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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die Zukunft des Völkerrechts

Nicht nur der Staat schafft Recht, sondern jede Menschengemeinschaft kann
es produzieren, die Herrscher und Volk und eine Organisation dafür hat. Ge¬
länge es, der Kulturgemeinschaft der Völkerrechtsstaaten eine Rechtsorganisation
zu geben und darin die Rechtsbegriffe Herrscher und Volk Wirklichkeit werden
zu lassen, so wäre das Völkerrecht "Recht" im strengen Sinne der Jurisprudenz
geworden. Da aber zurzeit noch Herrscher und Volk sowie die Organisation
(die man sich ja nach Art eines Weltbundesstaates oder -Staatenbundes wohl
vorstellen könnte) lediglich der Idee nach existieren, kann von überstaatlichen
Völkerrecht nicht die Rede sein, sondern höchstens von zwischenstaatlichen. Das,
was wir meist "zwischenstaatliches" Recht nennen, das sogenannte internationale
Verwaltung^-, Straf-, Privat- und Prozeßrecht ist nun durchaus nur gemein¬
sames oder in der Hauptsache übereinstimmendes oder Rücksicht nehmendes
Staatsrecht (im weitesten Sinne). Es gibt aber ein "zwischenstaatliches" Recht,
das viele zu unrecht Staatsrecht nennen, obwohl es nicht kraft staatlicher An¬
erkennung gilt, sondern dem Staate gegenüber allenfalls für staatlich geduldetes
Recht angesehen werden kann: das von der katholischen Weltkirche geschaffene
katholische Kirchenrecht. Dieses zwischenstaatliche Recht ist auch nicht deshalb
staatliches Recht, weil der Staat heute die Grenzen zwischen Staat und Kirche
bestimmt. Man könnte es ein "Recht zwischen den Völkern" nennen, das doch
nicht staatliches Recht geworden ist, -- das einzige "Völkerrecht" im Sinne des
Hugo Grotius, welches die Völkerrechtsentwicklung überdauert hat.

Wir wollen alles staatliche und mchtstaatliche Recht unter einem Gesichts¬
punkt zusammenfassen, den germanischen Gedanken von der grundsätzlichen
Einartigkeit allen (öffentlichen und privaten) Rechts, anch des Völkerrechts (der
Zukunft) zugrunde legen.

Das positive, d. i. jeweils innerhalb einer organisierten Menschengemeinschaft
von Herrscher und Volk anerkannte Recht kann einmal aus sich selbst, in seinem
historischen Zusammenhange oder rein dogmatisch erfaßt, erforscht und an¬
gewandt werden. Das ist der Erkenutuisgrnnd und die Erkenntnisweise der
"Jurisprudenz". Es kann aber auch in konkrete Zweckzusammenhänge gebracht
und so erforscht, festgestellt und gehandhabt werden; das ist "Rechtspolitik". Und
es kann endlich in einem Weltanschauungszusammenhange erkannt und theoretisch
und praktisch durchforscht und festgehalten werden. Das ist der Standpunkt der
"Rechtsphilosophie". Stellt man sich nun diese drei Methoden als konzentrische
Kreise vor, deren Mittelpunkt das Recht ist, so wird die Rechtsphilosophie zum
Maßstab für Rechtspolitik, Jurisprudenz und Recht -- oder dieses für jene
drei Methoden der Rechtsforschung, je nachdem ich das im Zentrum der drei
konzentrischen Kreise stehende Recht in diese oder diese in das Recht hiueiii-
projiziere. Außerhalb der so dargestellten Gesamtrechtssphäre aber berührt sich
der äußerste Kreis (der Rechtsphilosophie) mit anderen -- überstaatlichen --
Weltanschauungswerten (ästhetischen, ethischen, religiösen Charakters) und anderen
absoluten Maßstäben, wie sie Naturwissenschaft und Technik liefern (z. B. den


Die Zukunft des Völkerrechts

Nicht nur der Staat schafft Recht, sondern jede Menschengemeinschaft kann
es produzieren, die Herrscher und Volk und eine Organisation dafür hat. Ge¬
länge es, der Kulturgemeinschaft der Völkerrechtsstaaten eine Rechtsorganisation
zu geben und darin die Rechtsbegriffe Herrscher und Volk Wirklichkeit werden
zu lassen, so wäre das Völkerrecht „Recht" im strengen Sinne der Jurisprudenz
geworden. Da aber zurzeit noch Herrscher und Volk sowie die Organisation
(die man sich ja nach Art eines Weltbundesstaates oder -Staatenbundes wohl
vorstellen könnte) lediglich der Idee nach existieren, kann von überstaatlichen
Völkerrecht nicht die Rede sein, sondern höchstens von zwischenstaatlichen. Das,
was wir meist „zwischenstaatliches" Recht nennen, das sogenannte internationale
Verwaltung^-, Straf-, Privat- und Prozeßrecht ist nun durchaus nur gemein¬
sames oder in der Hauptsache übereinstimmendes oder Rücksicht nehmendes
Staatsrecht (im weitesten Sinne). Es gibt aber ein „zwischenstaatliches" Recht,
das viele zu unrecht Staatsrecht nennen, obwohl es nicht kraft staatlicher An¬
erkennung gilt, sondern dem Staate gegenüber allenfalls für staatlich geduldetes
Recht angesehen werden kann: das von der katholischen Weltkirche geschaffene
katholische Kirchenrecht. Dieses zwischenstaatliche Recht ist auch nicht deshalb
staatliches Recht, weil der Staat heute die Grenzen zwischen Staat und Kirche
bestimmt. Man könnte es ein „Recht zwischen den Völkern" nennen, das doch
nicht staatliches Recht geworden ist, — das einzige „Völkerrecht" im Sinne des
Hugo Grotius, welches die Völkerrechtsentwicklung überdauert hat.

Wir wollen alles staatliche und mchtstaatliche Recht unter einem Gesichts¬
punkt zusammenfassen, den germanischen Gedanken von der grundsätzlichen
Einartigkeit allen (öffentlichen und privaten) Rechts, anch des Völkerrechts (der
Zukunft) zugrunde legen.

Das positive, d. i. jeweils innerhalb einer organisierten Menschengemeinschaft
von Herrscher und Volk anerkannte Recht kann einmal aus sich selbst, in seinem
historischen Zusammenhange oder rein dogmatisch erfaßt, erforscht und an¬
gewandt werden. Das ist der Erkenutuisgrnnd und die Erkenntnisweise der
„Jurisprudenz". Es kann aber auch in konkrete Zweckzusammenhänge gebracht
und so erforscht, festgestellt und gehandhabt werden; das ist „Rechtspolitik". Und
es kann endlich in einem Weltanschauungszusammenhange erkannt und theoretisch
und praktisch durchforscht und festgehalten werden. Das ist der Standpunkt der
„Rechtsphilosophie". Stellt man sich nun diese drei Methoden als konzentrische
Kreise vor, deren Mittelpunkt das Recht ist, so wird die Rechtsphilosophie zum
Maßstab für Rechtspolitik, Jurisprudenz und Recht — oder dieses für jene
drei Methoden der Rechtsforschung, je nachdem ich das im Zentrum der drei
konzentrischen Kreise stehende Recht in diese oder diese in das Recht hiueiii-
projiziere. Außerhalb der so dargestellten Gesamtrechtssphäre aber berührt sich
der äußerste Kreis (der Rechtsphilosophie) mit anderen — überstaatlichen —
Weltanschauungswerten (ästhetischen, ethischen, religiösen Charakters) und anderen
absoluten Maßstäben, wie sie Naturwissenschaft und Technik liefern (z. B. den


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[0186] Die Zukunft des Völkerrechts Nicht nur der Staat schafft Recht, sondern jede Menschengemeinschaft kann es produzieren, die Herrscher und Volk und eine Organisation dafür hat. Ge¬ länge es, der Kulturgemeinschaft der Völkerrechtsstaaten eine Rechtsorganisation zu geben und darin die Rechtsbegriffe Herrscher und Volk Wirklichkeit werden zu lassen, so wäre das Völkerrecht „Recht" im strengen Sinne der Jurisprudenz geworden. Da aber zurzeit noch Herrscher und Volk sowie die Organisation (die man sich ja nach Art eines Weltbundesstaates oder -Staatenbundes wohl vorstellen könnte) lediglich der Idee nach existieren, kann von überstaatlichen Völkerrecht nicht die Rede sein, sondern höchstens von zwischenstaatlichen. Das, was wir meist „zwischenstaatliches" Recht nennen, das sogenannte internationale Verwaltung^-, Straf-, Privat- und Prozeßrecht ist nun durchaus nur gemein¬ sames oder in der Hauptsache übereinstimmendes oder Rücksicht nehmendes Staatsrecht (im weitesten Sinne). Es gibt aber ein „zwischenstaatliches" Recht, das viele zu unrecht Staatsrecht nennen, obwohl es nicht kraft staatlicher An¬ erkennung gilt, sondern dem Staate gegenüber allenfalls für staatlich geduldetes Recht angesehen werden kann: das von der katholischen Weltkirche geschaffene katholische Kirchenrecht. Dieses zwischenstaatliche Recht ist auch nicht deshalb staatliches Recht, weil der Staat heute die Grenzen zwischen Staat und Kirche bestimmt. Man könnte es ein „Recht zwischen den Völkern" nennen, das doch nicht staatliches Recht geworden ist, — das einzige „Völkerrecht" im Sinne des Hugo Grotius, welches die Völkerrechtsentwicklung überdauert hat. Wir wollen alles staatliche und mchtstaatliche Recht unter einem Gesichts¬ punkt zusammenfassen, den germanischen Gedanken von der grundsätzlichen Einartigkeit allen (öffentlichen und privaten) Rechts, anch des Völkerrechts (der Zukunft) zugrunde legen. Das positive, d. i. jeweils innerhalb einer organisierten Menschengemeinschaft von Herrscher und Volk anerkannte Recht kann einmal aus sich selbst, in seinem historischen Zusammenhange oder rein dogmatisch erfaßt, erforscht und an¬ gewandt werden. Das ist der Erkenutuisgrnnd und die Erkenntnisweise der „Jurisprudenz". Es kann aber auch in konkrete Zweckzusammenhänge gebracht und so erforscht, festgestellt und gehandhabt werden; das ist „Rechtspolitik". Und es kann endlich in einem Weltanschauungszusammenhange erkannt und theoretisch und praktisch durchforscht und festgehalten werden. Das ist der Standpunkt der „Rechtsphilosophie". Stellt man sich nun diese drei Methoden als konzentrische Kreise vor, deren Mittelpunkt das Recht ist, so wird die Rechtsphilosophie zum Maßstab für Rechtspolitik, Jurisprudenz und Recht — oder dieses für jene drei Methoden der Rechtsforschung, je nachdem ich das im Zentrum der drei konzentrischen Kreise stehende Recht in diese oder diese in das Recht hiueiii- projiziere. Außerhalb der so dargestellten Gesamtrechtssphäre aber berührt sich der äußerste Kreis (der Rechtsphilosophie) mit anderen — überstaatlichen — Weltanschauungswerten (ästhetischen, ethischen, religiösen Charakters) und anderen absoluten Maßstäben, wie sie Naturwissenschaft und Technik liefern (z. B. den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/186>, abgerufen am 15.01.2025.