Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Dez Weltkrieg und die Lage der Unternehmerschaft

wirtschaftliche Rückständigkeit Italiens bekundet sich vor allem auch darin, daß
die italienische Volkswirtschaft den großen Reichtum an menschlichen Arbeits¬
kräften nicht zum Wohle, zum Fortschritt und Aufstieg des Volkes nutzbar zu
machen vermag, sondern Hunderttausende und Millionen Jahr für Jahr zur
europäischen und überseeischen Auswanderung nötigt. Statt Erzeugnisse der
menschlichen Arbeitskraft werden Menschen selbst exportiert und dadurch Land
und Volk geschädigt.

Aber nicht nur die Unternehmerschaft der kriegführenden Staaten, sondern
auch diejenige der neutralen Länder empfindet die allgemeine Kriegslage. So
liegt beispielsweise in den drei skandinavischen Königreichen, Dänemark, Schweden
und Norwegen, seit dem Beginn des Weltkrieges das Baugewerbe sehr danieder.
Die wirtschaftliche Depression dieser drei Staaten bekundet auch schon die Tat¬
sache, daß anläßlich des Ablaufens einer größeren Zahl von Tarifverträgen in
Dänemark und Norwegen im nächsten Jahre nach Kopenhagener Mitteilungen
vom November 1915 die Unternehmer beider Länder in Anbetracht der ab¬
steigenden Konjunktur im Wirtschaftsleben aus das unveränderte Weiterbestehen
der alten Tarife sür eine kürzere Zeitperio've bestanden. Überhaupt führte der
Krieg zu allerlei besonderen Maßnahmen. So wurde beispielsweise in Schweden
und zwar in Gothenburg erst kürzlich nach dem Vorbilde der Bremer Baumwoll-
Einfuhrgesellschaft eine schwedische Baumwoll-Jmportgesellschaft, der mehrere
größere Webereien angehören, ins Leben gerufen. Der Zweck dieser Gründung
ist, die Störungen der Betriebe durch den Mangel an Baumwolle und Baum¬
wollgarnen nach Möglichkeit zu verhindern. Viel geringer als die Zahl der
durch den Krieg in Mitleidenschaft gezogenen skandinavischen Unternehmungen
war die, deren Lage sich durch die durch den Krieg bedingten Verhältnisse
günstiger gestaltet hat. Es sind dies in der Hauptsache Industrien und Erwerbs¬
zweige, die an Kriegslieferungen für kriegführende Staaten arbeiten, und Teile
der Schiffahrt. Nach Berichten aus Bergen vom Anfang Dezember 1915
gewährte die Nordensjeldske Dampfschiffahrtsgesellschaft ihren Aktionären eine
halbjährliche Abschlagsdividende von 70 Prozent. Ganz besonders hat aber
Industrie und Handel der skandinavischen Reiche unter der Willkürpolitik Eng¬
lands zu leiden. Man nehme nur das bekannte Beispiel der norwegischen
Fischkonservenindustrie. Durch die Verweigerung der Lieferungen des zur
Herstellung von Konservenbüchsen nötigen Weißblechs aus England sowie auch
die Unterbindung der Ölzufuhr aus Italien und Südfrankreich zwang man
die norwegischen Fischkonservenfabrikanten zu der Verpflichtung, keine Waren an
Deutschland und seine Verbündeten zu liefern. In diese Rubrik gehört auch
die kürzlich von der "Weser-Zeitung" gemeldete Kontrolle der Margarine¬
fabrikation in Holland seitens der englischen Regierungsvertreter. Schließlich
sind auch die verschiedentlicher englischen Posträubereien auf dieses Konto zu
hundelt. Auch in Holland liegt der weitaus größte Teil von Industrie und
Handwerk, abgesehen von den Nahrungs- und Genußmittelindustrien und Teilen


Grenzboten I t-916 18
Dez Weltkrieg und die Lage der Unternehmerschaft

wirtschaftliche Rückständigkeit Italiens bekundet sich vor allem auch darin, daß
die italienische Volkswirtschaft den großen Reichtum an menschlichen Arbeits¬
kräften nicht zum Wohle, zum Fortschritt und Aufstieg des Volkes nutzbar zu
machen vermag, sondern Hunderttausende und Millionen Jahr für Jahr zur
europäischen und überseeischen Auswanderung nötigt. Statt Erzeugnisse der
menschlichen Arbeitskraft werden Menschen selbst exportiert und dadurch Land
und Volk geschädigt.

Aber nicht nur die Unternehmerschaft der kriegführenden Staaten, sondern
auch diejenige der neutralen Länder empfindet die allgemeine Kriegslage. So
liegt beispielsweise in den drei skandinavischen Königreichen, Dänemark, Schweden
und Norwegen, seit dem Beginn des Weltkrieges das Baugewerbe sehr danieder.
Die wirtschaftliche Depression dieser drei Staaten bekundet auch schon die Tat¬
sache, daß anläßlich des Ablaufens einer größeren Zahl von Tarifverträgen in
Dänemark und Norwegen im nächsten Jahre nach Kopenhagener Mitteilungen
vom November 1915 die Unternehmer beider Länder in Anbetracht der ab¬
steigenden Konjunktur im Wirtschaftsleben aus das unveränderte Weiterbestehen
der alten Tarife sür eine kürzere Zeitperio've bestanden. Überhaupt führte der
Krieg zu allerlei besonderen Maßnahmen. So wurde beispielsweise in Schweden
und zwar in Gothenburg erst kürzlich nach dem Vorbilde der Bremer Baumwoll-
Einfuhrgesellschaft eine schwedische Baumwoll-Jmportgesellschaft, der mehrere
größere Webereien angehören, ins Leben gerufen. Der Zweck dieser Gründung
ist, die Störungen der Betriebe durch den Mangel an Baumwolle und Baum¬
wollgarnen nach Möglichkeit zu verhindern. Viel geringer als die Zahl der
durch den Krieg in Mitleidenschaft gezogenen skandinavischen Unternehmungen
war die, deren Lage sich durch die durch den Krieg bedingten Verhältnisse
günstiger gestaltet hat. Es sind dies in der Hauptsache Industrien und Erwerbs¬
zweige, die an Kriegslieferungen für kriegführende Staaten arbeiten, und Teile
der Schiffahrt. Nach Berichten aus Bergen vom Anfang Dezember 1915
gewährte die Nordensjeldske Dampfschiffahrtsgesellschaft ihren Aktionären eine
halbjährliche Abschlagsdividende von 70 Prozent. Ganz besonders hat aber
Industrie und Handel der skandinavischen Reiche unter der Willkürpolitik Eng¬
lands zu leiden. Man nehme nur das bekannte Beispiel der norwegischen
Fischkonservenindustrie. Durch die Verweigerung der Lieferungen des zur
Herstellung von Konservenbüchsen nötigen Weißblechs aus England sowie auch
die Unterbindung der Ölzufuhr aus Italien und Südfrankreich zwang man
die norwegischen Fischkonservenfabrikanten zu der Verpflichtung, keine Waren an
Deutschland und seine Verbündeten zu liefern. In diese Rubrik gehört auch
die kürzlich von der „Weser-Zeitung" gemeldete Kontrolle der Margarine¬
fabrikation in Holland seitens der englischen Regierungsvertreter. Schließlich
sind auch die verschiedentlicher englischen Posträubereien auf dieses Konto zu
hundelt. Auch in Holland liegt der weitaus größte Teil von Industrie und
Handwerk, abgesehen von den Nahrungs- und Genußmittelindustrien und Teilen


Grenzboten I t-916 18
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0285" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329953"/>
          <fw type="header" place="top"> Dez Weltkrieg und die Lage der Unternehmerschaft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_953" prev="#ID_952"> wirtschaftliche Rückständigkeit Italiens bekundet sich vor allem auch darin, daß<lb/>
die italienische Volkswirtschaft den großen Reichtum an menschlichen Arbeits¬<lb/>
kräften nicht zum Wohle, zum Fortschritt und Aufstieg des Volkes nutzbar zu<lb/>
machen vermag, sondern Hunderttausende und Millionen Jahr für Jahr zur<lb/>
europäischen und überseeischen Auswanderung nötigt. Statt Erzeugnisse der<lb/>
menschlichen Arbeitskraft werden Menschen selbst exportiert und dadurch Land<lb/>
und Volk geschädigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_954" next="#ID_955"> Aber nicht nur die Unternehmerschaft der kriegführenden Staaten, sondern<lb/>
auch diejenige der neutralen Länder empfindet die allgemeine Kriegslage. So<lb/>
liegt beispielsweise in den drei skandinavischen Königreichen, Dänemark, Schweden<lb/>
und Norwegen, seit dem Beginn des Weltkrieges das Baugewerbe sehr danieder.<lb/>
Die wirtschaftliche Depression dieser drei Staaten bekundet auch schon die Tat¬<lb/>
sache, daß anläßlich des Ablaufens einer größeren Zahl von Tarifverträgen in<lb/>
Dänemark und Norwegen im nächsten Jahre nach Kopenhagener Mitteilungen<lb/>
vom November 1915 die Unternehmer beider Länder in Anbetracht der ab¬<lb/>
steigenden Konjunktur im Wirtschaftsleben aus das unveränderte Weiterbestehen<lb/>
der alten Tarife sür eine kürzere Zeitperio've bestanden. Überhaupt führte der<lb/>
Krieg zu allerlei besonderen Maßnahmen. So wurde beispielsweise in Schweden<lb/>
und zwar in Gothenburg erst kürzlich nach dem Vorbilde der Bremer Baumwoll-<lb/>
Einfuhrgesellschaft eine schwedische Baumwoll-Jmportgesellschaft, der mehrere<lb/>
größere Webereien angehören, ins Leben gerufen. Der Zweck dieser Gründung<lb/>
ist, die Störungen der Betriebe durch den Mangel an Baumwolle und Baum¬<lb/>
wollgarnen nach Möglichkeit zu verhindern. Viel geringer als die Zahl der<lb/>
durch den Krieg in Mitleidenschaft gezogenen skandinavischen Unternehmungen<lb/>
war die, deren Lage sich durch die durch den Krieg bedingten Verhältnisse<lb/>
günstiger gestaltet hat. Es sind dies in der Hauptsache Industrien und Erwerbs¬<lb/>
zweige, die an Kriegslieferungen für kriegführende Staaten arbeiten, und Teile<lb/>
der Schiffahrt. Nach Berichten aus Bergen vom Anfang Dezember 1915<lb/>
gewährte die Nordensjeldske Dampfschiffahrtsgesellschaft ihren Aktionären eine<lb/>
halbjährliche Abschlagsdividende von 70 Prozent. Ganz besonders hat aber<lb/>
Industrie und Handel der skandinavischen Reiche unter der Willkürpolitik Eng¬<lb/>
lands zu leiden. Man nehme nur das bekannte Beispiel der norwegischen<lb/>
Fischkonservenindustrie. Durch die Verweigerung der Lieferungen des zur<lb/>
Herstellung von Konservenbüchsen nötigen Weißblechs aus England sowie auch<lb/>
die Unterbindung der Ölzufuhr aus Italien und Südfrankreich zwang man<lb/>
die norwegischen Fischkonservenfabrikanten zu der Verpflichtung, keine Waren an<lb/>
Deutschland und seine Verbündeten zu liefern. In diese Rubrik gehört auch<lb/>
die kürzlich von der &#x201E;Weser-Zeitung" gemeldete Kontrolle der Margarine¬<lb/>
fabrikation in Holland seitens der englischen Regierungsvertreter. Schließlich<lb/>
sind auch die verschiedentlicher englischen Posträubereien auf dieses Konto zu<lb/>
hundelt. Auch in Holland liegt der weitaus größte Teil von Industrie und<lb/>
Handwerk, abgesehen von den Nahrungs- und Genußmittelindustrien und Teilen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I t-916 18</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0285] Dez Weltkrieg und die Lage der Unternehmerschaft wirtschaftliche Rückständigkeit Italiens bekundet sich vor allem auch darin, daß die italienische Volkswirtschaft den großen Reichtum an menschlichen Arbeits¬ kräften nicht zum Wohle, zum Fortschritt und Aufstieg des Volkes nutzbar zu machen vermag, sondern Hunderttausende und Millionen Jahr für Jahr zur europäischen und überseeischen Auswanderung nötigt. Statt Erzeugnisse der menschlichen Arbeitskraft werden Menschen selbst exportiert und dadurch Land und Volk geschädigt. Aber nicht nur die Unternehmerschaft der kriegführenden Staaten, sondern auch diejenige der neutralen Länder empfindet die allgemeine Kriegslage. So liegt beispielsweise in den drei skandinavischen Königreichen, Dänemark, Schweden und Norwegen, seit dem Beginn des Weltkrieges das Baugewerbe sehr danieder. Die wirtschaftliche Depression dieser drei Staaten bekundet auch schon die Tat¬ sache, daß anläßlich des Ablaufens einer größeren Zahl von Tarifverträgen in Dänemark und Norwegen im nächsten Jahre nach Kopenhagener Mitteilungen vom November 1915 die Unternehmer beider Länder in Anbetracht der ab¬ steigenden Konjunktur im Wirtschaftsleben aus das unveränderte Weiterbestehen der alten Tarife sür eine kürzere Zeitperio've bestanden. Überhaupt führte der Krieg zu allerlei besonderen Maßnahmen. So wurde beispielsweise in Schweden und zwar in Gothenburg erst kürzlich nach dem Vorbilde der Bremer Baumwoll- Einfuhrgesellschaft eine schwedische Baumwoll-Jmportgesellschaft, der mehrere größere Webereien angehören, ins Leben gerufen. Der Zweck dieser Gründung ist, die Störungen der Betriebe durch den Mangel an Baumwolle und Baum¬ wollgarnen nach Möglichkeit zu verhindern. Viel geringer als die Zahl der durch den Krieg in Mitleidenschaft gezogenen skandinavischen Unternehmungen war die, deren Lage sich durch die durch den Krieg bedingten Verhältnisse günstiger gestaltet hat. Es sind dies in der Hauptsache Industrien und Erwerbs¬ zweige, die an Kriegslieferungen für kriegführende Staaten arbeiten, und Teile der Schiffahrt. Nach Berichten aus Bergen vom Anfang Dezember 1915 gewährte die Nordensjeldske Dampfschiffahrtsgesellschaft ihren Aktionären eine halbjährliche Abschlagsdividende von 70 Prozent. Ganz besonders hat aber Industrie und Handel der skandinavischen Reiche unter der Willkürpolitik Eng¬ lands zu leiden. Man nehme nur das bekannte Beispiel der norwegischen Fischkonservenindustrie. Durch die Verweigerung der Lieferungen des zur Herstellung von Konservenbüchsen nötigen Weißblechs aus England sowie auch die Unterbindung der Ölzufuhr aus Italien und Südfrankreich zwang man die norwegischen Fischkonservenfabrikanten zu der Verpflichtung, keine Waren an Deutschland und seine Verbündeten zu liefern. In diese Rubrik gehört auch die kürzlich von der „Weser-Zeitung" gemeldete Kontrolle der Margarine¬ fabrikation in Holland seitens der englischen Regierungsvertreter. Schließlich sind auch die verschiedentlicher englischen Posträubereien auf dieses Konto zu hundelt. Auch in Holland liegt der weitaus größte Teil von Industrie und Handwerk, abgesehen von den Nahrungs- und Genußmittelindustrien und Teilen Grenzboten I t-916 18

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/285
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/285>, abgerufen am 15.01.2025.