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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die Zukunft des Völkerrechts

der bisherigen völkerrechtlichen Bindung. Sie waren aber allzusehr zusammen¬
gehalten von dem Gedanken der völkerrechtlichen Staatenberechtigung, des
nationalen Egoismus, und häusig keineswegs diktiert von universaler Menschen-
und Lebensweisheit. Nur, wo der nationale Egoismus vereinbar schien mit
dem Egoismus der anderen, kam es zu einem Kompromiß. Das Völkerrecht
der Zukunft kann aber nur erstehen und sich entwickeln mit einer starken Dosis
von nationalem Altruismus. Wenn England, Rußland und Frankreich, vielleicht
auch Italien, dabei nicht mitmachen wollen, müssen sie eben in die zweite
Stellung, die Stellung des "8acro eZoismo", zurückgedrängt werden. -- Es
gibt außer dem Völkerrecht auch eine Völkerpflicht. Diese gilt es zu erkennen.
Es gilt das Völkergewissen zu wecken und zu verfeinern. So lange noch
Diplomaten vom Schlage eines Sasonow, Sonnino, Asquith, Grey, Churchill
und Delcassö das Völkerrecht machen und handhaben, solange das Völker¬
gewissen ihrer Völker noch nicht in die Wagschale fällt, wenn es sich um eine
Entschließung handelt: Krieg oder Nichtkrieg, Sein oder Nichtsein, solange gibt
es wohl für solche Staaten Völker- und Staatenmacht, aber kein Völkerrecht.
Dem, was sie so nennen, fehlt der kategorische Nechtsimperatw, fehlt das ethische
Minimum, fehlt die das Völkerrecht zu tragen allein befähigte Völkerethik, fehlt
das Völkergewissen. --

Der Staat ist aber nur ein formeller Rechtszustand, seine Materie ist
Herrscher und Volk. Das Volk, der Volksmann, das Volksheer, die Volks¬
vertretung verkörpern es so gut, wie der Herrscher und seine Organe, -- das
Nölkergewissen. Man sollte auch jenen die Geheimnisse der auswärtigen Politik,
soweit sie Völkerrechtsnormen schafft, nicht in dem Maße vorenthalten, wie
seither. Der Berliner Historiker Meinecke hat zwar umgekehrt Frankreich als
warnendes Beispiel von Volkskontrolle internationaler Abmachungen hingestellt.
Allein das französische Volk läßt sich auch in der Politik vur schwer mit dem
deutschen vergleichen, und die Deputiertenkammer ist keine freie Vertretung des
Volks in unserem Sinne, sondern ein Werkzeug in der Hand einer kleinen
kapitalistischen Jnteressentengruppe. Jedenfalls hat nichts dem deutschen Namen
im Weltkrieg mehr genützt, mehr Anerkennung verschafft -- nach innen und
nach außen -- als die Wahrhaftigkeit der deutschen Kriegsberichte. Der Welt¬
krieg hat sich hier als der große Erzieher zur offenen Interessenvertretung be¬
währt, die trotzdem vorsichtig, klug, im besten Sinne "diplomatisch" sein kann. --
Das zwischen den Staaten geradezu ungeheuerlich gewordene Völkermißtrauen
muß mehr und mehr verschwinden, -- wie es zwischen uns und Frankreich
schon einmal nahezu verschwunden war und lediglich durch Englands Ränke
wieder in sein Gegenteil verwandelt wurde --, muß mehr und mehr einer
internationalen Politik gegenseitigen Vertrauens, gegenseitiger Achtung Platz
machen.

Das Völkerrecht muß wieder an den Ausgangspunkt anknüpfen, den im
siebzehnten Jahrhundert Hugo Grotius geschaffen hat. Nicht als ob wir uns


Die Zukunft des Völkerrechts

der bisherigen völkerrechtlichen Bindung. Sie waren aber allzusehr zusammen¬
gehalten von dem Gedanken der völkerrechtlichen Staatenberechtigung, des
nationalen Egoismus, und häusig keineswegs diktiert von universaler Menschen-
und Lebensweisheit. Nur, wo der nationale Egoismus vereinbar schien mit
dem Egoismus der anderen, kam es zu einem Kompromiß. Das Völkerrecht
der Zukunft kann aber nur erstehen und sich entwickeln mit einer starken Dosis
von nationalem Altruismus. Wenn England, Rußland und Frankreich, vielleicht
auch Italien, dabei nicht mitmachen wollen, müssen sie eben in die zweite
Stellung, die Stellung des „8acro eZoismo", zurückgedrängt werden. — Es
gibt außer dem Völkerrecht auch eine Völkerpflicht. Diese gilt es zu erkennen.
Es gilt das Völkergewissen zu wecken und zu verfeinern. So lange noch
Diplomaten vom Schlage eines Sasonow, Sonnino, Asquith, Grey, Churchill
und Delcassö das Völkerrecht machen und handhaben, solange das Völker¬
gewissen ihrer Völker noch nicht in die Wagschale fällt, wenn es sich um eine
Entschließung handelt: Krieg oder Nichtkrieg, Sein oder Nichtsein, solange gibt
es wohl für solche Staaten Völker- und Staatenmacht, aber kein Völkerrecht.
Dem, was sie so nennen, fehlt der kategorische Nechtsimperatw, fehlt das ethische
Minimum, fehlt die das Völkerrecht zu tragen allein befähigte Völkerethik, fehlt
das Völkergewissen. —

Der Staat ist aber nur ein formeller Rechtszustand, seine Materie ist
Herrscher und Volk. Das Volk, der Volksmann, das Volksheer, die Volks¬
vertretung verkörpern es so gut, wie der Herrscher und seine Organe, — das
Nölkergewissen. Man sollte auch jenen die Geheimnisse der auswärtigen Politik,
soweit sie Völkerrechtsnormen schafft, nicht in dem Maße vorenthalten, wie
seither. Der Berliner Historiker Meinecke hat zwar umgekehrt Frankreich als
warnendes Beispiel von Volkskontrolle internationaler Abmachungen hingestellt.
Allein das französische Volk läßt sich auch in der Politik vur schwer mit dem
deutschen vergleichen, und die Deputiertenkammer ist keine freie Vertretung des
Volks in unserem Sinne, sondern ein Werkzeug in der Hand einer kleinen
kapitalistischen Jnteressentengruppe. Jedenfalls hat nichts dem deutschen Namen
im Weltkrieg mehr genützt, mehr Anerkennung verschafft — nach innen und
nach außen — als die Wahrhaftigkeit der deutschen Kriegsberichte. Der Welt¬
krieg hat sich hier als der große Erzieher zur offenen Interessenvertretung be¬
währt, die trotzdem vorsichtig, klug, im besten Sinne „diplomatisch" sein kann. —
Das zwischen den Staaten geradezu ungeheuerlich gewordene Völkermißtrauen
muß mehr und mehr verschwinden, — wie es zwischen uns und Frankreich
schon einmal nahezu verschwunden war und lediglich durch Englands Ränke
wieder in sein Gegenteil verwandelt wurde —, muß mehr und mehr einer
internationalen Politik gegenseitigen Vertrauens, gegenseitiger Achtung Platz
machen.

Das Völkerrecht muß wieder an den Ausgangspunkt anknüpfen, den im
siebzehnten Jahrhundert Hugo Grotius geschaffen hat. Nicht als ob wir uns


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[0190] Die Zukunft des Völkerrechts der bisherigen völkerrechtlichen Bindung. Sie waren aber allzusehr zusammen¬ gehalten von dem Gedanken der völkerrechtlichen Staatenberechtigung, des nationalen Egoismus, und häusig keineswegs diktiert von universaler Menschen- und Lebensweisheit. Nur, wo der nationale Egoismus vereinbar schien mit dem Egoismus der anderen, kam es zu einem Kompromiß. Das Völkerrecht der Zukunft kann aber nur erstehen und sich entwickeln mit einer starken Dosis von nationalem Altruismus. Wenn England, Rußland und Frankreich, vielleicht auch Italien, dabei nicht mitmachen wollen, müssen sie eben in die zweite Stellung, die Stellung des „8acro eZoismo", zurückgedrängt werden. — Es gibt außer dem Völkerrecht auch eine Völkerpflicht. Diese gilt es zu erkennen. Es gilt das Völkergewissen zu wecken und zu verfeinern. So lange noch Diplomaten vom Schlage eines Sasonow, Sonnino, Asquith, Grey, Churchill und Delcassö das Völkerrecht machen und handhaben, solange das Völker¬ gewissen ihrer Völker noch nicht in die Wagschale fällt, wenn es sich um eine Entschließung handelt: Krieg oder Nichtkrieg, Sein oder Nichtsein, solange gibt es wohl für solche Staaten Völker- und Staatenmacht, aber kein Völkerrecht. Dem, was sie so nennen, fehlt der kategorische Nechtsimperatw, fehlt das ethische Minimum, fehlt die das Völkerrecht zu tragen allein befähigte Völkerethik, fehlt das Völkergewissen. — Der Staat ist aber nur ein formeller Rechtszustand, seine Materie ist Herrscher und Volk. Das Volk, der Volksmann, das Volksheer, die Volks¬ vertretung verkörpern es so gut, wie der Herrscher und seine Organe, — das Nölkergewissen. Man sollte auch jenen die Geheimnisse der auswärtigen Politik, soweit sie Völkerrechtsnormen schafft, nicht in dem Maße vorenthalten, wie seither. Der Berliner Historiker Meinecke hat zwar umgekehrt Frankreich als warnendes Beispiel von Volkskontrolle internationaler Abmachungen hingestellt. Allein das französische Volk läßt sich auch in der Politik vur schwer mit dem deutschen vergleichen, und die Deputiertenkammer ist keine freie Vertretung des Volks in unserem Sinne, sondern ein Werkzeug in der Hand einer kleinen kapitalistischen Jnteressentengruppe. Jedenfalls hat nichts dem deutschen Namen im Weltkrieg mehr genützt, mehr Anerkennung verschafft — nach innen und nach außen — als die Wahrhaftigkeit der deutschen Kriegsberichte. Der Welt¬ krieg hat sich hier als der große Erzieher zur offenen Interessenvertretung be¬ währt, die trotzdem vorsichtig, klug, im besten Sinne „diplomatisch" sein kann. — Das zwischen den Staaten geradezu ungeheuerlich gewordene Völkermißtrauen muß mehr und mehr verschwinden, — wie es zwischen uns und Frankreich schon einmal nahezu verschwunden war und lediglich durch Englands Ränke wieder in sein Gegenteil verwandelt wurde —, muß mehr und mehr einer internationalen Politik gegenseitigen Vertrauens, gegenseitiger Achtung Platz machen. Das Völkerrecht muß wieder an den Ausgangspunkt anknüpfen, den im siebzehnten Jahrhundert Hugo Grotius geschaffen hat. Nicht als ob wir uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/190>, abgerufen am 15.01.2025.