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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die französische Internationale

Krieges eine patriotische Ader in seinem Herzen erzittern" und schwärmte, als
der russische Revolutionär Bakunin eine Volkserhebung vorschlug, von dem
"glorreichen Bazaine". Die Verfolgungen der kaiserlichen Polizei hatten die
Lebensfähigkeit der internationalen Aktion in Frankreich kaum bedroht, der Krieg
vernichtete sie. Die Kommune war zwar als föderalistischer Versuch staats¬
feindlich, war aber sonst mit dem Wesen und Zweck der Internationale in keiner
Weise verbunden; ihr Ziel war die freie Gemeinde. Was sich sonst an
sozialistischer Tätigkeit bemerkbar machte, war durchaus auf den Ton der
"Zuerre ä outrance" (Stil Gambetta) gestimmt und suchte nur die nationale
Verteidigung zu beschleunigen und zu verstärken. Wie 1792 der Konvent, so
gebärdeten sich jetzt, besonders nach dem Sturz des Kaisertums, die Sozialisten
und Radikalen als die lautesten und unerbittlichsten Patrioten und Kriegsfreunde.

Unter diesen Umständen erscheint das Gesetz vom Jahre 1872, nach dem
die Teilnahme an der Internationale mit Geldstrafe, Gefängnis, Verlust der
bürgerlichen Ehrenrechte und Polizeiaufsicht bestraft wurde, im Gegensatz zu den
Verfolgungen durch die kaiserliche Polizei als eine Maßregel von weit geringerer
Anwendung. Denn hier sollten nur die paar Kommunistenführer unschädlich
gemacht werden, die sich nach London geflüchtet und dort nur äußerlichen An¬
schluß an die Marxsche Gefolgschaft gefunden hatten. Eins bewirkte das Gesetz
allerdings: die Zersplitterung der sozialistischen Kräfte und Ideen. Die meisten
Arbeiter verliefen sich in die radikale Partei.

Der internationale Gedanke und der Widerstand gegen den Krieg hatte
durchaus an Kraft und Interesse verloren. Als 1873 der konservativ-klerikale
Plan, den Kronprätendenten Grafen von Chambord zum König von Frankreich
zu salben, mißlungen war, beteiligten sich zahlreiche Sozialisten an der einsetzenden
bonapartistischen Agitation, obwohl man über den Sinn des Satzes "l'lZmpire
c'est la xmix" nicht mehr im Unklaren sein konnte.

So war die erste Internationale tot. Gestorben am Krieg, den sie be-
seitigen wollte. Das Feld überließ man dem Anarchismus, der die freie Per¬
sönlichkeit verkündigte und die gewaltsame Loslösung vom Staate forderte. Er
war allerdings zu sehr Utopie, um die Verwirklichung des Internationalismus,
einer Frage von so ungeheurer praktischen Bedeutung, zuzulassen. Der So¬
zialismus entwickelte sich seit dem Krieg innerhalb der nationalen Arbeiter¬
verbände. Auf den ersten französischen Landeskongressen kommt der internationale
Gedanke gar nicht zum Ausdruck. Eine Verständigung schien auch umso un¬
möglicher, als die Franzosen sich immer mehr in den Kreis Bakuninscher Ideen
einzwängen ließen, während z. B. die Deutschen Karl Marx anhingen.

Erst als der Marxismus auch in Frankreich siegte, bekam die Lehre von
der Solidarität der Arbeiter gegenüber dem Kapitalismus wieder eine größere
internationale Bedeutung. Guesde stellte in gemeinsamer Arbeit mit Marx und
Engels ein soziales Programm auf. Auf dem Kongreß zu Paris (1889) hielt
man zwar an der Selbständigkeit der nationalen Verbände und der Bewahrung


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Die französische Internationale

Krieges eine patriotische Ader in seinem Herzen erzittern" und schwärmte, als
der russische Revolutionär Bakunin eine Volkserhebung vorschlug, von dem
„glorreichen Bazaine". Die Verfolgungen der kaiserlichen Polizei hatten die
Lebensfähigkeit der internationalen Aktion in Frankreich kaum bedroht, der Krieg
vernichtete sie. Die Kommune war zwar als föderalistischer Versuch staats¬
feindlich, war aber sonst mit dem Wesen und Zweck der Internationale in keiner
Weise verbunden; ihr Ziel war die freie Gemeinde. Was sich sonst an
sozialistischer Tätigkeit bemerkbar machte, war durchaus auf den Ton der
„Zuerre ä outrance" (Stil Gambetta) gestimmt und suchte nur die nationale
Verteidigung zu beschleunigen und zu verstärken. Wie 1792 der Konvent, so
gebärdeten sich jetzt, besonders nach dem Sturz des Kaisertums, die Sozialisten
und Radikalen als die lautesten und unerbittlichsten Patrioten und Kriegsfreunde.

Unter diesen Umständen erscheint das Gesetz vom Jahre 1872, nach dem
die Teilnahme an der Internationale mit Geldstrafe, Gefängnis, Verlust der
bürgerlichen Ehrenrechte und Polizeiaufsicht bestraft wurde, im Gegensatz zu den
Verfolgungen durch die kaiserliche Polizei als eine Maßregel von weit geringerer
Anwendung. Denn hier sollten nur die paar Kommunistenführer unschädlich
gemacht werden, die sich nach London geflüchtet und dort nur äußerlichen An¬
schluß an die Marxsche Gefolgschaft gefunden hatten. Eins bewirkte das Gesetz
allerdings: die Zersplitterung der sozialistischen Kräfte und Ideen. Die meisten
Arbeiter verliefen sich in die radikale Partei.

Der internationale Gedanke und der Widerstand gegen den Krieg hatte
durchaus an Kraft und Interesse verloren. Als 1873 der konservativ-klerikale
Plan, den Kronprätendenten Grafen von Chambord zum König von Frankreich
zu salben, mißlungen war, beteiligten sich zahlreiche Sozialisten an der einsetzenden
bonapartistischen Agitation, obwohl man über den Sinn des Satzes „l'lZmpire
c'est la xmix" nicht mehr im Unklaren sein konnte.

So war die erste Internationale tot. Gestorben am Krieg, den sie be-
seitigen wollte. Das Feld überließ man dem Anarchismus, der die freie Per¬
sönlichkeit verkündigte und die gewaltsame Loslösung vom Staate forderte. Er
war allerdings zu sehr Utopie, um die Verwirklichung des Internationalismus,
einer Frage von so ungeheurer praktischen Bedeutung, zuzulassen. Der So¬
zialismus entwickelte sich seit dem Krieg innerhalb der nationalen Arbeiter¬
verbände. Auf den ersten französischen Landeskongressen kommt der internationale
Gedanke gar nicht zum Ausdruck. Eine Verständigung schien auch umso un¬
möglicher, als die Franzosen sich immer mehr in den Kreis Bakuninscher Ideen
einzwängen ließen, während z. B. die Deutschen Karl Marx anhingen.

Erst als der Marxismus auch in Frankreich siegte, bekam die Lehre von
der Solidarität der Arbeiter gegenüber dem Kapitalismus wieder eine größere
internationale Bedeutung. Guesde stellte in gemeinsamer Arbeit mit Marx und
Engels ein soziales Programm auf. Auf dem Kongreß zu Paris (1889) hielt
man zwar an der Selbständigkeit der nationalen Verbände und der Bewahrung


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[0271] Die französische Internationale Krieges eine patriotische Ader in seinem Herzen erzittern" und schwärmte, als der russische Revolutionär Bakunin eine Volkserhebung vorschlug, von dem „glorreichen Bazaine". Die Verfolgungen der kaiserlichen Polizei hatten die Lebensfähigkeit der internationalen Aktion in Frankreich kaum bedroht, der Krieg vernichtete sie. Die Kommune war zwar als föderalistischer Versuch staats¬ feindlich, war aber sonst mit dem Wesen und Zweck der Internationale in keiner Weise verbunden; ihr Ziel war die freie Gemeinde. Was sich sonst an sozialistischer Tätigkeit bemerkbar machte, war durchaus auf den Ton der „Zuerre ä outrance" (Stil Gambetta) gestimmt und suchte nur die nationale Verteidigung zu beschleunigen und zu verstärken. Wie 1792 der Konvent, so gebärdeten sich jetzt, besonders nach dem Sturz des Kaisertums, die Sozialisten und Radikalen als die lautesten und unerbittlichsten Patrioten und Kriegsfreunde. Unter diesen Umständen erscheint das Gesetz vom Jahre 1872, nach dem die Teilnahme an der Internationale mit Geldstrafe, Gefängnis, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und Polizeiaufsicht bestraft wurde, im Gegensatz zu den Verfolgungen durch die kaiserliche Polizei als eine Maßregel von weit geringerer Anwendung. Denn hier sollten nur die paar Kommunistenführer unschädlich gemacht werden, die sich nach London geflüchtet und dort nur äußerlichen An¬ schluß an die Marxsche Gefolgschaft gefunden hatten. Eins bewirkte das Gesetz allerdings: die Zersplitterung der sozialistischen Kräfte und Ideen. Die meisten Arbeiter verliefen sich in die radikale Partei. Der internationale Gedanke und der Widerstand gegen den Krieg hatte durchaus an Kraft und Interesse verloren. Als 1873 der konservativ-klerikale Plan, den Kronprätendenten Grafen von Chambord zum König von Frankreich zu salben, mißlungen war, beteiligten sich zahlreiche Sozialisten an der einsetzenden bonapartistischen Agitation, obwohl man über den Sinn des Satzes „l'lZmpire c'est la xmix" nicht mehr im Unklaren sein konnte. So war die erste Internationale tot. Gestorben am Krieg, den sie be- seitigen wollte. Das Feld überließ man dem Anarchismus, der die freie Per¬ sönlichkeit verkündigte und die gewaltsame Loslösung vom Staate forderte. Er war allerdings zu sehr Utopie, um die Verwirklichung des Internationalismus, einer Frage von so ungeheurer praktischen Bedeutung, zuzulassen. Der So¬ zialismus entwickelte sich seit dem Krieg innerhalb der nationalen Arbeiter¬ verbände. Auf den ersten französischen Landeskongressen kommt der internationale Gedanke gar nicht zum Ausdruck. Eine Verständigung schien auch umso un¬ möglicher, als die Franzosen sich immer mehr in den Kreis Bakuninscher Ideen einzwängen ließen, während z. B. die Deutschen Karl Marx anhingen. Erst als der Marxismus auch in Frankreich siegte, bekam die Lehre von der Solidarität der Arbeiter gegenüber dem Kapitalismus wieder eine größere internationale Bedeutung. Guesde stellte in gemeinsamer Arbeit mit Marx und Engels ein soziales Programm auf. Auf dem Kongreß zu Paris (1889) hielt man zwar an der Selbständigkeit der nationalen Verbände und der Bewahrung 17*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/271>, abgerufen am 15.01.2025.