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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der belgische Volkskrieg im Urteil der Neutralen

Sie sind auch angesteckt von dem Fieber der Kriegführenden . . . Auch die
Dänen, sonst nicht eben ein Volk von starken Leidenschaften, betätigen sich aus
diesem Gebiet.

"Endlich hat auch ein Däne ein Buch über den Krieg geschrieben, das
übersetzt, verkauft und verschlungen wird in der ganzen Welt. Es ist die
.Glocke Roland' von Johannes Jörgensen. Sie hat viele Töne, das große,
tiefe Pathos und die schneidende, gellende Ironie, die dumpfen Klänge der
Trauer und des Mitleids, den Sturmgesang des Fluches und des Zornes
mächtiges Gebraus. Aber der Grundton ist immer derselbe: Seht, so sind sie,
die Lügner, die deutschen Verbrecher, haßt sie, haßt sie!"

Ein ungefähres Bild von Jörgensens Buch können wir uns also schon
machen. Es ist eine Kampfschrift gegen Deutschland, aber -- sie ist "neutral".
Die Deutschen sind der Abschaum der Erde! Das ist die ausgesprochene Tendenz
dieses Buches, sagt Karl Gad, es ist nicht eine einzige, neue Tatsache darin, es
sucht nur das schon Bekannte auf eine neue Art zu sagen, so daß es stärker
im Dienste der Agitation wirkt. Alle Kräfte der Sprache werden mobilisiert,
alle Machtmittel dichterischen Stils werden angewendet, um zu überzeugen, zu
überreden, zu hypnotisieren, unsere Abscheu und unsere Verachtung zu wecken,
unseren Zorn und unsere Verbitterung, unsere Leidenschaft bis zur Raserei zu
erhitzen und uns zu zwingen, unsere Herzen dem Haß zu eröffnen, der wie ein
verheerender Brand die Erde verwüstet.

Warum sollen die Neutralen mithassen? fragt Gad. Es muß wohl die
Meinung des Glöckners sein, daß der Haß sich in Taten umsetzen soll. Soll
es Rache sein? Soll sie sich wie in der sogenannten Tragödie "Armagedden"
austoben, wo Köln der Schauplatz des Triumphes der französischen, englischen
und belgischen Truppen ist und die Frage der Zerstörung des Doms erwogen
wird, und wo sich der edelmütige englische General für die Schonung des
Gotteshauses ausspricht? Oder will Jörgensen damit die Akte der "Rache für
Lusitania" in den Londoner Pöbelvierteln billigen? Es wäre naiv, wenn er
sich darüber wundert, daß solche Früchte kommen, meint Gad. Aber wenn es
nicht Rache sein soll, was soll dann der Haß? "Soll er nur der Begeisterung
Nahrung geben, die die Ententemächte brauchen, um Deutschland zu zerschmettern?
Die .Glocke Roland' sagt dies zwar nicht direkt, aber nur zu deutlich muß
jeder Leser dies herausfühlen. Und wenn es den Gegnern Deutschlands wirklich
gelingt, es diesmal zu zerschmettern: Was wird die Saat sein, welches die
Früchte? Haß und wieder Haß!

Doppelter Wahnsinn, wenn man neutral sein will! ... Es ist so viel ge¬
sprochen worden von der Pflicht der Neutralen, ihre Partei zu wählen, ihren Einsatz
zu machen, aber es wird so wenig von der Pflicht, neutral zu bleiben, geredet!
Von der Pflicht, endlich danach zu streben, daß man nach Recht und Fug
urteile, anstatt nach blinder Sympathie! Die .Glocke Roland' ist ein Buch
des Hasses, und deshalb ein Buch, das Schaden anrichtet. Und das würde


Der belgische Volkskrieg im Urteil der Neutralen

Sie sind auch angesteckt von dem Fieber der Kriegführenden . . . Auch die
Dänen, sonst nicht eben ein Volk von starken Leidenschaften, betätigen sich aus
diesem Gebiet.

„Endlich hat auch ein Däne ein Buch über den Krieg geschrieben, das
übersetzt, verkauft und verschlungen wird in der ganzen Welt. Es ist die
.Glocke Roland' von Johannes Jörgensen. Sie hat viele Töne, das große,
tiefe Pathos und die schneidende, gellende Ironie, die dumpfen Klänge der
Trauer und des Mitleids, den Sturmgesang des Fluches und des Zornes
mächtiges Gebraus. Aber der Grundton ist immer derselbe: Seht, so sind sie,
die Lügner, die deutschen Verbrecher, haßt sie, haßt sie!"

Ein ungefähres Bild von Jörgensens Buch können wir uns also schon
machen. Es ist eine Kampfschrift gegen Deutschland, aber — sie ist „neutral".
Die Deutschen sind der Abschaum der Erde! Das ist die ausgesprochene Tendenz
dieses Buches, sagt Karl Gad, es ist nicht eine einzige, neue Tatsache darin, es
sucht nur das schon Bekannte auf eine neue Art zu sagen, so daß es stärker
im Dienste der Agitation wirkt. Alle Kräfte der Sprache werden mobilisiert,
alle Machtmittel dichterischen Stils werden angewendet, um zu überzeugen, zu
überreden, zu hypnotisieren, unsere Abscheu und unsere Verachtung zu wecken,
unseren Zorn und unsere Verbitterung, unsere Leidenschaft bis zur Raserei zu
erhitzen und uns zu zwingen, unsere Herzen dem Haß zu eröffnen, der wie ein
verheerender Brand die Erde verwüstet.

Warum sollen die Neutralen mithassen? fragt Gad. Es muß wohl die
Meinung des Glöckners sein, daß der Haß sich in Taten umsetzen soll. Soll
es Rache sein? Soll sie sich wie in der sogenannten Tragödie „Armagedden"
austoben, wo Köln der Schauplatz des Triumphes der französischen, englischen
und belgischen Truppen ist und die Frage der Zerstörung des Doms erwogen
wird, und wo sich der edelmütige englische General für die Schonung des
Gotteshauses ausspricht? Oder will Jörgensen damit die Akte der „Rache für
Lusitania" in den Londoner Pöbelvierteln billigen? Es wäre naiv, wenn er
sich darüber wundert, daß solche Früchte kommen, meint Gad. Aber wenn es
nicht Rache sein soll, was soll dann der Haß? „Soll er nur der Begeisterung
Nahrung geben, die die Ententemächte brauchen, um Deutschland zu zerschmettern?
Die .Glocke Roland' sagt dies zwar nicht direkt, aber nur zu deutlich muß
jeder Leser dies herausfühlen. Und wenn es den Gegnern Deutschlands wirklich
gelingt, es diesmal zu zerschmettern: Was wird die Saat sein, welches die
Früchte? Haß und wieder Haß!

Doppelter Wahnsinn, wenn man neutral sein will! ... Es ist so viel ge¬
sprochen worden von der Pflicht der Neutralen, ihre Partei zu wählen, ihren Einsatz
zu machen, aber es wird so wenig von der Pflicht, neutral zu bleiben, geredet!
Von der Pflicht, endlich danach zu streben, daß man nach Recht und Fug
urteile, anstatt nach blinder Sympathie! Die .Glocke Roland' ist ein Buch
des Hasses, und deshalb ein Buch, das Schaden anrichtet. Und das würde


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[0247] Der belgische Volkskrieg im Urteil der Neutralen Sie sind auch angesteckt von dem Fieber der Kriegführenden . . . Auch die Dänen, sonst nicht eben ein Volk von starken Leidenschaften, betätigen sich aus diesem Gebiet. „Endlich hat auch ein Däne ein Buch über den Krieg geschrieben, das übersetzt, verkauft und verschlungen wird in der ganzen Welt. Es ist die .Glocke Roland' von Johannes Jörgensen. Sie hat viele Töne, das große, tiefe Pathos und die schneidende, gellende Ironie, die dumpfen Klänge der Trauer und des Mitleids, den Sturmgesang des Fluches und des Zornes mächtiges Gebraus. Aber der Grundton ist immer derselbe: Seht, so sind sie, die Lügner, die deutschen Verbrecher, haßt sie, haßt sie!" Ein ungefähres Bild von Jörgensens Buch können wir uns also schon machen. Es ist eine Kampfschrift gegen Deutschland, aber — sie ist „neutral". Die Deutschen sind der Abschaum der Erde! Das ist die ausgesprochene Tendenz dieses Buches, sagt Karl Gad, es ist nicht eine einzige, neue Tatsache darin, es sucht nur das schon Bekannte auf eine neue Art zu sagen, so daß es stärker im Dienste der Agitation wirkt. Alle Kräfte der Sprache werden mobilisiert, alle Machtmittel dichterischen Stils werden angewendet, um zu überzeugen, zu überreden, zu hypnotisieren, unsere Abscheu und unsere Verachtung zu wecken, unseren Zorn und unsere Verbitterung, unsere Leidenschaft bis zur Raserei zu erhitzen und uns zu zwingen, unsere Herzen dem Haß zu eröffnen, der wie ein verheerender Brand die Erde verwüstet. Warum sollen die Neutralen mithassen? fragt Gad. Es muß wohl die Meinung des Glöckners sein, daß der Haß sich in Taten umsetzen soll. Soll es Rache sein? Soll sie sich wie in der sogenannten Tragödie „Armagedden" austoben, wo Köln der Schauplatz des Triumphes der französischen, englischen und belgischen Truppen ist und die Frage der Zerstörung des Doms erwogen wird, und wo sich der edelmütige englische General für die Schonung des Gotteshauses ausspricht? Oder will Jörgensen damit die Akte der „Rache für Lusitania" in den Londoner Pöbelvierteln billigen? Es wäre naiv, wenn er sich darüber wundert, daß solche Früchte kommen, meint Gad. Aber wenn es nicht Rache sein soll, was soll dann der Haß? „Soll er nur der Begeisterung Nahrung geben, die die Ententemächte brauchen, um Deutschland zu zerschmettern? Die .Glocke Roland' sagt dies zwar nicht direkt, aber nur zu deutlich muß jeder Leser dies herausfühlen. Und wenn es den Gegnern Deutschlands wirklich gelingt, es diesmal zu zerschmettern: Was wird die Saat sein, welches die Früchte? Haß und wieder Haß! Doppelter Wahnsinn, wenn man neutral sein will! ... Es ist so viel ge¬ sprochen worden von der Pflicht der Neutralen, ihre Partei zu wählen, ihren Einsatz zu machen, aber es wird so wenig von der Pflicht, neutral zu bleiben, geredet! Von der Pflicht, endlich danach zu streben, daß man nach Recht und Fug urteile, anstatt nach blinder Sympathie! Die .Glocke Roland' ist ein Buch des Hasses, und deshalb ein Buch, das Schaden anrichtet. Und das würde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/247>, abgerufen am 15.01.2025.