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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Schleiermacher als Patriot

jungen Studentenschaft pflegen, und er hat viel zur Erweckung des Geistes der
Freiheitskriege beigetragen, der endlich im Jahre 1813 die Ketten der Fremd¬
herrschaft sprengte. Der Professor und Prediger Schleiermacher nahm an den
Übungen des Landsturms eifrig teil. Uns, die wir an den Anblick organisierten
Militärs gewöhnt find, sind die alten gelehrten Herrn der damaligen Zeit, mit
Gewehr und Patrontasche ausgerüstet, ein seltsamer Anblick -- man denke an
den Rektor Zipfel in Paul Heyses Kolberg. So entbehrt es nicht einer ge¬
wissen Komik, wenn wir Schleiermacher, den etwas verwachsenen Mann, uns
in der Landsturmausrüstung vorstellen sollen und aus seinen Briefen vernehmen,
wie er mitten unter Anfällen von Magenkrampf den Befehl zum Ausrücken
morgens um halb fünf Uhr auf den Tempelhofer Berg erfährt und voll
Schreck ist, weil er keine Munition gekauft hat und nun am Sonntag die
Läden geschlossen sind, oder wie er sich sorgt, die Parole versäumt zu haben.
Aber in jener ernsten Zeit haben diese Gestalten vorbildlich gewirkt und die
damalige Jugend begeistert.

Von feiten der preußischen Behörden fand Schleiermacher nicht immer
Anerkennung für sein patriotisches Wirken. Schon im Jahre 1813 wurde er
mit Kassation bedroht und von dem Rat Schuckmann des Hochverrats be¬
schuldigt. In einem öffentlichen Sendschreiben (gegen Schmalz) mußte er sich
gegen allerlei ungerechtfertigte Angriffe verteidigen. Als Redakteur des
"Preußischen Korrespondenten" hatte er einen heftigen Zusammenstoß mit der
Zcnsurbehörde zu bestehen. Ja, es wurde ihm einmal der nachgesuchte Urlaub
M einer Erholungsreise in die Berge verweigert. Der Grund war der Arg¬
wohn, den einige Briefe von seiner Hand erregten, welche bei seinen Verwandten
und Freunden gelegentlich einer behördlichen Beschlagnahme vorgefunden wurden.
Im Jahre 1823 wurde Schleiermacher in eine Untersuchung wegen seiner
politischen Haltung verwickelt. In einer würdigen, an den König selbst ge¬
richteten Verteidigung beruft er sich auf den bisher bewiesenen Patriotismus.
Er hebt hervor, wie er Berufungen ins Ausland aus Vaterlandsliebe aus¬
geschlagen, wie'er auch immer seine Liebe zum Herrscher, die von der Vater¬
landsliebe nicht zu trennen sei. bewährt habe. Seine Gebete als Geistlicher an
heiliger Stätte für den König seien sicher nicht minder eifrig gewesen, als d?e
irgendeines anderen Geistlichen der Hauptstadt, so daß seine Gemeinde wohl
nicht die Empfindung gehabt habe, als ob ihm die Fürbitte für den König
weniger von Herzen ginge, als irgendein anderer Teil seiner Amtsverrichtungen.
"Nur. daß ich es immer verschmäht habe, dies Gefühl an heiliger Stätte mit
schönen Redensarten auszuputzen. Ja. auch außerhalb meines Amtes in meinem
Privatleben, bin ich immer mir einer aufrichtigen und innigen Teilnahme an
allem, was die Person und das Haus des Königs betrifft, in meinem Herzen
bewußt." Leute, welche auf einen untadelhafter Ruf bei den Behörden bedacht
waren, zogen sich von Schleiermacher zurück und vermieden es. in Gesellschaft
mit ihm zu verkehren. Ja. zeitweise glaubt er. Preußen verlassen zu müssen


Schleiermacher als Patriot

jungen Studentenschaft pflegen, und er hat viel zur Erweckung des Geistes der
Freiheitskriege beigetragen, der endlich im Jahre 1813 die Ketten der Fremd¬
herrschaft sprengte. Der Professor und Prediger Schleiermacher nahm an den
Übungen des Landsturms eifrig teil. Uns, die wir an den Anblick organisierten
Militärs gewöhnt find, sind die alten gelehrten Herrn der damaligen Zeit, mit
Gewehr und Patrontasche ausgerüstet, ein seltsamer Anblick — man denke an
den Rektor Zipfel in Paul Heyses Kolberg. So entbehrt es nicht einer ge¬
wissen Komik, wenn wir Schleiermacher, den etwas verwachsenen Mann, uns
in der Landsturmausrüstung vorstellen sollen und aus seinen Briefen vernehmen,
wie er mitten unter Anfällen von Magenkrampf den Befehl zum Ausrücken
morgens um halb fünf Uhr auf den Tempelhofer Berg erfährt und voll
Schreck ist, weil er keine Munition gekauft hat und nun am Sonntag die
Läden geschlossen sind, oder wie er sich sorgt, die Parole versäumt zu haben.
Aber in jener ernsten Zeit haben diese Gestalten vorbildlich gewirkt und die
damalige Jugend begeistert.

Von feiten der preußischen Behörden fand Schleiermacher nicht immer
Anerkennung für sein patriotisches Wirken. Schon im Jahre 1813 wurde er
mit Kassation bedroht und von dem Rat Schuckmann des Hochverrats be¬
schuldigt. In einem öffentlichen Sendschreiben (gegen Schmalz) mußte er sich
gegen allerlei ungerechtfertigte Angriffe verteidigen. Als Redakteur des
"Preußischen Korrespondenten" hatte er einen heftigen Zusammenstoß mit der
Zcnsurbehörde zu bestehen. Ja, es wurde ihm einmal der nachgesuchte Urlaub
M einer Erholungsreise in die Berge verweigert. Der Grund war der Arg¬
wohn, den einige Briefe von seiner Hand erregten, welche bei seinen Verwandten
und Freunden gelegentlich einer behördlichen Beschlagnahme vorgefunden wurden.
Im Jahre 1823 wurde Schleiermacher in eine Untersuchung wegen seiner
politischen Haltung verwickelt. In einer würdigen, an den König selbst ge¬
richteten Verteidigung beruft er sich auf den bisher bewiesenen Patriotismus.
Er hebt hervor, wie er Berufungen ins Ausland aus Vaterlandsliebe aus¬
geschlagen, wie'er auch immer seine Liebe zum Herrscher, die von der Vater¬
landsliebe nicht zu trennen sei. bewährt habe. Seine Gebete als Geistlicher an
heiliger Stätte für den König seien sicher nicht minder eifrig gewesen, als d?e
irgendeines anderen Geistlichen der Hauptstadt, so daß seine Gemeinde wohl
nicht die Empfindung gehabt habe, als ob ihm die Fürbitte für den König
weniger von Herzen ginge, als irgendein anderer Teil seiner Amtsverrichtungen.
"Nur. daß ich es immer verschmäht habe, dies Gefühl an heiliger Stätte mit
schönen Redensarten auszuputzen. Ja. auch außerhalb meines Amtes in meinem
Privatleben, bin ich immer mir einer aufrichtigen und innigen Teilnahme an
allem, was die Person und das Haus des Königs betrifft, in meinem Herzen
bewußt." Leute, welche auf einen untadelhafter Ruf bei den Behörden bedacht
waren, zogen sich von Schleiermacher zurück und vermieden es. in Gesellschaft
mit ihm zu verkehren. Ja. zeitweise glaubt er. Preußen verlassen zu müssen


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[0329] Schleiermacher als Patriot jungen Studentenschaft pflegen, und er hat viel zur Erweckung des Geistes der Freiheitskriege beigetragen, der endlich im Jahre 1813 die Ketten der Fremd¬ herrschaft sprengte. Der Professor und Prediger Schleiermacher nahm an den Übungen des Landsturms eifrig teil. Uns, die wir an den Anblick organisierten Militärs gewöhnt find, sind die alten gelehrten Herrn der damaligen Zeit, mit Gewehr und Patrontasche ausgerüstet, ein seltsamer Anblick — man denke an den Rektor Zipfel in Paul Heyses Kolberg. So entbehrt es nicht einer ge¬ wissen Komik, wenn wir Schleiermacher, den etwas verwachsenen Mann, uns in der Landsturmausrüstung vorstellen sollen und aus seinen Briefen vernehmen, wie er mitten unter Anfällen von Magenkrampf den Befehl zum Ausrücken morgens um halb fünf Uhr auf den Tempelhofer Berg erfährt und voll Schreck ist, weil er keine Munition gekauft hat und nun am Sonntag die Läden geschlossen sind, oder wie er sich sorgt, die Parole versäumt zu haben. Aber in jener ernsten Zeit haben diese Gestalten vorbildlich gewirkt und die damalige Jugend begeistert. Von feiten der preußischen Behörden fand Schleiermacher nicht immer Anerkennung für sein patriotisches Wirken. Schon im Jahre 1813 wurde er mit Kassation bedroht und von dem Rat Schuckmann des Hochverrats be¬ schuldigt. In einem öffentlichen Sendschreiben (gegen Schmalz) mußte er sich gegen allerlei ungerechtfertigte Angriffe verteidigen. Als Redakteur des "Preußischen Korrespondenten" hatte er einen heftigen Zusammenstoß mit der Zcnsurbehörde zu bestehen. Ja, es wurde ihm einmal der nachgesuchte Urlaub M einer Erholungsreise in die Berge verweigert. Der Grund war der Arg¬ wohn, den einige Briefe von seiner Hand erregten, welche bei seinen Verwandten und Freunden gelegentlich einer behördlichen Beschlagnahme vorgefunden wurden. Im Jahre 1823 wurde Schleiermacher in eine Untersuchung wegen seiner politischen Haltung verwickelt. In einer würdigen, an den König selbst ge¬ richteten Verteidigung beruft er sich auf den bisher bewiesenen Patriotismus. Er hebt hervor, wie er Berufungen ins Ausland aus Vaterlandsliebe aus¬ geschlagen, wie'er auch immer seine Liebe zum Herrscher, die von der Vater¬ landsliebe nicht zu trennen sei. bewährt habe. Seine Gebete als Geistlicher an heiliger Stätte für den König seien sicher nicht minder eifrig gewesen, als d?e irgendeines anderen Geistlichen der Hauptstadt, so daß seine Gemeinde wohl nicht die Empfindung gehabt habe, als ob ihm die Fürbitte für den König weniger von Herzen ginge, als irgendein anderer Teil seiner Amtsverrichtungen. "Nur. daß ich es immer verschmäht habe, dies Gefühl an heiliger Stätte mit schönen Redensarten auszuputzen. Ja. auch außerhalb meines Amtes in meinem Privatleben, bin ich immer mir einer aufrichtigen und innigen Teilnahme an allem, was die Person und das Haus des Königs betrifft, in meinem Herzen bewußt." Leute, welche auf einen untadelhafter Ruf bei den Behörden bedacht waren, zogen sich von Schleiermacher zurück und vermieden es. in Gesellschaft mit ihm zu verkehren. Ja. zeitweise glaubt er. Preußen verlassen zu müssen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/329>, abgerufen am 15.01.2025.