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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der belgische Volkskrieg im Urteil der Neutralen

Ja, auch die Verantwortung der Neutralen für das, was sie heute schreiben
und noch schreiben werden, ist und bleibt sehr groß; sie erfordert Charaktere
und klare Köpfe, vor allem aber unbedingte Ehrlichkeit.

Es fehlt an solchen doch zum Glück schon heute nicht; es gibt doch Neutrale,
denen der Krieg den klaren Blick nicht getrübt hat, die ihre eigenen Sympathien
dem Willen zu strikter Objektivität gewaltsam unterzuordnen die Festigkeit haben,
und denen deshalb wenigstens später voraussichtlich alle Parteien den Ruhm
einer menschenmöglichen unparteiischen Kritik zusprechen wollen werden, wenigstens
den guten Willen dazu und die Aufrichtigkeit.

Wenn wir heute hier einen solchen Neutralen, der nach unserem Dafür¬
halten den Anspruch auf ehrliche neutrale Gesinnung und Darstellung machen
darf, zu Worte kommen lassen, so tun wir dies nicht, um zu seiner Auffassung
im einzelnen Stellung zu nehmen. Wir Deutsche müssen uns hinsichtlich des
Kapitels Belgiens zunächst an unsere deutschen Zeugnisse, an unser ehrlich ver¬
meintes gutes Recht halten, in der Hoffnung, daß unser Verhalten gegenüber
dem unglücklichen Belgien vor dem Urteil der Geschichte einst ebenso gut wird
bestehen können, wie unsere den Erzeugnissen der feindlichen Literatur entgegen¬
gestellten geschriebenen Beweise usw., denen wir bei aller Parteilichkeit und
gewiß entschuldbarer gelegentlicher Einseitigkeit allerdings schon heute den Vorzug
ruhigerer, sachlicherer und vor allem anständigerer Darstellung zuzuerkennen
geneigt bleiben.

Wir haben eine Artikelreihe aus der Feder des Dänen Karl Gad in der
Zeitschrift "spectator" vor uns, "Glocke Roland" betitelt.

Es ist -- natürlich -- eine Polemik, und zwar auch gegen einen "Neu¬
tralen", einen Landsmann sogar. Das sagt ja eigentlich schon genug. Beide
nennen sich neutral, beide behaupten über den Parteien zu stehen, -- und wer
tut es nun wirklich? Wer ist der "Neutralere"? Johannes Jörgensen heißt
der andere, und sein Buch nennt sich die "Glocke Roland". "An sie sollen die
Stürme dieses Weltkrieges stoßen, und sie soll die Wahrheit ehern künden" . . .
Sie ist ja "neutral" I Lassen wir, da uns die "Glocke Roland" nicht vorliegt,
Karl Gad nun zu Worte kommen, wir werden von ihm die Ausfassung des
anderen, des Johannes Jörgensen, kennen lernen.

Es ist eine Polemik, doppelt interessant, erstens historisch als kritischer
Beitrag zu dem vielbesprochenen Kapitel Belgien, ferner aber auch und besonders
in ideologischer oder psychologischer Hinsicht als eine geistreiche Abhandlung über
das Wesen und die Pflichten der geistigen Neutralität.

Karl Gad verbreitet sich an der Hand jenes Buches zunächst über die
Psychologie des Hasses, der nach seiner Ansicht in diesem Kriege beispiellose
Triumphe feiert, der auf der einen Seite aus dem Kampf der Freiheit, der
Zivilisation gegen die bekannten Barbaren usw., auf der anderen Seite aus
dem Kampf der deutschen Kultur gegen eine halbe Welt einen Kreuzzug macht
oder in noch anderen Schlagwörtern seinen Ausdruck sucht. Und die Neutralen?


Der belgische Volkskrieg im Urteil der Neutralen

Ja, auch die Verantwortung der Neutralen für das, was sie heute schreiben
und noch schreiben werden, ist und bleibt sehr groß; sie erfordert Charaktere
und klare Köpfe, vor allem aber unbedingte Ehrlichkeit.

Es fehlt an solchen doch zum Glück schon heute nicht; es gibt doch Neutrale,
denen der Krieg den klaren Blick nicht getrübt hat, die ihre eigenen Sympathien
dem Willen zu strikter Objektivität gewaltsam unterzuordnen die Festigkeit haben,
und denen deshalb wenigstens später voraussichtlich alle Parteien den Ruhm
einer menschenmöglichen unparteiischen Kritik zusprechen wollen werden, wenigstens
den guten Willen dazu und die Aufrichtigkeit.

Wenn wir heute hier einen solchen Neutralen, der nach unserem Dafür¬
halten den Anspruch auf ehrliche neutrale Gesinnung und Darstellung machen
darf, zu Worte kommen lassen, so tun wir dies nicht, um zu seiner Auffassung
im einzelnen Stellung zu nehmen. Wir Deutsche müssen uns hinsichtlich des
Kapitels Belgiens zunächst an unsere deutschen Zeugnisse, an unser ehrlich ver¬
meintes gutes Recht halten, in der Hoffnung, daß unser Verhalten gegenüber
dem unglücklichen Belgien vor dem Urteil der Geschichte einst ebenso gut wird
bestehen können, wie unsere den Erzeugnissen der feindlichen Literatur entgegen¬
gestellten geschriebenen Beweise usw., denen wir bei aller Parteilichkeit und
gewiß entschuldbarer gelegentlicher Einseitigkeit allerdings schon heute den Vorzug
ruhigerer, sachlicherer und vor allem anständigerer Darstellung zuzuerkennen
geneigt bleiben.

Wir haben eine Artikelreihe aus der Feder des Dänen Karl Gad in der
Zeitschrift „spectator" vor uns, „Glocke Roland" betitelt.

Es ist — natürlich — eine Polemik, und zwar auch gegen einen „Neu¬
tralen", einen Landsmann sogar. Das sagt ja eigentlich schon genug. Beide
nennen sich neutral, beide behaupten über den Parteien zu stehen, — und wer
tut es nun wirklich? Wer ist der „Neutralere"? Johannes Jörgensen heißt
der andere, und sein Buch nennt sich die „Glocke Roland". „An sie sollen die
Stürme dieses Weltkrieges stoßen, und sie soll die Wahrheit ehern künden" . . .
Sie ist ja „neutral" I Lassen wir, da uns die „Glocke Roland" nicht vorliegt,
Karl Gad nun zu Worte kommen, wir werden von ihm die Ausfassung des
anderen, des Johannes Jörgensen, kennen lernen.

Es ist eine Polemik, doppelt interessant, erstens historisch als kritischer
Beitrag zu dem vielbesprochenen Kapitel Belgien, ferner aber auch und besonders
in ideologischer oder psychologischer Hinsicht als eine geistreiche Abhandlung über
das Wesen und die Pflichten der geistigen Neutralität.

Karl Gad verbreitet sich an der Hand jenes Buches zunächst über die
Psychologie des Hasses, der nach seiner Ansicht in diesem Kriege beispiellose
Triumphe feiert, der auf der einen Seite aus dem Kampf der Freiheit, der
Zivilisation gegen die bekannten Barbaren usw., auf der anderen Seite aus
dem Kampf der deutschen Kultur gegen eine halbe Welt einen Kreuzzug macht
oder in noch anderen Schlagwörtern seinen Ausdruck sucht. Und die Neutralen?


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[0246] Der belgische Volkskrieg im Urteil der Neutralen Ja, auch die Verantwortung der Neutralen für das, was sie heute schreiben und noch schreiben werden, ist und bleibt sehr groß; sie erfordert Charaktere und klare Köpfe, vor allem aber unbedingte Ehrlichkeit. Es fehlt an solchen doch zum Glück schon heute nicht; es gibt doch Neutrale, denen der Krieg den klaren Blick nicht getrübt hat, die ihre eigenen Sympathien dem Willen zu strikter Objektivität gewaltsam unterzuordnen die Festigkeit haben, und denen deshalb wenigstens später voraussichtlich alle Parteien den Ruhm einer menschenmöglichen unparteiischen Kritik zusprechen wollen werden, wenigstens den guten Willen dazu und die Aufrichtigkeit. Wenn wir heute hier einen solchen Neutralen, der nach unserem Dafür¬ halten den Anspruch auf ehrliche neutrale Gesinnung und Darstellung machen darf, zu Worte kommen lassen, so tun wir dies nicht, um zu seiner Auffassung im einzelnen Stellung zu nehmen. Wir Deutsche müssen uns hinsichtlich des Kapitels Belgiens zunächst an unsere deutschen Zeugnisse, an unser ehrlich ver¬ meintes gutes Recht halten, in der Hoffnung, daß unser Verhalten gegenüber dem unglücklichen Belgien vor dem Urteil der Geschichte einst ebenso gut wird bestehen können, wie unsere den Erzeugnissen der feindlichen Literatur entgegen¬ gestellten geschriebenen Beweise usw., denen wir bei aller Parteilichkeit und gewiß entschuldbarer gelegentlicher Einseitigkeit allerdings schon heute den Vorzug ruhigerer, sachlicherer und vor allem anständigerer Darstellung zuzuerkennen geneigt bleiben. Wir haben eine Artikelreihe aus der Feder des Dänen Karl Gad in der Zeitschrift „spectator" vor uns, „Glocke Roland" betitelt. Es ist — natürlich — eine Polemik, und zwar auch gegen einen „Neu¬ tralen", einen Landsmann sogar. Das sagt ja eigentlich schon genug. Beide nennen sich neutral, beide behaupten über den Parteien zu stehen, — und wer tut es nun wirklich? Wer ist der „Neutralere"? Johannes Jörgensen heißt der andere, und sein Buch nennt sich die „Glocke Roland". „An sie sollen die Stürme dieses Weltkrieges stoßen, und sie soll die Wahrheit ehern künden" . . . Sie ist ja „neutral" I Lassen wir, da uns die „Glocke Roland" nicht vorliegt, Karl Gad nun zu Worte kommen, wir werden von ihm die Ausfassung des anderen, des Johannes Jörgensen, kennen lernen. Es ist eine Polemik, doppelt interessant, erstens historisch als kritischer Beitrag zu dem vielbesprochenen Kapitel Belgien, ferner aber auch und besonders in ideologischer oder psychologischer Hinsicht als eine geistreiche Abhandlung über das Wesen und die Pflichten der geistigen Neutralität. Karl Gad verbreitet sich an der Hand jenes Buches zunächst über die Psychologie des Hasses, der nach seiner Ansicht in diesem Kriege beispiellose Triumphe feiert, der auf der einen Seite aus dem Kampf der Freiheit, der Zivilisation gegen die bekannten Barbaren usw., auf der anderen Seite aus dem Kampf der deutschen Kultur gegen eine halbe Welt einen Kreuzzug macht oder in noch anderen Schlagwörtern seinen Ausdruck sucht. Und die Neutralen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/246>, abgerufen am 15.01.2025.