehen, angeführt. Also auch dort nicht mehr nur Theorie, Sen-<lb/> timent und Gemüt, sondern praktische Erkenntnis von Handel und Gewerbe,<lb/> wie in den entsprechenden deutschen Kreisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1331"> Auch der Handelsminister Exzellenz Sydow scheint nach seinen Aus¬<lb/> führungen vom 19. Februar diese österreichisch-ungarischen Stimmen zu unter¬<lb/> schätzen. Wenn er meint, Deutschland solle die Entwicklung der Dinge in<lb/> Österreich-Ungarn erst einmal mit einiger Ruhe abwarten, so wird das nicht<lb/> jeder vollinhaltlich unterschreiben. Warum prinzipiell warten und dem anderen<lb/> den Vortritt lassen? Es hat sich die Erkenntnis durchgerungen, daß es unter<lb/> Umstünden sehr empfehlenswert ist, sich resolut an die Spitze einer großen<lb/> Bewegung zu stellen und die Leitung in die Hand zu nehmen. Es soll aber<lb/> keineswegs verkannt werden, daß sich der Minister mit Rücksicht auf feindliche<lb/> und neutrale Länder eine große Zurückhaltung auferlegen muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_1332" next="#ID_1333"> Auch Professor Eßlen wird angesichts jener zahlreichen Stimmen aus<lb/> Gewerbe, Handel und Industrie, die heute aus wirtschaftsprakttschen Gründen<lb/> diese Annäherung — weil sie sich von ihr eine praktische wirtschaftliche Förderung<lb/> versprechen — fordern, den Satz seiner Abhandlung „Die deutsche Land¬<lb/> wirtschaft" nicht im ganzen Umfange aufrecht erhalten können, „daß ein enger</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0392]
Die wirtschaftliche Annäherung
Eine für uns sehr interessante Untersuchung liefert der Prager Professor
Spiethoff. Nach ihm kommt — das ist übrigens die allgemein im ganzen
Werke vertretene Ansicht — für keine der beteiligten Mächte eine reine Zollunion
mit ganz freiem inneren Markt in Frage, dagegen hält er eine zollpolitische
Annäherung durch möglichste Vergrößerung der Liste zollfreier Güter und
Vorzugsbehandlung sür erstrebenswert. Eulenburg lehnt in seiner Ab¬
handlung „Die Stellung der deutschen Industrie zum wirtschaftlichen Zweibund"
einen Zollbund mit Zwischenzolllinie und einer prinzipiellen Vorzugsbehandlung
ab und spricht sich vielmehr für eine wirtschaftliche Annäherung in Form eines
Tarifvertrages auf erweiterter Grundlage mit allgemeiner Meistbegünstigung
aus. Eulenburg hat gewiß mit seiner Bemerkung recht, daß in der Mehr¬
zahl der bisherigen Äußerungen über die künftige Gestaltung der Beziehungen
zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn das rein politische Argument —
nicht eben zum Vorteil der Sache — die Hauptrolle spielt. Dagegen scheint
er das Gewicht der Stimmen, die sich auch außerhalb Deutschlands bereits für
eine wirtschaftliche Annäherung der Verbündeten ausgesprochen haben, zu unter¬
schätzen. Eulenburg, der mit Recht die praktischen Bedürfnisse von Handel und
Gewerbe als naturgemäß maßgebend für Form und Umfang der Annäherung
hinstellt, wird mit Interesse den sehr wirksamen Abschnitt, den Professor Kobatsch,
der Generalsekretär des Niederösterreichischen Gewerbevereins, der praktische Ziele
rin praktischen Mitteln verfolgt, seiner Abhandlung über „Die Stellungnahme
der Industrie und der Gewerbe Österreichs zur wirtschaftlichen Annäherung"
anhängt, lesen. Hier find viele Stimmen weiter gewerblicher österreichisch¬
ungarischer Kreise, die natürlich aus dem Boden jener praktischen Forderung
Eulenburgs stehen, angeführt. Also auch dort nicht mehr nur Theorie, Sen-
timent und Gemüt, sondern praktische Erkenntnis von Handel und Gewerbe,
wie in den entsprechenden deutschen Kreisen.
Auch der Handelsminister Exzellenz Sydow scheint nach seinen Aus¬
führungen vom 19. Februar diese österreichisch-ungarischen Stimmen zu unter¬
schätzen. Wenn er meint, Deutschland solle die Entwicklung der Dinge in
Österreich-Ungarn erst einmal mit einiger Ruhe abwarten, so wird das nicht
jeder vollinhaltlich unterschreiben. Warum prinzipiell warten und dem anderen
den Vortritt lassen? Es hat sich die Erkenntnis durchgerungen, daß es unter
Umstünden sehr empfehlenswert ist, sich resolut an die Spitze einer großen
Bewegung zu stellen und die Leitung in die Hand zu nehmen. Es soll aber
keineswegs verkannt werden, daß sich der Minister mit Rücksicht auf feindliche
und neutrale Länder eine große Zurückhaltung auferlegen muß.
Auch Professor Eßlen wird angesichts jener zahlreichen Stimmen aus
Gewerbe, Handel und Industrie, die heute aus wirtschaftsprakttschen Gründen
diese Annäherung — weil sie sich von ihr eine praktische wirtschaftliche Förderung
versprechen — fordern, den Satz seiner Abhandlung „Die deutsche Land¬
wirtschaft" nicht im ganzen Umfange aufrecht erhalten können, „daß ein enger
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