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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Schleiermacher als Patriot

Schleiermacher hat dem Gefühl in der Religion sein Recht erkämpft, ja
die Religion mit dem Gefühl geradezu identifiziert. Wer nur hiervon wüßte
und etwa die Reden über die Religion gelesen, an der Glut ihrer Empfindung
und ihrer Formvollendung sich erfreut hätte, der könnte sich ihn vielleicht als
ein empfindsames Gemüt mit weiblichem Unterton vorstellen, das gern mit
anderen schönen Seelen, namentlich weiblichen Geschlechts, gefühlvolle Bekennt¬
nisse tauschte. In der Tat hat es eine Zeit gegeben, in der für viele der große
Theologe in dieser falschen Beleuchtung erschien. Und doch könnte kein Vor¬
urteil törichter sein. Wie er mit glänzender, scharfer Klinge die Kämpfe des
Geistes führte,' so konnte er stahlhart in der Vertretung seiner Prinzipien sein.
Das bewies er im Konflikt mit seiner Negierung gelegentlich des Streites um
die neue Agende, in dem er kräftig für die kirchliche Freiheit auftrat. Das
zeigte er auch als Patriot. Wie Fichte vom Katheder flammende Worte in
die Herzen schleuderte und Arndt seine zündenden Lieder ins Volk sandte, so rief
Schleiermacher von der Kanzel das deutsche Volk zu einer in Gott gegründeten
Freiheit auf. "Den ersten politischen Prediger im großen Stil, welchen das
Christentum hervorbrachte", nennt ihn der Philosoph Dilthey. Einen Schatz
idealer Güter hatte die Philosophie aus den Schachten des Denkens gefördert,
die Poesie hatte das Höchste und Beste in Menschenherzen anklingen lassen.
Aber es war ein kleines Geschlecht, dem die von unseren großen Geistesheroen
geschaffenen Werte anvertraut waren. Der platte Vulgärrationalismus hatte
die öffentliche Meinung gewöhnt, alles auf seine Nützlichkeit hin anzusehen, und
dem philisterhaften gesunden Menschenverstand erschien eine in egoistischer Enge
verkümmerte Glückseligkeit als das selbstverständliche höchste Gut. Man schwärmte
in weichlichem Kosmopolitismus oder ruhte, wenn noch wie in Preußen etwas
von nationalem Empfinden vorhanden war, auf den Lorbeeren einer größeren
Vergangenheit. Den Traum selbstzufriedener Kümmerlichkeit hatte die Faust
des korsischen Eroberers jäh unterbrochen.

In Schleiermachers jugendlichster Periode finden wir nichts von politischer
Leidenschaft oder nur überhaupt von einem lebhafteren politischen Interesse.
Er politisiert wohl über die französische Revolution, ja, er nimmt ihre Partei,
wenn er auch ihre Auswüchse tadelt und ausscheiden möchte, "was menschliche
Lädenschaft und überspannte Begriffe dabei getan haben." Doch allmählich
reift sein Denken heran und findet den Standpunkt, von dem er einst kraftvoll
w die politischen Wirren hinaustreten wird. Kant hatte dem unbedingten
sittlichen Gebot, das der Mensch in seinem Inneren vernimmt, die gebührende
Stellung im Geistesleben gegeben. Mit Kant hat sich Schleiermacher in der
Zeit seiner Entwicklung eingehend beschäftigt, und der sittliche Ernst des Königs¬
berger Weisen hat auf den heranreifenden Jüngling seinen Eindruck nicht ver¬
fehlt. Aber Schleiermacher gab dem Gedanken Kants von der Unbedingtheit
der sittlichen Forderung eine originelle Wendung. Kant wußte nur von einem
allgemeinen, von jedem einzelnen ein und dasselbe fordernden kategorischen


Schleiermacher als Patriot

Schleiermacher hat dem Gefühl in der Religion sein Recht erkämpft, ja
die Religion mit dem Gefühl geradezu identifiziert. Wer nur hiervon wüßte
und etwa die Reden über die Religion gelesen, an der Glut ihrer Empfindung
und ihrer Formvollendung sich erfreut hätte, der könnte sich ihn vielleicht als
ein empfindsames Gemüt mit weiblichem Unterton vorstellen, das gern mit
anderen schönen Seelen, namentlich weiblichen Geschlechts, gefühlvolle Bekennt¬
nisse tauschte. In der Tat hat es eine Zeit gegeben, in der für viele der große
Theologe in dieser falschen Beleuchtung erschien. Und doch könnte kein Vor¬
urteil törichter sein. Wie er mit glänzender, scharfer Klinge die Kämpfe des
Geistes führte,' so konnte er stahlhart in der Vertretung seiner Prinzipien sein.
Das bewies er im Konflikt mit seiner Negierung gelegentlich des Streites um
die neue Agende, in dem er kräftig für die kirchliche Freiheit auftrat. Das
zeigte er auch als Patriot. Wie Fichte vom Katheder flammende Worte in
die Herzen schleuderte und Arndt seine zündenden Lieder ins Volk sandte, so rief
Schleiermacher von der Kanzel das deutsche Volk zu einer in Gott gegründeten
Freiheit auf. „Den ersten politischen Prediger im großen Stil, welchen das
Christentum hervorbrachte", nennt ihn der Philosoph Dilthey. Einen Schatz
idealer Güter hatte die Philosophie aus den Schachten des Denkens gefördert,
die Poesie hatte das Höchste und Beste in Menschenherzen anklingen lassen.
Aber es war ein kleines Geschlecht, dem die von unseren großen Geistesheroen
geschaffenen Werte anvertraut waren. Der platte Vulgärrationalismus hatte
die öffentliche Meinung gewöhnt, alles auf seine Nützlichkeit hin anzusehen, und
dem philisterhaften gesunden Menschenverstand erschien eine in egoistischer Enge
verkümmerte Glückseligkeit als das selbstverständliche höchste Gut. Man schwärmte
in weichlichem Kosmopolitismus oder ruhte, wenn noch wie in Preußen etwas
von nationalem Empfinden vorhanden war, auf den Lorbeeren einer größeren
Vergangenheit. Den Traum selbstzufriedener Kümmerlichkeit hatte die Faust
des korsischen Eroberers jäh unterbrochen.

In Schleiermachers jugendlichster Periode finden wir nichts von politischer
Leidenschaft oder nur überhaupt von einem lebhafteren politischen Interesse.
Er politisiert wohl über die französische Revolution, ja, er nimmt ihre Partei,
wenn er auch ihre Auswüchse tadelt und ausscheiden möchte, „was menschliche
Lädenschaft und überspannte Begriffe dabei getan haben." Doch allmählich
reift sein Denken heran und findet den Standpunkt, von dem er einst kraftvoll
w die politischen Wirren hinaustreten wird. Kant hatte dem unbedingten
sittlichen Gebot, das der Mensch in seinem Inneren vernimmt, die gebührende
Stellung im Geistesleben gegeben. Mit Kant hat sich Schleiermacher in der
Zeit seiner Entwicklung eingehend beschäftigt, und der sittliche Ernst des Königs¬
berger Weisen hat auf den heranreifenden Jüngling seinen Eindruck nicht ver¬
fehlt. Aber Schleiermacher gab dem Gedanken Kants von der Unbedingtheit
der sittlichen Forderung eine originelle Wendung. Kant wußte nur von einem
allgemeinen, von jedem einzelnen ein und dasselbe fordernden kategorischen


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[0323] Schleiermacher als Patriot Schleiermacher hat dem Gefühl in der Religion sein Recht erkämpft, ja die Religion mit dem Gefühl geradezu identifiziert. Wer nur hiervon wüßte und etwa die Reden über die Religion gelesen, an der Glut ihrer Empfindung und ihrer Formvollendung sich erfreut hätte, der könnte sich ihn vielleicht als ein empfindsames Gemüt mit weiblichem Unterton vorstellen, das gern mit anderen schönen Seelen, namentlich weiblichen Geschlechts, gefühlvolle Bekennt¬ nisse tauschte. In der Tat hat es eine Zeit gegeben, in der für viele der große Theologe in dieser falschen Beleuchtung erschien. Und doch könnte kein Vor¬ urteil törichter sein. Wie er mit glänzender, scharfer Klinge die Kämpfe des Geistes führte,' so konnte er stahlhart in der Vertretung seiner Prinzipien sein. Das bewies er im Konflikt mit seiner Negierung gelegentlich des Streites um die neue Agende, in dem er kräftig für die kirchliche Freiheit auftrat. Das zeigte er auch als Patriot. Wie Fichte vom Katheder flammende Worte in die Herzen schleuderte und Arndt seine zündenden Lieder ins Volk sandte, so rief Schleiermacher von der Kanzel das deutsche Volk zu einer in Gott gegründeten Freiheit auf. „Den ersten politischen Prediger im großen Stil, welchen das Christentum hervorbrachte", nennt ihn der Philosoph Dilthey. Einen Schatz idealer Güter hatte die Philosophie aus den Schachten des Denkens gefördert, die Poesie hatte das Höchste und Beste in Menschenherzen anklingen lassen. Aber es war ein kleines Geschlecht, dem die von unseren großen Geistesheroen geschaffenen Werte anvertraut waren. Der platte Vulgärrationalismus hatte die öffentliche Meinung gewöhnt, alles auf seine Nützlichkeit hin anzusehen, und dem philisterhaften gesunden Menschenverstand erschien eine in egoistischer Enge verkümmerte Glückseligkeit als das selbstverständliche höchste Gut. Man schwärmte in weichlichem Kosmopolitismus oder ruhte, wenn noch wie in Preußen etwas von nationalem Empfinden vorhanden war, auf den Lorbeeren einer größeren Vergangenheit. Den Traum selbstzufriedener Kümmerlichkeit hatte die Faust des korsischen Eroberers jäh unterbrochen. In Schleiermachers jugendlichster Periode finden wir nichts von politischer Leidenschaft oder nur überhaupt von einem lebhafteren politischen Interesse. Er politisiert wohl über die französische Revolution, ja, er nimmt ihre Partei, wenn er auch ihre Auswüchse tadelt und ausscheiden möchte, „was menschliche Lädenschaft und überspannte Begriffe dabei getan haben." Doch allmählich reift sein Denken heran und findet den Standpunkt, von dem er einst kraftvoll w die politischen Wirren hinaustreten wird. Kant hatte dem unbedingten sittlichen Gebot, das der Mensch in seinem Inneren vernimmt, die gebührende Stellung im Geistesleben gegeben. Mit Kant hat sich Schleiermacher in der Zeit seiner Entwicklung eingehend beschäftigt, und der sittliche Ernst des Königs¬ berger Weisen hat auf den heranreifenden Jüngling seinen Eindruck nicht ver¬ fehlt. Aber Schleiermacher gab dem Gedanken Kants von der Unbedingtheit der sittlichen Forderung eine originelle Wendung. Kant wußte nur von einem allgemeinen, von jedem einzelnen ein und dasselbe fordernden kategorischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/323>, abgerufen am 15.01.2025.