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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die Macht des amerikanischen Präsidenten

Lincoln ist übrigens der einzige amerikanische Präsident, der jemals in dieser
Eigenschaft im feindlichen Feuer (bei Fort Stevens) gestanden hat.

Die Geschichte der amerikanischen Präsidenten ist reich an Beispielen von
der Auffassung und Ausübung ihrer Macht in Übereinstimmung mit oder im
Gegensatz zur Verfassung. So gab Cleveland der Exekutivgewalt eine neue
Richtung, als er, ohne die Aufforderung des Staates Illinois abzuwarten, an¬
läßlich des großen Eismbahnerstreiks (Veb8 roth) im Jahre 1894 Truppen
nach Chikago zum Schutze der Vereinigten Staatenpost beorderte. Clevelcmds
Einfluß reichte noch über seine Amtszeit hinaus und kein Geringerer als
Roosevelt ging ihm einmal direkt aus dem Wege. Für mich knüpft sich an
diesen Vorfall eine besondere Erinnerung. Ich war nach Se. Louis gereist,
um den Eröffnungsfeierlichkeiten der Weltausstellung beizuwohnen. Der
ursprünglichen Vereinbarung entgegen blieb Roosevelt dem zu Ehren der Presse
veranstalteten Festmahle fern. Es war ihm zu Ohren gekommen, daß Cleveland
in seiner Bankettrede den Republikanern die Leviten zu lesen beabsichtigte.
Tatsächlich zog Cleveland gegen die republikanische Partie so scharf zu Felde,
daß der "Präsidentenmacher" Marc Hanna sich entrüstet von der Tafel erhob
und den Saal verließ. AIs Roosevelt später bei den Feierlichkeiten wegen
des lauten Stimmengewirrs in dem riesengroßen Ausstellungspalast nicht zu
Worte kommen konnte, schwang er sich plötzlich leicht und behende auf die
Brüstung der Tribüne, nahm eine theatralische Haltung an und rief mit
Stentorstimme in den Saal: "Vo^, Aivs me all tus elianes ^on can, !
neeci ni" (Jungens, laßt mich doch zu Worte kommen, ich Hab's nötigI)
Damit wollte Roosevelt zum Ausdruck bringen, daß er für die bevorstehende
Präsidentschastskampagne noch -- Reklame brauchte. In Gegenwart sämtlicher
diplomatischer Vertreter des Auslandes, die mit ihn: auf der Tribüne saßen!

Als Cleveland seinem Sekretär Thurber die berühmte Venezuelabotschaft
an den Kongreß vorlas und Thurber Bedenken wegen ihrer Schärfe äußerte,
erwiderte der Präsident: "Thurber, ich kenne meine englischen Pappenheimer,
darauf gibt's keinen Krieg, sondern ein Schiedsgericht." Am 12. November
1896 erfolgte der Schiedsspruch und Cleveland war gerechtfertigt.

Me Kinley, eine fruchtsame und berechnende Persönlichkeit, verdankte seinen
Einfluß nur seinen fähigen Kabinettsmitgliedern. Mit fast an Verzweiflung
grenzenden Bemühungen suchte er den Konflikt mit Spanien zu verhindern,
aber der Wille der Völker war stärker als der Märtyrerpräsident. AIs Cleve¬
land ihn nach der Inauguration nach dem Weißen Hause begleitete, sagte
McKinley: "Ich flehe zu Gott, daß es mit Spanien nicht zum Kriege kommt!"

Als der inzwischen verstorbene mexikanische Präsident Huerta sich weigerte,
der Forderung des Admirals Mayo nachzukommen, der amerikanischen Flagge
den Salut zu erweisen, übermittelte Präsident Wilson am 20. April 1914 dem
Kongreß eine Botschaft, in der folgender Passus vorkam: "Ich könnte
zweifellos, um für unser Land die verlangte Genugtuung zu erzwingen, sofort


Die Macht des amerikanischen Präsidenten

Lincoln ist übrigens der einzige amerikanische Präsident, der jemals in dieser
Eigenschaft im feindlichen Feuer (bei Fort Stevens) gestanden hat.

Die Geschichte der amerikanischen Präsidenten ist reich an Beispielen von
der Auffassung und Ausübung ihrer Macht in Übereinstimmung mit oder im
Gegensatz zur Verfassung. So gab Cleveland der Exekutivgewalt eine neue
Richtung, als er, ohne die Aufforderung des Staates Illinois abzuwarten, an¬
läßlich des großen Eismbahnerstreiks (Veb8 roth) im Jahre 1894 Truppen
nach Chikago zum Schutze der Vereinigten Staatenpost beorderte. Clevelcmds
Einfluß reichte noch über seine Amtszeit hinaus und kein Geringerer als
Roosevelt ging ihm einmal direkt aus dem Wege. Für mich knüpft sich an
diesen Vorfall eine besondere Erinnerung. Ich war nach Se. Louis gereist,
um den Eröffnungsfeierlichkeiten der Weltausstellung beizuwohnen. Der
ursprünglichen Vereinbarung entgegen blieb Roosevelt dem zu Ehren der Presse
veranstalteten Festmahle fern. Es war ihm zu Ohren gekommen, daß Cleveland
in seiner Bankettrede den Republikanern die Leviten zu lesen beabsichtigte.
Tatsächlich zog Cleveland gegen die republikanische Partie so scharf zu Felde,
daß der „Präsidentenmacher" Marc Hanna sich entrüstet von der Tafel erhob
und den Saal verließ. AIs Roosevelt später bei den Feierlichkeiten wegen
des lauten Stimmengewirrs in dem riesengroßen Ausstellungspalast nicht zu
Worte kommen konnte, schwang er sich plötzlich leicht und behende auf die
Brüstung der Tribüne, nahm eine theatralische Haltung an und rief mit
Stentorstimme in den Saal: „Vo^, Aivs me all tus elianes ^on can, !
neeci ni" (Jungens, laßt mich doch zu Worte kommen, ich Hab's nötigI)
Damit wollte Roosevelt zum Ausdruck bringen, daß er für die bevorstehende
Präsidentschastskampagne noch — Reklame brauchte. In Gegenwart sämtlicher
diplomatischer Vertreter des Auslandes, die mit ihn: auf der Tribüne saßen!

Als Cleveland seinem Sekretär Thurber die berühmte Venezuelabotschaft
an den Kongreß vorlas und Thurber Bedenken wegen ihrer Schärfe äußerte,
erwiderte der Präsident: „Thurber, ich kenne meine englischen Pappenheimer,
darauf gibt's keinen Krieg, sondern ein Schiedsgericht." Am 12. November
1896 erfolgte der Schiedsspruch und Cleveland war gerechtfertigt.

Me Kinley, eine fruchtsame und berechnende Persönlichkeit, verdankte seinen
Einfluß nur seinen fähigen Kabinettsmitgliedern. Mit fast an Verzweiflung
grenzenden Bemühungen suchte er den Konflikt mit Spanien zu verhindern,
aber der Wille der Völker war stärker als der Märtyrerpräsident. AIs Cleve¬
land ihn nach der Inauguration nach dem Weißen Hause begleitete, sagte
McKinley: „Ich flehe zu Gott, daß es mit Spanien nicht zum Kriege kommt!"

Als der inzwischen verstorbene mexikanische Präsident Huerta sich weigerte,
der Forderung des Admirals Mayo nachzukommen, der amerikanischen Flagge
den Salut zu erweisen, übermittelte Präsident Wilson am 20. April 1914 dem
Kongreß eine Botschaft, in der folgender Passus vorkam: „Ich könnte
zweifellos, um für unser Land die verlangte Genugtuung zu erzwingen, sofort


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[0359] Die Macht des amerikanischen Präsidenten Lincoln ist übrigens der einzige amerikanische Präsident, der jemals in dieser Eigenschaft im feindlichen Feuer (bei Fort Stevens) gestanden hat. Die Geschichte der amerikanischen Präsidenten ist reich an Beispielen von der Auffassung und Ausübung ihrer Macht in Übereinstimmung mit oder im Gegensatz zur Verfassung. So gab Cleveland der Exekutivgewalt eine neue Richtung, als er, ohne die Aufforderung des Staates Illinois abzuwarten, an¬ läßlich des großen Eismbahnerstreiks (Veb8 roth) im Jahre 1894 Truppen nach Chikago zum Schutze der Vereinigten Staatenpost beorderte. Clevelcmds Einfluß reichte noch über seine Amtszeit hinaus und kein Geringerer als Roosevelt ging ihm einmal direkt aus dem Wege. Für mich knüpft sich an diesen Vorfall eine besondere Erinnerung. Ich war nach Se. Louis gereist, um den Eröffnungsfeierlichkeiten der Weltausstellung beizuwohnen. Der ursprünglichen Vereinbarung entgegen blieb Roosevelt dem zu Ehren der Presse veranstalteten Festmahle fern. Es war ihm zu Ohren gekommen, daß Cleveland in seiner Bankettrede den Republikanern die Leviten zu lesen beabsichtigte. Tatsächlich zog Cleveland gegen die republikanische Partie so scharf zu Felde, daß der „Präsidentenmacher" Marc Hanna sich entrüstet von der Tafel erhob und den Saal verließ. AIs Roosevelt später bei den Feierlichkeiten wegen des lauten Stimmengewirrs in dem riesengroßen Ausstellungspalast nicht zu Worte kommen konnte, schwang er sich plötzlich leicht und behende auf die Brüstung der Tribüne, nahm eine theatralische Haltung an und rief mit Stentorstimme in den Saal: „Vo^, Aivs me all tus elianes ^on can, ! neeci ni" (Jungens, laßt mich doch zu Worte kommen, ich Hab's nötigI) Damit wollte Roosevelt zum Ausdruck bringen, daß er für die bevorstehende Präsidentschastskampagne noch — Reklame brauchte. In Gegenwart sämtlicher diplomatischer Vertreter des Auslandes, die mit ihn: auf der Tribüne saßen! Als Cleveland seinem Sekretär Thurber die berühmte Venezuelabotschaft an den Kongreß vorlas und Thurber Bedenken wegen ihrer Schärfe äußerte, erwiderte der Präsident: „Thurber, ich kenne meine englischen Pappenheimer, darauf gibt's keinen Krieg, sondern ein Schiedsgericht." Am 12. November 1896 erfolgte der Schiedsspruch und Cleveland war gerechtfertigt. Me Kinley, eine fruchtsame und berechnende Persönlichkeit, verdankte seinen Einfluß nur seinen fähigen Kabinettsmitgliedern. Mit fast an Verzweiflung grenzenden Bemühungen suchte er den Konflikt mit Spanien zu verhindern, aber der Wille der Völker war stärker als der Märtyrerpräsident. AIs Cleve¬ land ihn nach der Inauguration nach dem Weißen Hause begleitete, sagte McKinley: „Ich flehe zu Gott, daß es mit Spanien nicht zum Kriege kommt!" Als der inzwischen verstorbene mexikanische Präsident Huerta sich weigerte, der Forderung des Admirals Mayo nachzukommen, der amerikanischen Flagge den Salut zu erweisen, übermittelte Präsident Wilson am 20. April 1914 dem Kongreß eine Botschaft, in der folgender Passus vorkam: „Ich könnte zweifellos, um für unser Land die verlangte Genugtuung zu erzwingen, sofort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/359>, abgerufen am 15.01.2025.