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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der belgische Volkskrieg im Urteil der Neutralen

sie auch sein, selbst wenn sie im übrigen redlich und zuverlässig wäre. Aber
dazu kommt noch, daß Jörgensens Arbeitsmethode illoyal ist und seine Schlu߬
folgerungen falsch sind. Das ist wohl das Schlimmste, was von einem Buche
gesagt werden kann, das vorgibt, die absolute Wahrheit zu predigen!"

Soweit Karl Gad über die Wirkung des Hasses, wie ihn die "Glocke
Roland" läutet. Man wird ihm, so sollte es scheinen, zum mindesten den
heule ziemlich seltenen redlichen Vorsatz, in diesem Kriege der Leidenschaften,
der Sympathien und Antipathien erst einmal den Weg der Vernunft, der Ruhe
und Mäßigung für die Abseitsstehenden zu finden, nicht absprechen können. Es
klingt aus seinen Worten ein erfreulicher Ton der Menschlichkeit heraus, den
wir in diesen Tagen nur zu oft verdunkelt finden. Eine Vorbedingung zur ruhigen
Betrachtung ist somit erfüllt, und wir dürfen Kar! Gäth weiteren Ausführungen
mit Interesse folgen, in denen er die Berechtigung des Hasses untersucht.

"Will man nun dies, so stößt man gleich auf zwei Schwierigkeiten. Denn
erstens sind Vernunftsgründe eine bedauerlich ohnmächtige Waffe, wenn es gilt,
ein Dogma wie dieses anzugreifen, das ja für I. Jörgeusen wie für so viele
andere so gefühlsbetont ist, daß es einen fast religiösen Charakter angenommen
hat. Zweitens kommt hier das psychologische Faktum, daß Menschen, deren
Arbeit nur das eine Ziel hat, die Berechtigung eines bestimmenden Stand¬
punktes zu beweisen, immer nur schwer verstehen können, daß andere bei ihrer
Arbeit nur von der Absicht geleitet werden, ein möglichst zuverlässiges Resultat
zu erzielen -- selbst wenn sich zeigen sollte, daß es nicht das erwartete oder
gewünschte ist. Die ersteren werden dann immer geneigt sein, die anderen mit
den Vorkämpfern des entgegengesetzten Standpunktes in einen Topf zu werfen.
Ich wünsche hingegen zu betonen, daß mein Aufsatz nicht bezweckt, für die
Sache der einen der kümpfenden Parteien zu plädieren, sondern im Namen
des allgemein Menschlichen -- das selbst die bittersten Feinde vereint -- die
Forderung zu stellen, daß ein Wille zur Versöhnung und vor allem der Wille
zu redlichem Urteil vorhanden sei."

Wie steht es denn mit Johannes Jörgensens Arbeitsmethode?

"Die Hauptwaffe, deren er sich bedient, ist die Ironie, und es soll ihm
willig eingeräumt werden, daß er auf diesem Wege oft vorzügliche Wirkungen
erzielt. Er hat ja überhaupt in außerordentlich vielen Einzelheiten recht, un¬
bedingt und in die Augen springend recht. Indes allzuoft feiert er billige,
aber dafür auch falsche Triumphe, indem er die Worte des Gegners eigen¬
mächtig erweitert oder ihnen eine Bedeutung unterstellt, die sie nicht haben."
Jörgensen nimmt sich z. B. die Kundgebung der Vertreter der deutschen Wissen¬
schaft vor, darin es hieß: es ist nicht wahr, daß eines einzigen belgischen
Bürgers Leben und Eigentum von unseren Soldaten angetastet worden ist,
ohne daß die bitterste Notwehr es gebot. Diesen Satz findet auch Gad in
dieser Form unhaltbar und nicht schwierig anzugreifen, aber, so sagt er, der
Angriff wird unredlich, wenn man ihn übersetzt, wie Jörgensen es tut, daß


Der belgische Volkskrieg im Urteil der Neutralen

sie auch sein, selbst wenn sie im übrigen redlich und zuverlässig wäre. Aber
dazu kommt noch, daß Jörgensens Arbeitsmethode illoyal ist und seine Schlu߬
folgerungen falsch sind. Das ist wohl das Schlimmste, was von einem Buche
gesagt werden kann, das vorgibt, die absolute Wahrheit zu predigen!"

Soweit Karl Gad über die Wirkung des Hasses, wie ihn die „Glocke
Roland" läutet. Man wird ihm, so sollte es scheinen, zum mindesten den
heule ziemlich seltenen redlichen Vorsatz, in diesem Kriege der Leidenschaften,
der Sympathien und Antipathien erst einmal den Weg der Vernunft, der Ruhe
und Mäßigung für die Abseitsstehenden zu finden, nicht absprechen können. Es
klingt aus seinen Worten ein erfreulicher Ton der Menschlichkeit heraus, den
wir in diesen Tagen nur zu oft verdunkelt finden. Eine Vorbedingung zur ruhigen
Betrachtung ist somit erfüllt, und wir dürfen Kar! Gäth weiteren Ausführungen
mit Interesse folgen, in denen er die Berechtigung des Hasses untersucht.

„Will man nun dies, so stößt man gleich auf zwei Schwierigkeiten. Denn
erstens sind Vernunftsgründe eine bedauerlich ohnmächtige Waffe, wenn es gilt,
ein Dogma wie dieses anzugreifen, das ja für I. Jörgeusen wie für so viele
andere so gefühlsbetont ist, daß es einen fast religiösen Charakter angenommen
hat. Zweitens kommt hier das psychologische Faktum, daß Menschen, deren
Arbeit nur das eine Ziel hat, die Berechtigung eines bestimmenden Stand¬
punktes zu beweisen, immer nur schwer verstehen können, daß andere bei ihrer
Arbeit nur von der Absicht geleitet werden, ein möglichst zuverlässiges Resultat
zu erzielen — selbst wenn sich zeigen sollte, daß es nicht das erwartete oder
gewünschte ist. Die ersteren werden dann immer geneigt sein, die anderen mit
den Vorkämpfern des entgegengesetzten Standpunktes in einen Topf zu werfen.
Ich wünsche hingegen zu betonen, daß mein Aufsatz nicht bezweckt, für die
Sache der einen der kümpfenden Parteien zu plädieren, sondern im Namen
des allgemein Menschlichen — das selbst die bittersten Feinde vereint — die
Forderung zu stellen, daß ein Wille zur Versöhnung und vor allem der Wille
zu redlichem Urteil vorhanden sei."

Wie steht es denn mit Johannes Jörgensens Arbeitsmethode?

„Die Hauptwaffe, deren er sich bedient, ist die Ironie, und es soll ihm
willig eingeräumt werden, daß er auf diesem Wege oft vorzügliche Wirkungen
erzielt. Er hat ja überhaupt in außerordentlich vielen Einzelheiten recht, un¬
bedingt und in die Augen springend recht. Indes allzuoft feiert er billige,
aber dafür auch falsche Triumphe, indem er die Worte des Gegners eigen¬
mächtig erweitert oder ihnen eine Bedeutung unterstellt, die sie nicht haben."
Jörgensen nimmt sich z. B. die Kundgebung der Vertreter der deutschen Wissen¬
schaft vor, darin es hieß: es ist nicht wahr, daß eines einzigen belgischen
Bürgers Leben und Eigentum von unseren Soldaten angetastet worden ist,
ohne daß die bitterste Notwehr es gebot. Diesen Satz findet auch Gad in
dieser Form unhaltbar und nicht schwierig anzugreifen, aber, so sagt er, der
Angriff wird unredlich, wenn man ihn übersetzt, wie Jörgensen es tut, daß


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[0248] Der belgische Volkskrieg im Urteil der Neutralen sie auch sein, selbst wenn sie im übrigen redlich und zuverlässig wäre. Aber dazu kommt noch, daß Jörgensens Arbeitsmethode illoyal ist und seine Schlu߬ folgerungen falsch sind. Das ist wohl das Schlimmste, was von einem Buche gesagt werden kann, das vorgibt, die absolute Wahrheit zu predigen!" Soweit Karl Gad über die Wirkung des Hasses, wie ihn die „Glocke Roland" läutet. Man wird ihm, so sollte es scheinen, zum mindesten den heule ziemlich seltenen redlichen Vorsatz, in diesem Kriege der Leidenschaften, der Sympathien und Antipathien erst einmal den Weg der Vernunft, der Ruhe und Mäßigung für die Abseitsstehenden zu finden, nicht absprechen können. Es klingt aus seinen Worten ein erfreulicher Ton der Menschlichkeit heraus, den wir in diesen Tagen nur zu oft verdunkelt finden. Eine Vorbedingung zur ruhigen Betrachtung ist somit erfüllt, und wir dürfen Kar! Gäth weiteren Ausführungen mit Interesse folgen, in denen er die Berechtigung des Hasses untersucht. „Will man nun dies, so stößt man gleich auf zwei Schwierigkeiten. Denn erstens sind Vernunftsgründe eine bedauerlich ohnmächtige Waffe, wenn es gilt, ein Dogma wie dieses anzugreifen, das ja für I. Jörgeusen wie für so viele andere so gefühlsbetont ist, daß es einen fast religiösen Charakter angenommen hat. Zweitens kommt hier das psychologische Faktum, daß Menschen, deren Arbeit nur das eine Ziel hat, die Berechtigung eines bestimmenden Stand¬ punktes zu beweisen, immer nur schwer verstehen können, daß andere bei ihrer Arbeit nur von der Absicht geleitet werden, ein möglichst zuverlässiges Resultat zu erzielen — selbst wenn sich zeigen sollte, daß es nicht das erwartete oder gewünschte ist. Die ersteren werden dann immer geneigt sein, die anderen mit den Vorkämpfern des entgegengesetzten Standpunktes in einen Topf zu werfen. Ich wünsche hingegen zu betonen, daß mein Aufsatz nicht bezweckt, für die Sache der einen der kümpfenden Parteien zu plädieren, sondern im Namen des allgemein Menschlichen — das selbst die bittersten Feinde vereint — die Forderung zu stellen, daß ein Wille zur Versöhnung und vor allem der Wille zu redlichem Urteil vorhanden sei." Wie steht es denn mit Johannes Jörgensens Arbeitsmethode? „Die Hauptwaffe, deren er sich bedient, ist die Ironie, und es soll ihm willig eingeräumt werden, daß er auf diesem Wege oft vorzügliche Wirkungen erzielt. Er hat ja überhaupt in außerordentlich vielen Einzelheiten recht, un¬ bedingt und in die Augen springend recht. Indes allzuoft feiert er billige, aber dafür auch falsche Triumphe, indem er die Worte des Gegners eigen¬ mächtig erweitert oder ihnen eine Bedeutung unterstellt, die sie nicht haben." Jörgensen nimmt sich z. B. die Kundgebung der Vertreter der deutschen Wissen¬ schaft vor, darin es hieß: es ist nicht wahr, daß eines einzigen belgischen Bürgers Leben und Eigentum von unseren Soldaten angetastet worden ist, ohne daß die bitterste Notwehr es gebot. Diesen Satz findet auch Gad in dieser Form unhaltbar und nicht schwierig anzugreifen, aber, so sagt er, der Angriff wird unredlich, wenn man ihn übersetzt, wie Jörgensen es tut, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/248>, abgerufen am 15.01.2025.