Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Die Zukunft des Völkerrechts Es war kein "Völker"-Necht. Das beweist seine Geschichte. Das Völker¬ Die Zukunft des Völkerrechts Es war kein „Völker"-Necht. Das beweist seine Geschichte. Das Völker¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329846"/> <fw type="header" place="top"> Die Zukunft des Völkerrechts</fw><lb/> <p xml:id="ID_560" next="#ID_561"> Es war kein „Völker"-Necht. Das beweist seine Geschichte. Das Völker¬<lb/> recht hat eine kurze Geschichte. Kaum 300 Jahre ist es alt, wenn wir von<lb/> den primitiven Anfängen des Gesandtschaftsrechts, des Kriegsgefangenen- und<lb/> Vertragsrechts in der Römerzeit und ini Mittelalter absehen. Hugo Grotius<lb/> und der Westfälische Frieden haben es geschaffen. Hugo Grotius in feinem<lb/> IViare liberum, Die Freiheit des Meeres, und in seinem berühmteren Werke<lb/> Os jure belli ac pacis. Vom Recht des Krieges und des Friedens. Für ihn<lb/> war das Völkerrecht das Recht, „quoä inter populo8 aut populorum rectorsZ<lb/> inter-ceM", das Recht, welches zwischen den Völkern und deren Herrschern<lb/> gilt. Daher stammt der Name „Völkerrecht". Es war für ihn in erster Linie<lb/> „Völker"-Recht, in zweiter Linie Völkerrecht vermittelndes Herrscherrecht. Der<lb/> Art nach war es ihm teils Naturrecht und göttliches Recht, teils menschliche<lb/> Sitte (mors8) und menschlicher Gebrauch (iura tacito pacto introäueta).<lb/> Verträge (keclera, paetionss, Lonclitiones) erkannte er nicht als Völkerrechts¬<lb/> quellen an. Der Westfälische Frieden hat diese Gedanken erstmalig praktisch<lb/> ausgebaut, zugleich aber auch schon die Reinheit der Konstruktion verlassen.<lb/> Er hat die „Freiheit des Meeres" übernommen, aber auch die deutschen Terri¬<lb/> torien als Staaten, als Völkerrechtssubjekte anerkannt und damit einer Ent¬<lb/> wicklung den Weg gebahnt, die bis zum Ende des 13. Jahrhunderts abgeschlossen<lb/> ist: Im Jahre 1797 konnte Kant in seinen Metaphysischen Anfangsgründen der<lb/> Rechtslehre vorschlagen, den Namen „Völkerrecht" durch „Staatenrecht" zu er¬<lb/> setzen. Und in der Tat ist das Völkerrecht bis dahin immer Staatenrecht<lb/> gewesen und ist es geblieben bis auf den heutigen Tag. Es war und ist kein<lb/> Recht zwischen den Völkern, sondern zwischen den Staaten, ein zwischenstaat¬<lb/> liches Recht. Und als die Staatsgewalt mit der Herrschergewalt vollkommen<lb/> zusammenfiel, als die Herrscher sagen durften: l'stat e'sse moi oder — was<lb/> dasselbe bedeutet —: Ich bin der erste Diener des Staates, allerdings der<lb/> erste, wie es Friedrich der Große gemeint hat, als das Preußische Allgemeine<lb/> Landrecht die Fülle der Rechte und Pflichten^ des Staates in dem Oberhaupt<lb/> des Staates vereinigte, da wurde das Völkerrecht zum Herrscherrecht, zum<lb/> Diplomatenrecht. Das Völkerrecht hatte die Völker vergessen. Auch die Stände<lb/> wurden, wo sie noch bestanden, nur zugezogen, wenn die Sache etwas kostete,<lb/> und man nicht durch die reichsgesetzliche Bewilligungspflicht der Stände, wie<lb/> sie der Jüngste Reichsabschied von 1654 festgesetzt hatte, gedeckt war. Erst die<lb/> Aufklärer Rousseau, Wolff und andere, und die französische Revolution haben<lb/> ja die Bedeutung der Individuen, aus denen sich der Staat zusammensetzt, für<lb/> das Staatsganze unterstrichen. Das war ja auch der Hauptgrund für den<lb/> Zusammenbruch des unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen in<lb/> straffer Beamten- und Offizierszucht so mächtig empor geblühten Preußen, daß<lb/> man etwas vergessen hatte in der Organisation von Staat und Gemeinde, von<lb/> Heer und Verwaltung: das Volk. Erst das 19. Jahrhundert hat ja Volksheer<lb/> und Selbstverwaltung der Gemeinden, Volksvertretung und Volksrecht in Preußen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0180]
Die Zukunft des Völkerrechts
Es war kein „Völker"-Necht. Das beweist seine Geschichte. Das Völker¬
recht hat eine kurze Geschichte. Kaum 300 Jahre ist es alt, wenn wir von
den primitiven Anfängen des Gesandtschaftsrechts, des Kriegsgefangenen- und
Vertragsrechts in der Römerzeit und ini Mittelalter absehen. Hugo Grotius
und der Westfälische Frieden haben es geschaffen. Hugo Grotius in feinem
IViare liberum, Die Freiheit des Meeres, und in seinem berühmteren Werke
Os jure belli ac pacis. Vom Recht des Krieges und des Friedens. Für ihn
war das Völkerrecht das Recht, „quoä inter populo8 aut populorum rectorsZ
inter-ceM", das Recht, welches zwischen den Völkern und deren Herrschern
gilt. Daher stammt der Name „Völkerrecht". Es war für ihn in erster Linie
„Völker"-Recht, in zweiter Linie Völkerrecht vermittelndes Herrscherrecht. Der
Art nach war es ihm teils Naturrecht und göttliches Recht, teils menschliche
Sitte (mors8) und menschlicher Gebrauch (iura tacito pacto introäueta).
Verträge (keclera, paetionss, Lonclitiones) erkannte er nicht als Völkerrechts¬
quellen an. Der Westfälische Frieden hat diese Gedanken erstmalig praktisch
ausgebaut, zugleich aber auch schon die Reinheit der Konstruktion verlassen.
Er hat die „Freiheit des Meeres" übernommen, aber auch die deutschen Terri¬
torien als Staaten, als Völkerrechtssubjekte anerkannt und damit einer Ent¬
wicklung den Weg gebahnt, die bis zum Ende des 13. Jahrhunderts abgeschlossen
ist: Im Jahre 1797 konnte Kant in seinen Metaphysischen Anfangsgründen der
Rechtslehre vorschlagen, den Namen „Völkerrecht" durch „Staatenrecht" zu er¬
setzen. Und in der Tat ist das Völkerrecht bis dahin immer Staatenrecht
gewesen und ist es geblieben bis auf den heutigen Tag. Es war und ist kein
Recht zwischen den Völkern, sondern zwischen den Staaten, ein zwischenstaat¬
liches Recht. Und als die Staatsgewalt mit der Herrschergewalt vollkommen
zusammenfiel, als die Herrscher sagen durften: l'stat e'sse moi oder — was
dasselbe bedeutet —: Ich bin der erste Diener des Staates, allerdings der
erste, wie es Friedrich der Große gemeint hat, als das Preußische Allgemeine
Landrecht die Fülle der Rechte und Pflichten^ des Staates in dem Oberhaupt
des Staates vereinigte, da wurde das Völkerrecht zum Herrscherrecht, zum
Diplomatenrecht. Das Völkerrecht hatte die Völker vergessen. Auch die Stände
wurden, wo sie noch bestanden, nur zugezogen, wenn die Sache etwas kostete,
und man nicht durch die reichsgesetzliche Bewilligungspflicht der Stände, wie
sie der Jüngste Reichsabschied von 1654 festgesetzt hatte, gedeckt war. Erst die
Aufklärer Rousseau, Wolff und andere, und die französische Revolution haben
ja die Bedeutung der Individuen, aus denen sich der Staat zusammensetzt, für
das Staatsganze unterstrichen. Das war ja auch der Hauptgrund für den
Zusammenbruch des unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen in
straffer Beamten- und Offizierszucht so mächtig empor geblühten Preußen, daß
man etwas vergessen hatte in der Organisation von Staat und Gemeinde, von
Heer und Verwaltung: das Volk. Erst das 19. Jahrhundert hat ja Volksheer
und Selbstverwaltung der Gemeinden, Volksvertretung und Volksrecht in Preußen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |