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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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von der deutschen Schrift

Nun, Kant hatte in seinem Leben genug gelesen, um ein Urteil in solchen
Dingen zu haben, und er hat hier gleich sehr richtig den Punkt bezeichnet, auf
den es ankommt: die deutsche Schrift ist weit lesbarer und schont das Auge
viel mehr als die lateinische. Der Verfasser dieses muß hier bekennen, daß
auch er viele Jahre lang der falschen, von Kant bekämpften Mode gehuldigt
und, weil es einmal der Brauch war, lateinische Schrift für schöner und besser
gehalten hat als deutsche. Indessen hat ihn die Erfahrung allmählich doch von
der Unrichtigkeit dieser Meinung überzeugt. Und in der Tat hieße der Eintausch
lateinischer Schrift für unsere deutsche nur, Gutes durch Schlechteres ersetzen.
Wir wollen vielmehr umgekehrt fordern, daß die lateinische Schrift immer mehr
durch die deutsche verdrängt werde, und daß nicht nur die Wissenschaft, sondern
auch alle, die es angeht, die Lateinschrift immer mehr verlassen. Und warum
sollten uns hier nicht auch andere Völker lieber folgen, als wir ihnen? Denn
es ist nicht recht einzusehen, warum wir überall dem Ausland nachahmen sollen,
und nicht dieses gelegentlich auch uns.

Ein anderer, sehr beliebter Trugschluß ist der, daß, wenn man einen Satz
mit lauter großen Buchstaben druckt, einmal lateinisch und einmal deutsch, man
dann den lateinischen Druck ziemlich flott lesen kann, den deutschen kaum. Was
folgt daraus? Nichts weiter, als daß große Buchstaben ebensowenig ein Wort
zusammensetzen sollen, wie etwa lauter Lokomotiven einen Personenzug abgeben;
im übrigen sind große Buchstaben da, wo sie hingehören, wohl am Platze, und
namentlich ist die im Deutschen übliche Schreibart der Hauptwörter mit großen
Anfangsbuchstaben sehr wohl geeignet, dem Verständnis des Lesers zu Hilfe
zu kommen.

Es wird auch eingewendet, daß die deutsche Schrift nicht die Verwendung
mehrerer Schriftarten nebeneinander gestatte, wie es mit Antiqua und Kursiv
bei der Lateinschrift der Fall sei. Das trifft nicht zu; wir haben wohl mehrere
Arten deutscher Schrift, wie gewöhnliche Fraktur, Gotisch und Schwabacher.
Wir können auch, wenn es durchaus verlangt wird, der lateinischen Kursiv¬
schrift Lettern mit deutscher Schreibschrift an die Seite stellen.

Und nun gleich bei Schreibschrift zu bleiben, so sei darauf noch aufmerksam
gemacht, daß sich auch diese vorteilhaft von ihrem lateinischen Gegenstück unter¬
scheidet; denn sie schreibt sich wegen des Fortfalls der Rundungen bedeutend
flotter, wie man gleich sieht, wenn man z.B. einmal eine schräge Zickzacklinie,
und sodann eine Wellenlinie hinschreibt; bei jener sind nur zwei Schräg¬
richtungen, bei dieser noch drittens und viertens die wagerechten Richtungen
oben und unten an den Rundungen zu beobachten, also vier statt zwei Richtungs¬
wechsel vorzunehmen.

Nun, glücklicherweise ist ja die Lage der deutschen Schrift heute nicht mehr
so hoffnungslos, wie es noch vor einigen Jahren schien. Sollte damals der
bekannte Reichstagsantrag auf amtliche Einführung der lateinischen Schrift ihr
ihn für allemal den Hals umdrehen, so hat doch gerade dieser Antrag zuerst


von der deutschen Schrift

Nun, Kant hatte in seinem Leben genug gelesen, um ein Urteil in solchen
Dingen zu haben, und er hat hier gleich sehr richtig den Punkt bezeichnet, auf
den es ankommt: die deutsche Schrift ist weit lesbarer und schont das Auge
viel mehr als die lateinische. Der Verfasser dieses muß hier bekennen, daß
auch er viele Jahre lang der falschen, von Kant bekämpften Mode gehuldigt
und, weil es einmal der Brauch war, lateinische Schrift für schöner und besser
gehalten hat als deutsche. Indessen hat ihn die Erfahrung allmählich doch von
der Unrichtigkeit dieser Meinung überzeugt. Und in der Tat hieße der Eintausch
lateinischer Schrift für unsere deutsche nur, Gutes durch Schlechteres ersetzen.
Wir wollen vielmehr umgekehrt fordern, daß die lateinische Schrift immer mehr
durch die deutsche verdrängt werde, und daß nicht nur die Wissenschaft, sondern
auch alle, die es angeht, die Lateinschrift immer mehr verlassen. Und warum
sollten uns hier nicht auch andere Völker lieber folgen, als wir ihnen? Denn
es ist nicht recht einzusehen, warum wir überall dem Ausland nachahmen sollen,
und nicht dieses gelegentlich auch uns.

Ein anderer, sehr beliebter Trugschluß ist der, daß, wenn man einen Satz
mit lauter großen Buchstaben druckt, einmal lateinisch und einmal deutsch, man
dann den lateinischen Druck ziemlich flott lesen kann, den deutschen kaum. Was
folgt daraus? Nichts weiter, als daß große Buchstaben ebensowenig ein Wort
zusammensetzen sollen, wie etwa lauter Lokomotiven einen Personenzug abgeben;
im übrigen sind große Buchstaben da, wo sie hingehören, wohl am Platze, und
namentlich ist die im Deutschen übliche Schreibart der Hauptwörter mit großen
Anfangsbuchstaben sehr wohl geeignet, dem Verständnis des Lesers zu Hilfe
zu kommen.

Es wird auch eingewendet, daß die deutsche Schrift nicht die Verwendung
mehrerer Schriftarten nebeneinander gestatte, wie es mit Antiqua und Kursiv
bei der Lateinschrift der Fall sei. Das trifft nicht zu; wir haben wohl mehrere
Arten deutscher Schrift, wie gewöhnliche Fraktur, Gotisch und Schwabacher.
Wir können auch, wenn es durchaus verlangt wird, der lateinischen Kursiv¬
schrift Lettern mit deutscher Schreibschrift an die Seite stellen.

Und nun gleich bei Schreibschrift zu bleiben, so sei darauf noch aufmerksam
gemacht, daß sich auch diese vorteilhaft von ihrem lateinischen Gegenstück unter¬
scheidet; denn sie schreibt sich wegen des Fortfalls der Rundungen bedeutend
flotter, wie man gleich sieht, wenn man z.B. einmal eine schräge Zickzacklinie,
und sodann eine Wellenlinie hinschreibt; bei jener sind nur zwei Schräg¬
richtungen, bei dieser noch drittens und viertens die wagerechten Richtungen
oben und unten an den Rundungen zu beobachten, also vier statt zwei Richtungs¬
wechsel vorzunehmen.

Nun, glücklicherweise ist ja die Lage der deutschen Schrift heute nicht mehr
so hoffnungslos, wie es noch vor einigen Jahren schien. Sollte damals der
bekannte Reichstagsantrag auf amtliche Einführung der lateinischen Schrift ihr
ihn für allemal den Hals umdrehen, so hat doch gerade dieser Antrag zuerst


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Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/260>, abgerufen am 15.01.2025.