Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Saloniki nicht entrissen werden könne, und Castelnau hat sogar hinzugefügt, er sei mathe¬ Der Zug nach Saloniki ist das eigenste Werk Briands; es galt als ein Saloniki nicht entrissen werden könne, und Castelnau hat sogar hinzugefügt, er sei mathe¬ Der Zug nach Saloniki ist das eigenste Werk Briands; es galt als ein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329901"/> <fw type="header" place="top"> Saloniki</fw><lb/> <p xml:id="ID_732" prev="#ID_731"> nicht entrissen werden könne, und Castelnau hat sogar hinzugefügt, er sei mathe¬<lb/> matisch sicher. Der beste Mathematiker kann sich verrechnen, aber wenn sich die<lb/> Rechenfehler so häufen wie die französischen aus dem Balkan, so lassen sich die<lb/> Zweifel an der Fähigkeit der Rechenkünstler allmählich nicht mehr unterdrücken.<lb/> England kann das Märchen noch aufrecht erhalten, daß es sich um Fehler<lb/> handle, die sich nicht wiederholen werden, die Unfähigkeit und Erschöpfung<lb/> Frankreichs läßt sich nach einem nochmaligen Mißerfolg nicht mehr beschönigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_733"> Der Zug nach Saloniki ist das eigenste Werk Briands; es galt als ein<lb/> besonderer Triumph des Ministerpräsidenten und seines Landes, daß die wider¬<lb/> strebenden Engländer sich zu seinem Standpunkt bekehrten. In willfährigen<lb/> italienischen Blättern ließ man es sich bescheinigen, daß Frankreich die ihm nach<lb/> seinen Leistungen gebührende Führerschaft im Verband übernommen habe. Die<lb/> Enttäuschung wäre ungeheuer, wenn Brianos Ruhm sich als leerer Schaum er¬<lb/> weisen würde. Sein Ministerium könnte den Rückzug von Saloniki nicht über¬<lb/> leben, aber auch der vielgefeierte Joffre und der mit so großen Hoffnungen<lb/> begrüßte Castelnau würden aus dem Abenteuer zum mindesten mit einer schweren<lb/> Schädigung ihres Feldherrnrufes hervorgehen. Einen Ersatz besitzt Frankreich<lb/> nicht, weder einen Staatsmann noch einen neuen Heerführer, an denen die ge¬<lb/> täuschten Hoffnungen sich aufrichten könnten. Ein Ministerium Clemenceau,<lb/> schrieb vor kurzem eine Pariser Zeitung, wäre nicht nur der Anfang vom Ende,<lb/> sondern das Ende selbst. Aus politischen Gründen muß Frankreich Saloniki<lb/> halten und dort ein Heer untätig festlegen, während in der Champagne der<lb/> letzte Mann gebraucht wird. Damit es so aussieht, als ob etwas geschehe,<lb/> spielt General Sarrail im Osten den wilden Mann, brutalisiert die Griechen,<lb/> verhaftet harmlose Konsuln und sprengt alle Brücken in die Luft. Es hat keinen<lb/> Zweck, aber es macht zu Hause den Eindruck, als ob Saloniki von äußerster<lb/> Wichtigkeit sei und nur durch ein Aufgebot verzweifelter Energie gehalten werden<lb/> könne. Es bietet neuen Stoff für das bewährte Rätselspiel: „Greift er an,<lb/> greift er nicht an?"</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0233]
Saloniki
nicht entrissen werden könne, und Castelnau hat sogar hinzugefügt, er sei mathe¬
matisch sicher. Der beste Mathematiker kann sich verrechnen, aber wenn sich die
Rechenfehler so häufen wie die französischen aus dem Balkan, so lassen sich die
Zweifel an der Fähigkeit der Rechenkünstler allmählich nicht mehr unterdrücken.
England kann das Märchen noch aufrecht erhalten, daß es sich um Fehler
handle, die sich nicht wiederholen werden, die Unfähigkeit und Erschöpfung
Frankreichs läßt sich nach einem nochmaligen Mißerfolg nicht mehr beschönigen.
Der Zug nach Saloniki ist das eigenste Werk Briands; es galt als ein
besonderer Triumph des Ministerpräsidenten und seines Landes, daß die wider¬
strebenden Engländer sich zu seinem Standpunkt bekehrten. In willfährigen
italienischen Blättern ließ man es sich bescheinigen, daß Frankreich die ihm nach
seinen Leistungen gebührende Führerschaft im Verband übernommen habe. Die
Enttäuschung wäre ungeheuer, wenn Brianos Ruhm sich als leerer Schaum er¬
weisen würde. Sein Ministerium könnte den Rückzug von Saloniki nicht über¬
leben, aber auch der vielgefeierte Joffre und der mit so großen Hoffnungen
begrüßte Castelnau würden aus dem Abenteuer zum mindesten mit einer schweren
Schädigung ihres Feldherrnrufes hervorgehen. Einen Ersatz besitzt Frankreich
nicht, weder einen Staatsmann noch einen neuen Heerführer, an denen die ge¬
täuschten Hoffnungen sich aufrichten könnten. Ein Ministerium Clemenceau,
schrieb vor kurzem eine Pariser Zeitung, wäre nicht nur der Anfang vom Ende,
sondern das Ende selbst. Aus politischen Gründen muß Frankreich Saloniki
halten und dort ein Heer untätig festlegen, während in der Champagne der
letzte Mann gebraucht wird. Damit es so aussieht, als ob etwas geschehe,
spielt General Sarrail im Osten den wilden Mann, brutalisiert die Griechen,
verhaftet harmlose Konsuln und sprengt alle Brücken in die Luft. Es hat keinen
Zweck, aber es macht zu Hause den Eindruck, als ob Saloniki von äußerster
Wichtigkeit sei und nur durch ein Aufgebot verzweifelter Energie gehalten werden
könne. Es bietet neuen Stoff für das bewährte Rätselspiel: „Greift er an,
greift er nicht an?"
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