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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der neue Sohn des Himmels

audienz. Ich wollte die hohe Auszeichnung, die darin lag, daß er mich allein
und sofort auf meine Bitte hin empfangen hatte, nicht mißbrauchen. Der
Präsident schenkte mir, als ich mich verabschiedete, sein großes Bild in der neuen
Paradeuniform.

Zwei Jahre sind seitdem verflossen. Mehr und mehr hat es Auanschikai
verstanden, die Macht in seiner Hand zu zentralisieren. Der Weltkrieg ist für
China nicht eine derartige Quelle des Übels geworden, wie er es für das alte
Europa ist. Die stets eifersüchtigen Großmächte haben einen anderen Ab¬
lenkungspunkt für ihre Machtgelüste bekommen. China hatte Zeit zur Ruhe,
Zeit sich zu sammeln. Uuanschikai hat diese Zeit genutzt. Nur seine alten
Feinde und Neider, die Japaner, bemühen sich nach Kräften, seine Kreise zu
stören. Den Japanern ist nur daran gelegen, China zu schwächen, China nicht
groß und einig werden zu lassen. Es ist ein ewiges diplomatisches Ringen.
Die Intrige, Haß, Neid, sind wohl nirgends so tätig, wie dort draußen, in
der Maske des glatten lächelnden Gesichtes, mit dem der Orientale auch noch
in den Tod geht. Das Land -- durch eine grenzenlose Mißwirtschaft erschöpft
und zerrüttet durch die Revolutionen -- sehnt sich nach Nuhe. China besinnt
sich auf die Grundlagen seiner Kraft, die im patriarchalischen System liegen.
Es ist eine Naturnotwendigkeit, wie in keinem anderen Lande auf Erden, daß
dieses große Volk etwas besitzt, woran es glauben kann, einen Mann, welcher
dem ganzen Volke ein Vater ist. Das Volk hängt an dem Kult seiner Ahnen.
Es glaubt an die Macht des Himmels und der Erde. Das Volk sucht einen
Mittler zwischen sich, dem niederen Erdgeborenen und dem Übersinnlichen --
von dem es nichts weiß -- dem Himmel. Wer könnte dies besser sein, als
bez Stärkste, der zudem noch ein wahrer Sohn der chinesischen Erde ist, den
das Land selbst hervorgebracht hat, der nicht von fremdem Stamme ist --
Auanschikail Die Herrschaft der landfremd gebliebenen Mandschus hatte das
Land satt.

Juanschikai wird der neue Hoangti, der Gelbe, sein. Er ist es in diesen
Tagen geworden. Wir Kinder des Abendlandes nennen ihn einen neuen
Kaiser. Dieser Begriff ist den Ostasiaten weniger geläufig. Für sie ist er eben
der Tieutse -- der neue Sohn des Himmels.




Der neue Sohn des Himmels

audienz. Ich wollte die hohe Auszeichnung, die darin lag, daß er mich allein
und sofort auf meine Bitte hin empfangen hatte, nicht mißbrauchen. Der
Präsident schenkte mir, als ich mich verabschiedete, sein großes Bild in der neuen
Paradeuniform.

Zwei Jahre sind seitdem verflossen. Mehr und mehr hat es Auanschikai
verstanden, die Macht in seiner Hand zu zentralisieren. Der Weltkrieg ist für
China nicht eine derartige Quelle des Übels geworden, wie er es für das alte
Europa ist. Die stets eifersüchtigen Großmächte haben einen anderen Ab¬
lenkungspunkt für ihre Machtgelüste bekommen. China hatte Zeit zur Ruhe,
Zeit sich zu sammeln. Uuanschikai hat diese Zeit genutzt. Nur seine alten
Feinde und Neider, die Japaner, bemühen sich nach Kräften, seine Kreise zu
stören. Den Japanern ist nur daran gelegen, China zu schwächen, China nicht
groß und einig werden zu lassen. Es ist ein ewiges diplomatisches Ringen.
Die Intrige, Haß, Neid, sind wohl nirgends so tätig, wie dort draußen, in
der Maske des glatten lächelnden Gesichtes, mit dem der Orientale auch noch
in den Tod geht. Das Land — durch eine grenzenlose Mißwirtschaft erschöpft
und zerrüttet durch die Revolutionen — sehnt sich nach Nuhe. China besinnt
sich auf die Grundlagen seiner Kraft, die im patriarchalischen System liegen.
Es ist eine Naturnotwendigkeit, wie in keinem anderen Lande auf Erden, daß
dieses große Volk etwas besitzt, woran es glauben kann, einen Mann, welcher
dem ganzen Volke ein Vater ist. Das Volk hängt an dem Kult seiner Ahnen.
Es glaubt an die Macht des Himmels und der Erde. Das Volk sucht einen
Mittler zwischen sich, dem niederen Erdgeborenen und dem Übersinnlichen —
von dem es nichts weiß — dem Himmel. Wer könnte dies besser sein, als
bez Stärkste, der zudem noch ein wahrer Sohn der chinesischen Erde ist, den
das Land selbst hervorgebracht hat, der nicht von fremdem Stamme ist —
Auanschikail Die Herrschaft der landfremd gebliebenen Mandschus hatte das
Land satt.

Juanschikai wird der neue Hoangti, der Gelbe, sein. Er ist es in diesen
Tagen geworden. Wir Kinder des Abendlandes nennen ihn einen neuen
Kaiser. Dieser Begriff ist den Ostasiaten weniger geläufig. Für sie ist er eben
der Tieutse — der neue Sohn des Himmels.




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[0166] Der neue Sohn des Himmels audienz. Ich wollte die hohe Auszeichnung, die darin lag, daß er mich allein und sofort auf meine Bitte hin empfangen hatte, nicht mißbrauchen. Der Präsident schenkte mir, als ich mich verabschiedete, sein großes Bild in der neuen Paradeuniform. Zwei Jahre sind seitdem verflossen. Mehr und mehr hat es Auanschikai verstanden, die Macht in seiner Hand zu zentralisieren. Der Weltkrieg ist für China nicht eine derartige Quelle des Übels geworden, wie er es für das alte Europa ist. Die stets eifersüchtigen Großmächte haben einen anderen Ab¬ lenkungspunkt für ihre Machtgelüste bekommen. China hatte Zeit zur Ruhe, Zeit sich zu sammeln. Uuanschikai hat diese Zeit genutzt. Nur seine alten Feinde und Neider, die Japaner, bemühen sich nach Kräften, seine Kreise zu stören. Den Japanern ist nur daran gelegen, China zu schwächen, China nicht groß und einig werden zu lassen. Es ist ein ewiges diplomatisches Ringen. Die Intrige, Haß, Neid, sind wohl nirgends so tätig, wie dort draußen, in der Maske des glatten lächelnden Gesichtes, mit dem der Orientale auch noch in den Tod geht. Das Land — durch eine grenzenlose Mißwirtschaft erschöpft und zerrüttet durch die Revolutionen — sehnt sich nach Nuhe. China besinnt sich auf die Grundlagen seiner Kraft, die im patriarchalischen System liegen. Es ist eine Naturnotwendigkeit, wie in keinem anderen Lande auf Erden, daß dieses große Volk etwas besitzt, woran es glauben kann, einen Mann, welcher dem ganzen Volke ein Vater ist. Das Volk hängt an dem Kult seiner Ahnen. Es glaubt an die Macht des Himmels und der Erde. Das Volk sucht einen Mittler zwischen sich, dem niederen Erdgeborenen und dem Übersinnlichen — von dem es nichts weiß — dem Himmel. Wer könnte dies besser sein, als bez Stärkste, der zudem noch ein wahrer Sohn der chinesischen Erde ist, den das Land selbst hervorgebracht hat, der nicht von fremdem Stamme ist — Auanschikail Die Herrschaft der landfremd gebliebenen Mandschus hatte das Land satt. Juanschikai wird der neue Hoangti, der Gelbe, sein. Er ist es in diesen Tagen geworden. Wir Kinder des Abendlandes nennen ihn einen neuen Kaiser. Dieser Begriff ist den Ostasiaten weniger geläufig. Für sie ist er eben der Tieutse — der neue Sohn des Himmels.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/166>, abgerufen am 15.01.2025.