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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Aoalitionskrieg

Serbiens, wenn es da überhaupt noch etwas zu retten gibt, ist anscheinend auf
den Frühling verschoben. Vorausgesetzt, daß der Vorstoß von Saloniki mehr
ist als ein Bluff, mit dem man Truppen der Zentralmächte am Balkan fest¬
halten will. Vielleicht wissen die Verbündeten selbst noch nicht genau, was sie
in Saloniki eigentlich anfangen werden. In diesem Falle bestünde also die alte
Unschlüssigkeit weiter, ebenso wie in England selbst das Durcheinander, der
"muMs" weiter in Ehren bleibt, wie die Experimente mit der Luftverteidigung
beweisen.

"Vergleicht die Wirksamkeit der deutschen Pläne mit der der Pläne der
Verbündeten", schrieb der "Manchester Guardian" vorwurfsvoll in einem Leit¬
artikel. "Weder im Osten noch sonst wo hat die deutsche Strategie eine Spur
von Genialität verraten. Sie ist nach ganz konventionellen Gesichtspunkten vor¬
gegangen". Und doch, und doch----! Es ist immer wieder dasselbe
Lied, ob bei den "Hunnen" oder den Anwälten der europäischen Zivilisation.
Sie singen alle: "Deutschland, Deutschland über Alles". Es ist übrigens
interessant in demselben Leitartikel des "Manchester Guardian" zu lesen, wie
sich das Blatt die Neuorganisation, mit der es Deutschland zu schlagen hofft,
vorstellt. Darnach wäre Paris die natürliche Zentrale für die Leitung der
Operationen an der Westfront, Egypten für die Operationen gegen die Türkei
und am Balkan, Indien für Mesopotamien und London für die Koordination
der Operationen in Rußland und an der Westfront. Kein einfaches Programm,
wie man sieht! Wenn man dem "Manchester Guardian" seinen Wunsch er¬
füllte, würde man vier Stellen erhalten, die mehr oder weniger unabhängig
von einander die Leitung der Kriegführung in Händen hätten. Und daneben
würde es noch eine Kriegsleitung in Petersburg geben, die sich voraussichtlich
mit der Londoner Kriegsleitung beständig in den Haaren liegen würde. Eine
rasche und ausreichende Verständigung zwischen diesen vom "Manchester Guardian"
vorgeschlagenen Kriegsleitungen wäre kaum möglich. Die divergierenden Mei¬
nungen der verschiedenen Feldherren würden den Wirrwarr noch größer machen.

Schon jetzt kommt es häufig vor, daß einer der Beteiligten sich nicht in
den Rahmen einfügen will oder sonst etwas nicht klappt, was so schön aus¬
gedacht war. Entweder es ist das Schmerzenskind Italien, von dem man so
viel erwartete und das so wenig hielt oder Munitionsmangel oder das Klima
oder sonst etwas. Zuweilen hat es den Anschein, als ob es endlich anders
werden würde. Man reformiert und verkündet der Welt, daß nun alles gut
sei. Tatsächlich scheint es auch, als ob mehr Schwung in die Kriegführung der
Koalition kommen sollte. Man hat gerade in der allerletzten Zeit immer wieder
mit aller Bestimmtheit erklärt, daß die Zeiten der Planlosigkeit und Irrtümer
vorüber seien und daß noch im Laufe dieses Jahres die Zentralmächte zu fühlen
bekommen würden, was es heißt, gegen eine geordnete Phalanx von vier Gro߬
mächten, die untereinander einig und reichlich mit Waffen und Munition ver¬
sehen sind, zu kämpfen. Briand ist nach Italien gefahren, um seinen lateinischen


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Serbiens, wenn es da überhaupt noch etwas zu retten gibt, ist anscheinend auf
den Frühling verschoben. Vorausgesetzt, daß der Vorstoß von Saloniki mehr
ist als ein Bluff, mit dem man Truppen der Zentralmächte am Balkan fest¬
halten will. Vielleicht wissen die Verbündeten selbst noch nicht genau, was sie
in Saloniki eigentlich anfangen werden. In diesem Falle bestünde also die alte
Unschlüssigkeit weiter, ebenso wie in England selbst das Durcheinander, der
„muMs" weiter in Ehren bleibt, wie die Experimente mit der Luftverteidigung
beweisen.

„Vergleicht die Wirksamkeit der deutschen Pläne mit der der Pläne der
Verbündeten", schrieb der „Manchester Guardian" vorwurfsvoll in einem Leit¬
artikel. „Weder im Osten noch sonst wo hat die deutsche Strategie eine Spur
von Genialität verraten. Sie ist nach ganz konventionellen Gesichtspunkten vor¬
gegangen". Und doch, und doch----! Es ist immer wieder dasselbe
Lied, ob bei den „Hunnen" oder den Anwälten der europäischen Zivilisation.
Sie singen alle: „Deutschland, Deutschland über Alles". Es ist übrigens
interessant in demselben Leitartikel des „Manchester Guardian" zu lesen, wie
sich das Blatt die Neuorganisation, mit der es Deutschland zu schlagen hofft,
vorstellt. Darnach wäre Paris die natürliche Zentrale für die Leitung der
Operationen an der Westfront, Egypten für die Operationen gegen die Türkei
und am Balkan, Indien für Mesopotamien und London für die Koordination
der Operationen in Rußland und an der Westfront. Kein einfaches Programm,
wie man sieht! Wenn man dem „Manchester Guardian" seinen Wunsch er¬
füllte, würde man vier Stellen erhalten, die mehr oder weniger unabhängig
von einander die Leitung der Kriegführung in Händen hätten. Und daneben
würde es noch eine Kriegsleitung in Petersburg geben, die sich voraussichtlich
mit der Londoner Kriegsleitung beständig in den Haaren liegen würde. Eine
rasche und ausreichende Verständigung zwischen diesen vom „Manchester Guardian"
vorgeschlagenen Kriegsleitungen wäre kaum möglich. Die divergierenden Mei¬
nungen der verschiedenen Feldherren würden den Wirrwarr noch größer machen.

Schon jetzt kommt es häufig vor, daß einer der Beteiligten sich nicht in
den Rahmen einfügen will oder sonst etwas nicht klappt, was so schön aus¬
gedacht war. Entweder es ist das Schmerzenskind Italien, von dem man so
viel erwartete und das so wenig hielt oder Munitionsmangel oder das Klima
oder sonst etwas. Zuweilen hat es den Anschein, als ob es endlich anders
werden würde. Man reformiert und verkündet der Welt, daß nun alles gut
sei. Tatsächlich scheint es auch, als ob mehr Schwung in die Kriegführung der
Koalition kommen sollte. Man hat gerade in der allerletzten Zeit immer wieder
mit aller Bestimmtheit erklärt, daß die Zeiten der Planlosigkeit und Irrtümer
vorüber seien und daß noch im Laufe dieses Jahres die Zentralmächte zu fühlen
bekommen würden, was es heißt, gegen eine geordnete Phalanx von vier Gro߬
mächten, die untereinander einig und reichlich mit Waffen und Munition ver¬
sehen sind, zu kämpfen. Briand ist nach Italien gefahren, um seinen lateinischen


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[0315] Aoalitionskrieg Serbiens, wenn es da überhaupt noch etwas zu retten gibt, ist anscheinend auf den Frühling verschoben. Vorausgesetzt, daß der Vorstoß von Saloniki mehr ist als ein Bluff, mit dem man Truppen der Zentralmächte am Balkan fest¬ halten will. Vielleicht wissen die Verbündeten selbst noch nicht genau, was sie in Saloniki eigentlich anfangen werden. In diesem Falle bestünde also die alte Unschlüssigkeit weiter, ebenso wie in England selbst das Durcheinander, der „muMs" weiter in Ehren bleibt, wie die Experimente mit der Luftverteidigung beweisen. „Vergleicht die Wirksamkeit der deutschen Pläne mit der der Pläne der Verbündeten", schrieb der „Manchester Guardian" vorwurfsvoll in einem Leit¬ artikel. „Weder im Osten noch sonst wo hat die deutsche Strategie eine Spur von Genialität verraten. Sie ist nach ganz konventionellen Gesichtspunkten vor¬ gegangen". Und doch, und doch----! Es ist immer wieder dasselbe Lied, ob bei den „Hunnen" oder den Anwälten der europäischen Zivilisation. Sie singen alle: „Deutschland, Deutschland über Alles". Es ist übrigens interessant in demselben Leitartikel des „Manchester Guardian" zu lesen, wie sich das Blatt die Neuorganisation, mit der es Deutschland zu schlagen hofft, vorstellt. Darnach wäre Paris die natürliche Zentrale für die Leitung der Operationen an der Westfront, Egypten für die Operationen gegen die Türkei und am Balkan, Indien für Mesopotamien und London für die Koordination der Operationen in Rußland und an der Westfront. Kein einfaches Programm, wie man sieht! Wenn man dem „Manchester Guardian" seinen Wunsch er¬ füllte, würde man vier Stellen erhalten, die mehr oder weniger unabhängig von einander die Leitung der Kriegführung in Händen hätten. Und daneben würde es noch eine Kriegsleitung in Petersburg geben, die sich voraussichtlich mit der Londoner Kriegsleitung beständig in den Haaren liegen würde. Eine rasche und ausreichende Verständigung zwischen diesen vom „Manchester Guardian" vorgeschlagenen Kriegsleitungen wäre kaum möglich. Die divergierenden Mei¬ nungen der verschiedenen Feldherren würden den Wirrwarr noch größer machen. Schon jetzt kommt es häufig vor, daß einer der Beteiligten sich nicht in den Rahmen einfügen will oder sonst etwas nicht klappt, was so schön aus¬ gedacht war. Entweder es ist das Schmerzenskind Italien, von dem man so viel erwartete und das so wenig hielt oder Munitionsmangel oder das Klima oder sonst etwas. Zuweilen hat es den Anschein, als ob es endlich anders werden würde. Man reformiert und verkündet der Welt, daß nun alles gut sei. Tatsächlich scheint es auch, als ob mehr Schwung in die Kriegführung der Koalition kommen sollte. Man hat gerade in der allerletzten Zeit immer wieder mit aller Bestimmtheit erklärt, daß die Zeiten der Planlosigkeit und Irrtümer vorüber seien und daß noch im Laufe dieses Jahres die Zentralmächte zu fühlen bekommen würden, was es heißt, gegen eine geordnete Phalanx von vier Gro߬ mächten, die untereinander einig und reichlich mit Waffen und Munition ver¬ sehen sind, zu kämpfen. Briand ist nach Italien gefahren, um seinen lateinischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/315>, abgerufen am 15.01.2025.