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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der Weltkrieg und die Lage der Unternehmerschaft

Gebiete Frankreichs weit größer ist, als man im allgemeinen annimmt, da sicher
nicht weniger als 40 Prozent von der gesamten gewerblichen Tätigkeit Frank¬
reichs, soweit diese sich der Dampfkraft bedient, diesseits der eisernen Linie
liegen. Schließlich hat der Krieg die französischen Industrie nicht nur der
deutschen, belgischen, türkischen usw. Absatzgebiete beraubt, d. h. eines Drittels
des französischen Exportes, sondern auch -- und das traf sie am empfindlichsten
-- einer für sie lebensnotwendigen Einfuhr. Wie sehr der französische
Handel überhaupt geschädigt ist, zeigt ein Einblick in die Handelsstatistik.
Hiernach beträgt allein schon von 1913 bis 1914 der Rückgang des Wertes
der Einfuhr 2072 Millionen Franken und der Ausfuhr 2055 Millionen
Franken. Nach den Mitteilungen der "Bulletins des Ministeriums der Arbeit"
vom August liegen die Industrie gebrannter Steine und Erden, das Bau¬
gewerbe, die Portefeuilleindustrie und das Holzbearbeitungsgewerbe -- besonders
die alte Pariser Möbelindustrie -- fast ganz still. Die wirtschaftliche Bedeutung
Frankreichs auf dem Weltmarkt liegt nicht zuletzt in seiner Luxusindustrie.
Und diese leidet natürlich am stärksten unter den Folgen der Krise, die der
Krieg in allen Ländern erzeugt hat. Auch die Textilindustrie und besonders
die Baumwollspinnerei hat schwer zu leiden. Von den rund 7 Millionen
Spindeln Frankreichs liefen beispielsweise im August 1915 höchstens 2^/2 Mil¬
lionen, das ist ungefähr die Zahl der in Spanien laufenden Spindeln. Auch
der Mangel an deutschen Farbstoffen machte sich hier recht fühlbar. In weiten
Kreisen dieser Industrie macht man sich schon mit dem Gedanken vertraut, daß die
früher so bedeutende Ausfuhr nach Südamerika vollständig von der amerikanischen
Konkurrenz fortgenommen wird. In einer ähnlichen kritischen Lage befindet sich
übrigens auch die französische Sardinenindustrie. Hier kommt die in Frankreich
in diesem Gewerbe bestehende Krise den spanischen und portugiesischen Fischern
zugute. Bekanntlich hat sich an den Küsten Spaniens und Portugals in den
letzten Jahren eine blühende Sardinenindustrie entwickelt. Überhaupt hat die
Fischerei Frankreichs unter den durch den Krieg bedingten Verhältnissen schwer
zu leiden.

Der auch bei uns bekannte französische Volkswirt Victor Cambon betonte
in einem Vortrage in der Pariser Jngenieurgesellschaft, daß in der Gesamtheit
der französischen Produktion diejenigen, die Waffen und Munition, Gewebe und
andere Ausrüstungsgegenstände herstellen, eine Ausnahme bilden, während die
große Mehrheit der Unternehmungen völlig darniederliegt. Recht zutreffend
kennzeichnete im April 1915 die "Züricher Post" die industrielle Lage Frank¬
reichs, indem sie u. a. schreibt: "Frankreichs Industrie ist schwer gelähmt, die
Fabriken stehen still, die Kamine rauchen nicht. So wandert das französische
Gold über das Weltmeer, wo man Tag und Nacht für den Riesenbedarf der
Republik arbeitet". Wie arg das Wirtschaftsleben Frankreichs darniederliegt,
geht auch aus einer Mitteilung der "Humanitö" hervor; hiernach hat der
Umfang der Wechsel von Anfang August bis zu Ende des Jahres 1914 nur


Der Weltkrieg und die Lage der Unternehmerschaft

Gebiete Frankreichs weit größer ist, als man im allgemeinen annimmt, da sicher
nicht weniger als 40 Prozent von der gesamten gewerblichen Tätigkeit Frank¬
reichs, soweit diese sich der Dampfkraft bedient, diesseits der eisernen Linie
liegen. Schließlich hat der Krieg die französischen Industrie nicht nur der
deutschen, belgischen, türkischen usw. Absatzgebiete beraubt, d. h. eines Drittels
des französischen Exportes, sondern auch — und das traf sie am empfindlichsten
— einer für sie lebensnotwendigen Einfuhr. Wie sehr der französische
Handel überhaupt geschädigt ist, zeigt ein Einblick in die Handelsstatistik.
Hiernach beträgt allein schon von 1913 bis 1914 der Rückgang des Wertes
der Einfuhr 2072 Millionen Franken und der Ausfuhr 2055 Millionen
Franken. Nach den Mitteilungen der „Bulletins des Ministeriums der Arbeit"
vom August liegen die Industrie gebrannter Steine und Erden, das Bau¬
gewerbe, die Portefeuilleindustrie und das Holzbearbeitungsgewerbe — besonders
die alte Pariser Möbelindustrie — fast ganz still. Die wirtschaftliche Bedeutung
Frankreichs auf dem Weltmarkt liegt nicht zuletzt in seiner Luxusindustrie.
Und diese leidet natürlich am stärksten unter den Folgen der Krise, die der
Krieg in allen Ländern erzeugt hat. Auch die Textilindustrie und besonders
die Baumwollspinnerei hat schwer zu leiden. Von den rund 7 Millionen
Spindeln Frankreichs liefen beispielsweise im August 1915 höchstens 2^/2 Mil¬
lionen, das ist ungefähr die Zahl der in Spanien laufenden Spindeln. Auch
der Mangel an deutschen Farbstoffen machte sich hier recht fühlbar. In weiten
Kreisen dieser Industrie macht man sich schon mit dem Gedanken vertraut, daß die
früher so bedeutende Ausfuhr nach Südamerika vollständig von der amerikanischen
Konkurrenz fortgenommen wird. In einer ähnlichen kritischen Lage befindet sich
übrigens auch die französische Sardinenindustrie. Hier kommt die in Frankreich
in diesem Gewerbe bestehende Krise den spanischen und portugiesischen Fischern
zugute. Bekanntlich hat sich an den Küsten Spaniens und Portugals in den
letzten Jahren eine blühende Sardinenindustrie entwickelt. Überhaupt hat die
Fischerei Frankreichs unter den durch den Krieg bedingten Verhältnissen schwer
zu leiden.

Der auch bei uns bekannte französische Volkswirt Victor Cambon betonte
in einem Vortrage in der Pariser Jngenieurgesellschaft, daß in der Gesamtheit
der französischen Produktion diejenigen, die Waffen und Munition, Gewebe und
andere Ausrüstungsgegenstände herstellen, eine Ausnahme bilden, während die
große Mehrheit der Unternehmungen völlig darniederliegt. Recht zutreffend
kennzeichnete im April 1915 die „Züricher Post" die industrielle Lage Frank¬
reichs, indem sie u. a. schreibt: „Frankreichs Industrie ist schwer gelähmt, die
Fabriken stehen still, die Kamine rauchen nicht. So wandert das französische
Gold über das Weltmeer, wo man Tag und Nacht für den Riesenbedarf der
Republik arbeitet". Wie arg das Wirtschaftsleben Frankreichs darniederliegt,
geht auch aus einer Mitteilung der „Humanitö" hervor; hiernach hat der
Umfang der Wechsel von Anfang August bis zu Ende des Jahres 1914 nur


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[0283] Der Weltkrieg und die Lage der Unternehmerschaft Gebiete Frankreichs weit größer ist, als man im allgemeinen annimmt, da sicher nicht weniger als 40 Prozent von der gesamten gewerblichen Tätigkeit Frank¬ reichs, soweit diese sich der Dampfkraft bedient, diesseits der eisernen Linie liegen. Schließlich hat der Krieg die französischen Industrie nicht nur der deutschen, belgischen, türkischen usw. Absatzgebiete beraubt, d. h. eines Drittels des französischen Exportes, sondern auch — und das traf sie am empfindlichsten — einer für sie lebensnotwendigen Einfuhr. Wie sehr der französische Handel überhaupt geschädigt ist, zeigt ein Einblick in die Handelsstatistik. Hiernach beträgt allein schon von 1913 bis 1914 der Rückgang des Wertes der Einfuhr 2072 Millionen Franken und der Ausfuhr 2055 Millionen Franken. Nach den Mitteilungen der „Bulletins des Ministeriums der Arbeit" vom August liegen die Industrie gebrannter Steine und Erden, das Bau¬ gewerbe, die Portefeuilleindustrie und das Holzbearbeitungsgewerbe — besonders die alte Pariser Möbelindustrie — fast ganz still. Die wirtschaftliche Bedeutung Frankreichs auf dem Weltmarkt liegt nicht zuletzt in seiner Luxusindustrie. Und diese leidet natürlich am stärksten unter den Folgen der Krise, die der Krieg in allen Ländern erzeugt hat. Auch die Textilindustrie und besonders die Baumwollspinnerei hat schwer zu leiden. Von den rund 7 Millionen Spindeln Frankreichs liefen beispielsweise im August 1915 höchstens 2^/2 Mil¬ lionen, das ist ungefähr die Zahl der in Spanien laufenden Spindeln. Auch der Mangel an deutschen Farbstoffen machte sich hier recht fühlbar. In weiten Kreisen dieser Industrie macht man sich schon mit dem Gedanken vertraut, daß die früher so bedeutende Ausfuhr nach Südamerika vollständig von der amerikanischen Konkurrenz fortgenommen wird. In einer ähnlichen kritischen Lage befindet sich übrigens auch die französische Sardinenindustrie. Hier kommt die in Frankreich in diesem Gewerbe bestehende Krise den spanischen und portugiesischen Fischern zugute. Bekanntlich hat sich an den Küsten Spaniens und Portugals in den letzten Jahren eine blühende Sardinenindustrie entwickelt. Überhaupt hat die Fischerei Frankreichs unter den durch den Krieg bedingten Verhältnissen schwer zu leiden. Der auch bei uns bekannte französische Volkswirt Victor Cambon betonte in einem Vortrage in der Pariser Jngenieurgesellschaft, daß in der Gesamtheit der französischen Produktion diejenigen, die Waffen und Munition, Gewebe und andere Ausrüstungsgegenstände herstellen, eine Ausnahme bilden, während die große Mehrheit der Unternehmungen völlig darniederliegt. Recht zutreffend kennzeichnete im April 1915 die „Züricher Post" die industrielle Lage Frank¬ reichs, indem sie u. a. schreibt: „Frankreichs Industrie ist schwer gelähmt, die Fabriken stehen still, die Kamine rauchen nicht. So wandert das französische Gold über das Weltmeer, wo man Tag und Nacht für den Riesenbedarf der Republik arbeitet". Wie arg das Wirtschaftsleben Frankreichs darniederliegt, geht auch aus einer Mitteilung der „Humanitö" hervor; hiernach hat der Umfang der Wechsel von Anfang August bis zu Ende des Jahres 1914 nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/283>, abgerufen am 15.01.2025.