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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Schleiermacher als Patriot

Freiheit, das Gegenteil von Knechissinn: also ist der wahrhafte Mensch ein
Mann des Fortschritts, frei sogar von dem Buchstaben biblischer Gebote, wie-
viel mehr von der politischen Formel. Gegen die jammervolle Gesinnung eifert
er in einer anderen Predigt, den engherzigen Egoismus, der bei der allgemeinen
Not des Vaterlandes noch guter Dinge war, so lange es dem eigenen Ich und
Stande noch wohl ging, und nun klagt, wo ihm Besitz und Genuß ins Kärg¬
liche zusammenschrumpfen. Gegen die Philisterseelen mit ihrem engen Gesichts¬
kreis, welche keine lebendige, an das große Ganze hingegebene, opferfreudige
Liebe kennen, wendet er sich: Unwürdig ist der vaterlandslose Mensch, ihm ist
es versagt, zu Gott und den Menschen ein ehrliches Verhältnis zu gewinnen.
Der Kosmopolitismus, der seiner Zeit im Blute lag, ist im Grunde auch nichts
als Egoismus. Gegen den Kosmopolitismus der Gelehrten streitet er, die vor
allen im Geruch stehen, Weltbürger zu sein. Wir sollen aber und wir wollen
das belehrende, das strafende, das warnende Gewissen der Natron sein, wollen
allen voranleuchten in tätiger Liebe und Treue, in unerschütterlicher Festigkeit,
in bescheidenem Sinn, in Nichtachtung eigener-Gefahr! Aus der Nieder¬
geschlagenheit und Apathie, welche seine Mitbürger angesichts des allgemeinen
politischen Unglücks ergriffen hat, möchte er sie aufrütteln. Mut darf nicht das
Monopol der Soldaten sein: "Es ist eine höchst verkehrte Meinung, so weit
verbreitet sie auch sei, den Mut nicht für eine allgemeine, notwendige Tugend
"u halten, sondern nur für eine besondere Fertigkeit, die in sich auszubilden
und für alle zugleich auszuüben nur einigen gebühre, wogegen alle übrigen,
welche nicht diesem Stande angehören, der sich den Mut zu seinem Geschäfte
gemacht hat. sich ohne Schmach und Schande einen gewissen Grad von Feigheit
Zugestehen dürften." Mit Freudigkeit ermuntert er zum Krieg: ein mit einem
reinen Gewissen geführter Krieg, er ende, wie er wolle, wiegt mehr als alle
äußere Ruhe des Geschäfts oder des Rentengenusses. In alle Winkel des
Herzens seiner Zuhörer verfolgt er diesen Geist der Furcht, der vor sich selber
nach Entschuldigungsgründen sucht. Zu allen Zelten war es die Art der Feigheit,
sich nach Sündenböcken für öffentliches Mißgeschick umzusehen und sich hinter
ihrer Schuld zu decken. Demgegenüber führt er in der Predigt über die Be¬
nutzung der öffentlichen Unglücksfälle aus, wie in den Fehlern der Feldherren,
der Truppen, der Regierung nur die Schuld des Ganzen an den Tag komme.
Sogar in den Mantel der Pietät kann sich eine derartige Feigheit hüllen:
"O, wenn der große König noch da gewesen wäre, so würden wir diesen
Zustand der Herabwürdigung nicht erfahren haben. Er hätte nicht so weit
anwachsen lassen die Macht, die uns drückt; seinen Adleraugen würden schon
längst nicht unbemerkt geblieben sein die Fehler und Mißbräuche, ohne die wir
nicht so leicht wären zu überwinden gewesen; und sofern jetzt noch Rettung
und Wiederbringung möglich wären, würde er sie noch durch die Kräfte seines
gewaltigen Geistes herbeizuführen wissen." Friedrich der Große war der Mann
seiner Zeit und könnte unserer Zeit nichts nützen, wenn dies Geschlecht sich nicht


Schleiermacher als Patriot

Freiheit, das Gegenteil von Knechissinn: also ist der wahrhafte Mensch ein
Mann des Fortschritts, frei sogar von dem Buchstaben biblischer Gebote, wie-
viel mehr von der politischen Formel. Gegen die jammervolle Gesinnung eifert
er in einer anderen Predigt, den engherzigen Egoismus, der bei der allgemeinen
Not des Vaterlandes noch guter Dinge war, so lange es dem eigenen Ich und
Stande noch wohl ging, und nun klagt, wo ihm Besitz und Genuß ins Kärg¬
liche zusammenschrumpfen. Gegen die Philisterseelen mit ihrem engen Gesichts¬
kreis, welche keine lebendige, an das große Ganze hingegebene, opferfreudige
Liebe kennen, wendet er sich: Unwürdig ist der vaterlandslose Mensch, ihm ist
es versagt, zu Gott und den Menschen ein ehrliches Verhältnis zu gewinnen.
Der Kosmopolitismus, der seiner Zeit im Blute lag, ist im Grunde auch nichts
als Egoismus. Gegen den Kosmopolitismus der Gelehrten streitet er, die vor
allen im Geruch stehen, Weltbürger zu sein. Wir sollen aber und wir wollen
das belehrende, das strafende, das warnende Gewissen der Natron sein, wollen
allen voranleuchten in tätiger Liebe und Treue, in unerschütterlicher Festigkeit,
in bescheidenem Sinn, in Nichtachtung eigener-Gefahr! Aus der Nieder¬
geschlagenheit und Apathie, welche seine Mitbürger angesichts des allgemeinen
politischen Unglücks ergriffen hat, möchte er sie aufrütteln. Mut darf nicht das
Monopol der Soldaten sein: „Es ist eine höchst verkehrte Meinung, so weit
verbreitet sie auch sei, den Mut nicht für eine allgemeine, notwendige Tugend
«u halten, sondern nur für eine besondere Fertigkeit, die in sich auszubilden
und für alle zugleich auszuüben nur einigen gebühre, wogegen alle übrigen,
welche nicht diesem Stande angehören, der sich den Mut zu seinem Geschäfte
gemacht hat. sich ohne Schmach und Schande einen gewissen Grad von Feigheit
Zugestehen dürften." Mit Freudigkeit ermuntert er zum Krieg: ein mit einem
reinen Gewissen geführter Krieg, er ende, wie er wolle, wiegt mehr als alle
äußere Ruhe des Geschäfts oder des Rentengenusses. In alle Winkel des
Herzens seiner Zuhörer verfolgt er diesen Geist der Furcht, der vor sich selber
nach Entschuldigungsgründen sucht. Zu allen Zelten war es die Art der Feigheit,
sich nach Sündenböcken für öffentliches Mißgeschick umzusehen und sich hinter
ihrer Schuld zu decken. Demgegenüber führt er in der Predigt über die Be¬
nutzung der öffentlichen Unglücksfälle aus, wie in den Fehlern der Feldherren,
der Truppen, der Regierung nur die Schuld des Ganzen an den Tag komme.
Sogar in den Mantel der Pietät kann sich eine derartige Feigheit hüllen:
„O, wenn der große König noch da gewesen wäre, so würden wir diesen
Zustand der Herabwürdigung nicht erfahren haben. Er hätte nicht so weit
anwachsen lassen die Macht, die uns drückt; seinen Adleraugen würden schon
längst nicht unbemerkt geblieben sein die Fehler und Mißbräuche, ohne die wir
nicht so leicht wären zu überwinden gewesen; und sofern jetzt noch Rettung
und Wiederbringung möglich wären, würde er sie noch durch die Kräfte seines
gewaltigen Geistes herbeizuführen wissen." Friedrich der Große war der Mann
seiner Zeit und könnte unserer Zeit nichts nützen, wenn dies Geschlecht sich nicht


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[0325] Schleiermacher als Patriot Freiheit, das Gegenteil von Knechissinn: also ist der wahrhafte Mensch ein Mann des Fortschritts, frei sogar von dem Buchstaben biblischer Gebote, wie- viel mehr von der politischen Formel. Gegen die jammervolle Gesinnung eifert er in einer anderen Predigt, den engherzigen Egoismus, der bei der allgemeinen Not des Vaterlandes noch guter Dinge war, so lange es dem eigenen Ich und Stande noch wohl ging, und nun klagt, wo ihm Besitz und Genuß ins Kärg¬ liche zusammenschrumpfen. Gegen die Philisterseelen mit ihrem engen Gesichts¬ kreis, welche keine lebendige, an das große Ganze hingegebene, opferfreudige Liebe kennen, wendet er sich: Unwürdig ist der vaterlandslose Mensch, ihm ist es versagt, zu Gott und den Menschen ein ehrliches Verhältnis zu gewinnen. Der Kosmopolitismus, der seiner Zeit im Blute lag, ist im Grunde auch nichts als Egoismus. Gegen den Kosmopolitismus der Gelehrten streitet er, die vor allen im Geruch stehen, Weltbürger zu sein. Wir sollen aber und wir wollen das belehrende, das strafende, das warnende Gewissen der Natron sein, wollen allen voranleuchten in tätiger Liebe und Treue, in unerschütterlicher Festigkeit, in bescheidenem Sinn, in Nichtachtung eigener-Gefahr! Aus der Nieder¬ geschlagenheit und Apathie, welche seine Mitbürger angesichts des allgemeinen politischen Unglücks ergriffen hat, möchte er sie aufrütteln. Mut darf nicht das Monopol der Soldaten sein: „Es ist eine höchst verkehrte Meinung, so weit verbreitet sie auch sei, den Mut nicht für eine allgemeine, notwendige Tugend «u halten, sondern nur für eine besondere Fertigkeit, die in sich auszubilden und für alle zugleich auszuüben nur einigen gebühre, wogegen alle übrigen, welche nicht diesem Stande angehören, der sich den Mut zu seinem Geschäfte gemacht hat. sich ohne Schmach und Schande einen gewissen Grad von Feigheit Zugestehen dürften." Mit Freudigkeit ermuntert er zum Krieg: ein mit einem reinen Gewissen geführter Krieg, er ende, wie er wolle, wiegt mehr als alle äußere Ruhe des Geschäfts oder des Rentengenusses. In alle Winkel des Herzens seiner Zuhörer verfolgt er diesen Geist der Furcht, der vor sich selber nach Entschuldigungsgründen sucht. Zu allen Zelten war es die Art der Feigheit, sich nach Sündenböcken für öffentliches Mißgeschick umzusehen und sich hinter ihrer Schuld zu decken. Demgegenüber führt er in der Predigt über die Be¬ nutzung der öffentlichen Unglücksfälle aus, wie in den Fehlern der Feldherren, der Truppen, der Regierung nur die Schuld des Ganzen an den Tag komme. Sogar in den Mantel der Pietät kann sich eine derartige Feigheit hüllen: „O, wenn der große König noch da gewesen wäre, so würden wir diesen Zustand der Herabwürdigung nicht erfahren haben. Er hätte nicht so weit anwachsen lassen die Macht, die uns drückt; seinen Adleraugen würden schon längst nicht unbemerkt geblieben sein die Fehler und Mißbräuche, ohne die wir nicht so leicht wären zu überwinden gewesen; und sofern jetzt noch Rettung und Wiederbringung möglich wären, würde er sie noch durch die Kräfte seines gewaltigen Geistes herbeizuführen wissen." Friedrich der Große war der Mann seiner Zeit und könnte unserer Zeit nichts nützen, wenn dies Geschlecht sich nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/325>, abgerufen am 15.01.2025.