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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Schleiermacher als Patriot

anfangen würde, zu verfolgen, eine Aussicht, die Schleiermacher eigentlich begrüßt,
denn "dann würde ein Religionskrieg nach alter deutscher Art ausgebrochen
sein; denn der ganze norddeutsche Sinn und unser ganzes wissenschaftliches
Streben hängt am Protestantismus, und ich denke, es würde sich auch gezeigt
haben, daß die Masse des Volkes so irreligiös nicht ist, als sie nach außen
scheint."

Was er anderen gepredigt und was er vertrauten Freunden in seinen
Briefen kund getan hat, das hat er auch mannhaft durch die Tat vertreten.
Als in Halle Napoleon nach der Schlacht bei Jena die Studenten vertrieben und
den akademischen Unterricht unmöglich gemacht hatte, verblieb Schleiermacher auch
unter Entbehrungen auf seinem Posten, ja lehnte einen zweimaligen, ehrenvollen
Ruf nach Bremen ab, der ihn aus all seinen Nöten hätte reißen können.
Lediglich die Treue zu seinem König hielt ihn und die Hoffnung, in kommenden
besseren Zeiten dem Vaterlande Preußen seine Dienste wieder leihen zu dürfen.
Bon dem Augenblick aber als in den Kirchen von Halle das Kirchengebet für
den König von Westfalen und die Königin verordnet worden war, war es ihm
unmöglich, wieder die Kanzel zu besteigen. Der Tilsiter Friede hätte ihm eine
Fortsetzung seiner akademischen Tätigkeit in Halle nur unter der Fremdherrschaft
möglich gemacht, darum verließ er die Stätte seiner bisherigen Wirksamkeit,
um nach Berlin zu gehen, getreu seinem vorher geäußerten Grundsatz, daß er,
so lange es noch irgend einen preußischen Winkel gebe, sich vor der Fremd¬
herrschaft dahin zurückziehen werde. Professor an der Universität und Prediger
an der Dreifalügkeitskirche, stellte er sich in und außer seinem Beruf in den
Dienst der vaterländischen Bewegung. Er war ein Anhänger der Steinschen
Reformideen, und wir finden ihn öfter auf geheimnisvollen Reisen im Dienste eines
Ko innees oder einer Verbindung, welche hin und her im Lande den patriotischen Sinn
zu pflegen und einen zukünftigen Krieg gegen den Erbfeind vorzubereiten suchte.
Verschiedene Briefe aus jener Zeit, die nur dadurch verständlich werden, daß
man gewisse Worte und Namen in denselben mit anderen, dem Empfänger
bekannten, umtauschte, zeigen ihn in eifriger und bedeutungsvoller politischer
Geheimtätigkeit, wenn er auch vielleicht nicht einer organisierten Geheimgesellschaft,
dem sogenannten "Tugendbund" angehört hat. Das alles geschah unter den
Augen der französischen Besatzung, welche deshalb seine Predigten argwöhnisch
überwachen ließ. Eines Tages wurde Schleiermacher sogar zu dem französischen
Marschall Davoust zitiert, der ihm mit zwei anderen Berliner hervorragenden
Männern, darunter dem Propst Hanstein, eine polternde Strafrede hielt. Er
nannte ihn eine "töte aräente", wußte aber nichts anderes vorzubringen, als
ihn Schleiermacher immer wieder fragte, was er denn verbrochen habe, und
die Sache endete ziemlich harmlos.

An der Berliner Universität, die als Hort vaterländischer Gesinnung in
jener Zeit gegründet wurde, war es neben Fichte Schleiermacher, der dieser
Hochschule das Gepräge gab. Hier konnte er die nationale Gesinnung in der


Schleiermacher als Patriot

anfangen würde, zu verfolgen, eine Aussicht, die Schleiermacher eigentlich begrüßt,
denn „dann würde ein Religionskrieg nach alter deutscher Art ausgebrochen
sein; denn der ganze norddeutsche Sinn und unser ganzes wissenschaftliches
Streben hängt am Protestantismus, und ich denke, es würde sich auch gezeigt
haben, daß die Masse des Volkes so irreligiös nicht ist, als sie nach außen
scheint."

Was er anderen gepredigt und was er vertrauten Freunden in seinen
Briefen kund getan hat, das hat er auch mannhaft durch die Tat vertreten.
Als in Halle Napoleon nach der Schlacht bei Jena die Studenten vertrieben und
den akademischen Unterricht unmöglich gemacht hatte, verblieb Schleiermacher auch
unter Entbehrungen auf seinem Posten, ja lehnte einen zweimaligen, ehrenvollen
Ruf nach Bremen ab, der ihn aus all seinen Nöten hätte reißen können.
Lediglich die Treue zu seinem König hielt ihn und die Hoffnung, in kommenden
besseren Zeiten dem Vaterlande Preußen seine Dienste wieder leihen zu dürfen.
Bon dem Augenblick aber als in den Kirchen von Halle das Kirchengebet für
den König von Westfalen und die Königin verordnet worden war, war es ihm
unmöglich, wieder die Kanzel zu besteigen. Der Tilsiter Friede hätte ihm eine
Fortsetzung seiner akademischen Tätigkeit in Halle nur unter der Fremdherrschaft
möglich gemacht, darum verließ er die Stätte seiner bisherigen Wirksamkeit,
um nach Berlin zu gehen, getreu seinem vorher geäußerten Grundsatz, daß er,
so lange es noch irgend einen preußischen Winkel gebe, sich vor der Fremd¬
herrschaft dahin zurückziehen werde. Professor an der Universität und Prediger
an der Dreifalügkeitskirche, stellte er sich in und außer seinem Beruf in den
Dienst der vaterländischen Bewegung. Er war ein Anhänger der Steinschen
Reformideen, und wir finden ihn öfter auf geheimnisvollen Reisen im Dienste eines
Ko innees oder einer Verbindung, welche hin und her im Lande den patriotischen Sinn
zu pflegen und einen zukünftigen Krieg gegen den Erbfeind vorzubereiten suchte.
Verschiedene Briefe aus jener Zeit, die nur dadurch verständlich werden, daß
man gewisse Worte und Namen in denselben mit anderen, dem Empfänger
bekannten, umtauschte, zeigen ihn in eifriger und bedeutungsvoller politischer
Geheimtätigkeit, wenn er auch vielleicht nicht einer organisierten Geheimgesellschaft,
dem sogenannten „Tugendbund" angehört hat. Das alles geschah unter den
Augen der französischen Besatzung, welche deshalb seine Predigten argwöhnisch
überwachen ließ. Eines Tages wurde Schleiermacher sogar zu dem französischen
Marschall Davoust zitiert, der ihm mit zwei anderen Berliner hervorragenden
Männern, darunter dem Propst Hanstein, eine polternde Strafrede hielt. Er
nannte ihn eine „töte aräente", wußte aber nichts anderes vorzubringen, als
ihn Schleiermacher immer wieder fragte, was er denn verbrochen habe, und
die Sache endete ziemlich harmlos.

An der Berliner Universität, die als Hort vaterländischer Gesinnung in
jener Zeit gegründet wurde, war es neben Fichte Schleiermacher, der dieser
Hochschule das Gepräge gab. Hier konnte er die nationale Gesinnung in der


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[0328] Schleiermacher als Patriot anfangen würde, zu verfolgen, eine Aussicht, die Schleiermacher eigentlich begrüßt, denn „dann würde ein Religionskrieg nach alter deutscher Art ausgebrochen sein; denn der ganze norddeutsche Sinn und unser ganzes wissenschaftliches Streben hängt am Protestantismus, und ich denke, es würde sich auch gezeigt haben, daß die Masse des Volkes so irreligiös nicht ist, als sie nach außen scheint." Was er anderen gepredigt und was er vertrauten Freunden in seinen Briefen kund getan hat, das hat er auch mannhaft durch die Tat vertreten. Als in Halle Napoleon nach der Schlacht bei Jena die Studenten vertrieben und den akademischen Unterricht unmöglich gemacht hatte, verblieb Schleiermacher auch unter Entbehrungen auf seinem Posten, ja lehnte einen zweimaligen, ehrenvollen Ruf nach Bremen ab, der ihn aus all seinen Nöten hätte reißen können. Lediglich die Treue zu seinem König hielt ihn und die Hoffnung, in kommenden besseren Zeiten dem Vaterlande Preußen seine Dienste wieder leihen zu dürfen. Bon dem Augenblick aber als in den Kirchen von Halle das Kirchengebet für den König von Westfalen und die Königin verordnet worden war, war es ihm unmöglich, wieder die Kanzel zu besteigen. Der Tilsiter Friede hätte ihm eine Fortsetzung seiner akademischen Tätigkeit in Halle nur unter der Fremdherrschaft möglich gemacht, darum verließ er die Stätte seiner bisherigen Wirksamkeit, um nach Berlin zu gehen, getreu seinem vorher geäußerten Grundsatz, daß er, so lange es noch irgend einen preußischen Winkel gebe, sich vor der Fremd¬ herrschaft dahin zurückziehen werde. Professor an der Universität und Prediger an der Dreifalügkeitskirche, stellte er sich in und außer seinem Beruf in den Dienst der vaterländischen Bewegung. Er war ein Anhänger der Steinschen Reformideen, und wir finden ihn öfter auf geheimnisvollen Reisen im Dienste eines Ko innees oder einer Verbindung, welche hin und her im Lande den patriotischen Sinn zu pflegen und einen zukünftigen Krieg gegen den Erbfeind vorzubereiten suchte. Verschiedene Briefe aus jener Zeit, die nur dadurch verständlich werden, daß man gewisse Worte und Namen in denselben mit anderen, dem Empfänger bekannten, umtauschte, zeigen ihn in eifriger und bedeutungsvoller politischer Geheimtätigkeit, wenn er auch vielleicht nicht einer organisierten Geheimgesellschaft, dem sogenannten „Tugendbund" angehört hat. Das alles geschah unter den Augen der französischen Besatzung, welche deshalb seine Predigten argwöhnisch überwachen ließ. Eines Tages wurde Schleiermacher sogar zu dem französischen Marschall Davoust zitiert, der ihm mit zwei anderen Berliner hervorragenden Männern, darunter dem Propst Hanstein, eine polternde Strafrede hielt. Er nannte ihn eine „töte aräente", wußte aber nichts anderes vorzubringen, als ihn Schleiermacher immer wieder fragte, was er denn verbrochen habe, und die Sache endete ziemlich harmlos. An der Berliner Universität, die als Hort vaterländischer Gesinnung in jener Zeit gegründet wurde, war es neben Fichte Schleiermacher, der dieser Hochschule das Gepräge gab. Hier konnte er die nationale Gesinnung in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/328>, abgerufen am 15.01.2025.