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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Kritisches zur Rriegskriminalität der Jugendlichen

bisher schon vorhandenen und betätigten verbrecherischen Energie zu sprechen.
Zwar fehlen noch alle eingehenderen Mitteilungen darüber, in welchem Umfange
die Zahlen der Kriegskriminalität sich auf derartige Handlungen beziehen, die
erst durch das Kriegsstrafrecht das Merkmal des Strafbaren aufgeprägt erhalten
haben. Immerhin lassen einige mir bekannte Angaben vermuten, daß dieser
Anteil des Kriegsstrafrechts an den Ziffern der Kriegskriminalität der Jugend¬
lichen ein recht beträchtlicher sein wird.

Ferner muß man gleichfalls damit rechnen, daß die kriminelle Reizbarkeit
der unmittelbar durch eine Straftat Verletzten, vielleicht auch die Reizbarkeit
der Polizeibeamten, im Laufe des Krieges aus verschiedenen Gründen größer
geworden ist, als sie nicht nur in den ersten Monaten des Krieges war. sondern
auch in der Zeit vorher. Diese.Steigerung der kriminellen Reizbarkeit, mit
der man allem Anschein nach ernstlich rechnen muß, würde es bewirken, daß
selbst Lappalien, die man in normalen Zeiten ruhig auf sich beruhen lassen
würde, Straftaten oder Ungezogenheiten, derenwegen man höchstens den Eltern
oder dem Lehrer Anzeige machen, die man aber mit Recht einer gericht¬
lichen Ahndung nicht für wert erachten würde, angezeigt und verfolgt werden.
In meinem Material finden sich verschiedene derartige traurige Fälle.

Will man die Kriegskriminalität der Jugendlichen richtig einschätzen, so
muß man endlich noch berücksichtigen, daß nach einwandfreien Mitteilungen auch
kein Zweifel darüber bestehen kann, daß der Krieg bei einem Teile der Jugend-
lichen, und zwar auch bei Jugendlichen, die verwahrlost oder gar schon bestraft
waren, auch sittlich bessernd gewirkt hat. Wird es sich in vielen derartigen
Fällen auch nur um eine vorübergehende Besserung handeln, so ist doch anderer¬
seits mit Sicherheit anzunehmen, daß auch ein nicht geringer Teil der Jugend¬
lichen sich auch in der Zukunft bewähren wird. Dies gilt vor allem auch von
den freiwillig in das Heer eingetretenen Fürsorgezöglingen und früheren Ge¬
fangenen, die durch die Schule des Krieges gegangen und hier geläutert
worden sind.

Diese verschiedenen Momente, die noch einer näheren Erforschung bedürfen,
führen uns zu dem Ergebnis, daß das Gesamtbild des verwahrlosenden Ein¬
flusses des Krieges, wie er in dem Anwachsen der jugendlichen Kriminalität
zum Ausdruck kommt, günstiger sein dürfte, als die bisher veröffentlichten
statistischen Angaben vermuten lassen.

Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, daß andere Materialien ge¬
rade den entgegengesetzten Schluß nahezulegen scheinen.

Hierher gehört die Tatsache, daß ein großer Teil der sechzehnjähriger
und siebzehnjährigen, welche sonst den größten Anteil an der jugendlichen
Kriminalität zu haben pflegen, sich freiwillig in den Dienst des Vaterlandes
gestellt haben und damit ohne weiteres aus den Zahlen der Jugendgerichte
ausscheiden, da sie der Militärgerichtsbarkeit unterstehen. Wenn man die Zahlen
der während des Krieges straffällig gewordenen Jugendlichen mit den in den


Kritisches zur Rriegskriminalität der Jugendlichen

bisher schon vorhandenen und betätigten verbrecherischen Energie zu sprechen.
Zwar fehlen noch alle eingehenderen Mitteilungen darüber, in welchem Umfange
die Zahlen der Kriegskriminalität sich auf derartige Handlungen beziehen, die
erst durch das Kriegsstrafrecht das Merkmal des Strafbaren aufgeprägt erhalten
haben. Immerhin lassen einige mir bekannte Angaben vermuten, daß dieser
Anteil des Kriegsstrafrechts an den Ziffern der Kriegskriminalität der Jugend¬
lichen ein recht beträchtlicher sein wird.

Ferner muß man gleichfalls damit rechnen, daß die kriminelle Reizbarkeit
der unmittelbar durch eine Straftat Verletzten, vielleicht auch die Reizbarkeit
der Polizeibeamten, im Laufe des Krieges aus verschiedenen Gründen größer
geworden ist, als sie nicht nur in den ersten Monaten des Krieges war. sondern
auch in der Zeit vorher. Diese.Steigerung der kriminellen Reizbarkeit, mit
der man allem Anschein nach ernstlich rechnen muß, würde es bewirken, daß
selbst Lappalien, die man in normalen Zeiten ruhig auf sich beruhen lassen
würde, Straftaten oder Ungezogenheiten, derenwegen man höchstens den Eltern
oder dem Lehrer Anzeige machen, die man aber mit Recht einer gericht¬
lichen Ahndung nicht für wert erachten würde, angezeigt und verfolgt werden.
In meinem Material finden sich verschiedene derartige traurige Fälle.

Will man die Kriegskriminalität der Jugendlichen richtig einschätzen, so
muß man endlich noch berücksichtigen, daß nach einwandfreien Mitteilungen auch
kein Zweifel darüber bestehen kann, daß der Krieg bei einem Teile der Jugend-
lichen, und zwar auch bei Jugendlichen, die verwahrlost oder gar schon bestraft
waren, auch sittlich bessernd gewirkt hat. Wird es sich in vielen derartigen
Fällen auch nur um eine vorübergehende Besserung handeln, so ist doch anderer¬
seits mit Sicherheit anzunehmen, daß auch ein nicht geringer Teil der Jugend¬
lichen sich auch in der Zukunft bewähren wird. Dies gilt vor allem auch von
den freiwillig in das Heer eingetretenen Fürsorgezöglingen und früheren Ge¬
fangenen, die durch die Schule des Krieges gegangen und hier geläutert
worden sind.

Diese verschiedenen Momente, die noch einer näheren Erforschung bedürfen,
führen uns zu dem Ergebnis, daß das Gesamtbild des verwahrlosenden Ein¬
flusses des Krieges, wie er in dem Anwachsen der jugendlichen Kriminalität
zum Ausdruck kommt, günstiger sein dürfte, als die bisher veröffentlichten
statistischen Angaben vermuten lassen.

Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, daß andere Materialien ge¬
rade den entgegengesetzten Schluß nahezulegen scheinen.

Hierher gehört die Tatsache, daß ein großer Teil der sechzehnjähriger
und siebzehnjährigen, welche sonst den größten Anteil an der jugendlichen
Kriminalität zu haben pflegen, sich freiwillig in den Dienst des Vaterlandes
gestellt haben und damit ohne weiteres aus den Zahlen der Jugendgerichte
ausscheiden, da sie der Militärgerichtsbarkeit unterstehen. Wenn man die Zahlen
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[0354] Kritisches zur Rriegskriminalität der Jugendlichen bisher schon vorhandenen und betätigten verbrecherischen Energie zu sprechen. Zwar fehlen noch alle eingehenderen Mitteilungen darüber, in welchem Umfange die Zahlen der Kriegskriminalität sich auf derartige Handlungen beziehen, die erst durch das Kriegsstrafrecht das Merkmal des Strafbaren aufgeprägt erhalten haben. Immerhin lassen einige mir bekannte Angaben vermuten, daß dieser Anteil des Kriegsstrafrechts an den Ziffern der Kriegskriminalität der Jugend¬ lichen ein recht beträchtlicher sein wird. Ferner muß man gleichfalls damit rechnen, daß die kriminelle Reizbarkeit der unmittelbar durch eine Straftat Verletzten, vielleicht auch die Reizbarkeit der Polizeibeamten, im Laufe des Krieges aus verschiedenen Gründen größer geworden ist, als sie nicht nur in den ersten Monaten des Krieges war. sondern auch in der Zeit vorher. Diese.Steigerung der kriminellen Reizbarkeit, mit der man allem Anschein nach ernstlich rechnen muß, würde es bewirken, daß selbst Lappalien, die man in normalen Zeiten ruhig auf sich beruhen lassen würde, Straftaten oder Ungezogenheiten, derenwegen man höchstens den Eltern oder dem Lehrer Anzeige machen, die man aber mit Recht einer gericht¬ lichen Ahndung nicht für wert erachten würde, angezeigt und verfolgt werden. In meinem Material finden sich verschiedene derartige traurige Fälle. Will man die Kriegskriminalität der Jugendlichen richtig einschätzen, so muß man endlich noch berücksichtigen, daß nach einwandfreien Mitteilungen auch kein Zweifel darüber bestehen kann, daß der Krieg bei einem Teile der Jugend- lichen, und zwar auch bei Jugendlichen, die verwahrlost oder gar schon bestraft waren, auch sittlich bessernd gewirkt hat. Wird es sich in vielen derartigen Fällen auch nur um eine vorübergehende Besserung handeln, so ist doch anderer¬ seits mit Sicherheit anzunehmen, daß auch ein nicht geringer Teil der Jugend¬ lichen sich auch in der Zukunft bewähren wird. Dies gilt vor allem auch von den freiwillig in das Heer eingetretenen Fürsorgezöglingen und früheren Ge¬ fangenen, die durch die Schule des Krieges gegangen und hier geläutert worden sind. Diese verschiedenen Momente, die noch einer näheren Erforschung bedürfen, führen uns zu dem Ergebnis, daß das Gesamtbild des verwahrlosenden Ein¬ flusses des Krieges, wie er in dem Anwachsen der jugendlichen Kriminalität zum Ausdruck kommt, günstiger sein dürfte, als die bisher veröffentlichten statistischen Angaben vermuten lassen. Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, daß andere Materialien ge¬ rade den entgegengesetzten Schluß nahezulegen scheinen. Hierher gehört die Tatsache, daß ein großer Teil der sechzehnjähriger und siebzehnjährigen, welche sonst den größten Anteil an der jugendlichen Kriminalität zu haben pflegen, sich freiwillig in den Dienst des Vaterlandes gestellt haben und damit ohne weiteres aus den Zahlen der Jugendgerichte ausscheiden, da sie der Militärgerichtsbarkeit unterstehen. Wenn man die Zahlen der während des Krieges straffällig gewordenen Jugendlichen mit den in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/354>, abgerufen am 15.01.2025.