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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Staatenbund von Nordeuroxa

gemeinsamen Interesses vereinigten. Man darf erwarten, daß Papst Benedikt
bei diesem Erfolge nicht stehen bleiben wird. Alle seine Kundgebungen lassen
erkennen, daß er Herzensgüte mit Weltklugheit und Beharrlichkeit vereinigt.
Deswegen verdient auch der Versuch, Belgien zum Einlenken zu bestimmen,
ernste Beachtung. Er dürfte auf der Erwägung beruhen, daß die Lösung der
belgischen Frage den Anfang und die Vorbedingung des allgemeinen Friedens¬
schlusses bilden müsse. Heute besteht ja kein Zweifel mehr darüber, wie es
gekommen ist, daß Belgien an dem Streit der Großmächte teilnahm. Dem
fortgesetzten Drängen Englands und Frankreichs gegenüber war der belgische
Kleinstaat mit seinen sieben Millionen Einwohnern ohnmächtig; seine General-
stabsschefs Ducarme und Jungbluth verloren gegenüber den englischen Militär¬
attaches Barnadiston und Bridges. die sie seit dem Januar 1906 rücksichtslos
bestürmten, allmählich jede Widerstandskraft, bis Belgien am 23. April 1912
den Schlag ins Gesicht hinnehmen mußte, den ihm der Oberstleutenant Bridges
versetzte. (Vergleiche "Staatenbund von Nordemopa" in den Grenzboten vom
13. Januar 1915, Seite 47 ff,) Nie ist bekannt geworden, daß Belgien bei
seiner erzwungenen Stellungnahme ernsthaft eigene Interessen verfolgt hätte.
Es war und ist der Spielball fremder Mächte. So aus der natürlichen
Schwäche des Kleinstaats, erklärt es sich, daß dieses Land unter den Schrecken
des Krieges mehr zu leiden hatte, als irgend ein anderes. Daß diese Leiden
bei der Bevölkerung, wie bei der Negierung Erbitterung hervorgerufen haben,
läßt sich verstehen. Die naheliegende Befürchtung, das bisher doch dem Namen
nach unabhängige Land werde beim Friedensschluß einfach dem Deutschen
Reich einverleibt werden, konnte auch nicht zur Beruhigung der erregten Ge¬
müter und zur Anbahnung einer Verständigung beitragen. Aus diesen und
naheliegenden anderen Gründen läßt es sich begreifen, wenn der Versuch, den
König Albert zur Einleitung von Friedensverhandlungen zu veranlassen, ohne
Ergebnis geblieben ist. Es wird sich fragen, ob diese Sachlage durch die Er¬
öffnungen des deutschen Reichskanzlers in der Sitzung des Reichstages vom
10. Dezember 1915 eine Änderung erfahren hat. Der Reichskanzler erklärte:
Die Feinde im Osten und Westen sollen nach dem Friedensschluß nicht mehr
über Emfallstore verfügen, durch die sie uns künftig von neuem bedrohen.
Auch dagegen müssen wir uns sichern, daß England und Frankreich in
Zukunft Belgien als ihr Aufmarschgebiet betrachten können. Welche Garantien
wir in der belgischen Frage fordern werden, läßt sich nicht bestimmen. Doch
werden die Garantieen um so stärker sein müssen, je erbitterter wir noch be-
kämpft werden sollten. Aus den Worten läßt sich nicht entnehmen, daß die
deutsche Regierung eine Einverleibung Belgiens für unerläßlich erachtet. Un¬
erläßlich erscheinen hingegen Garantien politischer und militärischer Natur dafür,
daß Belgien in Zukunft nicht mehr das Aufmarschgebiet der Engländer und
Franzosen darstellt. Welche Garantien zu fordern sind, soll bis zu einem ge¬
wissen Grade davon abhängig gemacht werden, wie sich Belgien im weiteren


Staatenbund von Nordeuroxa

gemeinsamen Interesses vereinigten. Man darf erwarten, daß Papst Benedikt
bei diesem Erfolge nicht stehen bleiben wird. Alle seine Kundgebungen lassen
erkennen, daß er Herzensgüte mit Weltklugheit und Beharrlichkeit vereinigt.
Deswegen verdient auch der Versuch, Belgien zum Einlenken zu bestimmen,
ernste Beachtung. Er dürfte auf der Erwägung beruhen, daß die Lösung der
belgischen Frage den Anfang und die Vorbedingung des allgemeinen Friedens¬
schlusses bilden müsse. Heute besteht ja kein Zweifel mehr darüber, wie es
gekommen ist, daß Belgien an dem Streit der Großmächte teilnahm. Dem
fortgesetzten Drängen Englands und Frankreichs gegenüber war der belgische
Kleinstaat mit seinen sieben Millionen Einwohnern ohnmächtig; seine General-
stabsschefs Ducarme und Jungbluth verloren gegenüber den englischen Militär¬
attaches Barnadiston und Bridges. die sie seit dem Januar 1906 rücksichtslos
bestürmten, allmählich jede Widerstandskraft, bis Belgien am 23. April 1912
den Schlag ins Gesicht hinnehmen mußte, den ihm der Oberstleutenant Bridges
versetzte. (Vergleiche „Staatenbund von Nordemopa" in den Grenzboten vom
13. Januar 1915, Seite 47 ff,) Nie ist bekannt geworden, daß Belgien bei
seiner erzwungenen Stellungnahme ernsthaft eigene Interessen verfolgt hätte.
Es war und ist der Spielball fremder Mächte. So aus der natürlichen
Schwäche des Kleinstaats, erklärt es sich, daß dieses Land unter den Schrecken
des Krieges mehr zu leiden hatte, als irgend ein anderes. Daß diese Leiden
bei der Bevölkerung, wie bei der Negierung Erbitterung hervorgerufen haben,
läßt sich verstehen. Die naheliegende Befürchtung, das bisher doch dem Namen
nach unabhängige Land werde beim Friedensschluß einfach dem Deutschen
Reich einverleibt werden, konnte auch nicht zur Beruhigung der erregten Ge¬
müter und zur Anbahnung einer Verständigung beitragen. Aus diesen und
naheliegenden anderen Gründen läßt es sich begreifen, wenn der Versuch, den
König Albert zur Einleitung von Friedensverhandlungen zu veranlassen, ohne
Ergebnis geblieben ist. Es wird sich fragen, ob diese Sachlage durch die Er¬
öffnungen des deutschen Reichskanzlers in der Sitzung des Reichstages vom
10. Dezember 1915 eine Änderung erfahren hat. Der Reichskanzler erklärte:
Die Feinde im Osten und Westen sollen nach dem Friedensschluß nicht mehr
über Emfallstore verfügen, durch die sie uns künftig von neuem bedrohen.
Auch dagegen müssen wir uns sichern, daß England und Frankreich in
Zukunft Belgien als ihr Aufmarschgebiet betrachten können. Welche Garantien
wir in der belgischen Frage fordern werden, läßt sich nicht bestimmen. Doch
werden die Garantieen um so stärker sein müssen, je erbitterter wir noch be-
kämpft werden sollten. Aus den Worten läßt sich nicht entnehmen, daß die
deutsche Regierung eine Einverleibung Belgiens für unerläßlich erachtet. Un¬
erläßlich erscheinen hingegen Garantien politischer und militärischer Natur dafür,
daß Belgien in Zukunft nicht mehr das Aufmarschgebiet der Engländer und
Franzosen darstellt. Welche Garantien zu fordern sind, soll bis zu einem ge¬
wissen Grade davon abhängig gemacht werden, wie sich Belgien im weiteren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/38>, abgerufen am 15.01.2025.