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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der neue Sohn dos Himmels

noch einmal im Sommer 1913 einen großen Schlag zu führen. Die zweite
Revolution brach aus.

Ich war im Jahre 1913 gerade aus der Mongolei gekommen, wo wieder
einmal Aufstand drohte. Man begann sich am mittleren Uangtse zu schlagen.
Ein weiteres revolutionäres Heer rückte von Nanking unter japanischen Be¬
ratern längs der Tientsinpukaubahn vor, um durch die Provinzen Kiangsu und
Schankung ins Herz des Reiches, die Provinz Tschiki, einzubrechen.

Uuanschikai schickte seinen treuesten Diener, den Feldmarschall Fengkuotschang,
mit erprobten Truppen entgegen. Mit dem Feldmarschall zusammen operierte
der alte Tschangsün, eine der merkwürdigsten Erscheinungen des neuen China.
Der soeben ermordete Tschang war ein Herr aus eigenen Gnaden mit eigenem
Heer, der in Westschantung saß und dem niemand -- nicht einmal Auanschikai
-- zuleide konnte. Alle Parteien mußten mit ihm rechnen, das heißt in China: alle
Parteien bezahlten ihn. Zu diesem Heere reiste ich und erlebte dort das, was die
Chinesen "Schlachten" nennen. Eine große Komödie, bei welcher die Feldherren
Sieg und Niederlage wahrscheinlich längst vorher ausgemacht haben. Zuweilen --
so sagt man -- soll es bei solchen Ereignissen auch Tote und Verwundete
geben. Die Rebellen gingen zurück. Ich selbst wechselte die Heere -- es ist
wahrhaftig so --, da es mir bei den Nordtruppen zu langweilig wurde und
ging zum Rebellenheer über. Den Rückzug des letzteren machte ich mit und
gelangte mit den Truppen nach Nanking hinein. Von da aus ging ich nach
Schanghai. Dort erlebte ich wie auf einem Theater die Kämpfe um die Wusung-
Forts und die große "Schlacht" in der Nähe von Schanghai bei Kiangwan.
Davon ein andermal. Im Anschluß nahm mich unser tapferer Admiral Graf
Spec auf seinem ruhmbedeckten Flaggschiff Scharnhorst mit nach Tsingtau, von
wo aus ich nach Peking zurückkehrte.

Es war Herbst geworden. Wiederum hatte ich die Ehre, den Präsidenten
zu sehen. Sunpautschi war mittlerweile Ministerpräsident und Minister des
Äußeren geworden. Er blieb mir immer derselbe liebenswürdige Freund und
Gönner. Ich fragte bei ihm an, ob ich dem Präsidenten vorgestellt werden
könne, da ich beabsichtigte, nach der Heimat zurückzukehren. Meine Bitte wurde
mir sofort gewährt, und so sah ich den großen Mann vor etwas mehr als
zwei Jahren in seinem Palast, den ich ja aus der Zeit der Boxerwirren von
1900 her genau kannte. Unan empfing mich ganz allein, nur Sunpautschi
war zugegen. Uuanschikai trug ein einfaches rohseidenes chinesisches Kleid. Er
sah gut gepflegt aus. Das Haar war ganz grau geworden. Der sonst so
buschige Schnurrbart war etwas dünner. Das Gesicht zeigte nicht mehr die-
selben gebieterischen trotzigen Züge. Ich hatte den Eindruck, daß es weicher
geworden war. Es hatte etwas Gewinnendes in seinem Ausdruck. Wieder waren
es die Angen, die sofort fesselten. Wer dieses Gesicht gesehen hat. der wird
es nicht vergessen. Wir unterhielten uns in vollkommen freier Weise. Die
große Politik wurde nicht berührt, absichtlich nicht, denn es war ja eine Privat-


Der neue Sohn dos Himmels

noch einmal im Sommer 1913 einen großen Schlag zu führen. Die zweite
Revolution brach aus.

Ich war im Jahre 1913 gerade aus der Mongolei gekommen, wo wieder
einmal Aufstand drohte. Man begann sich am mittleren Uangtse zu schlagen.
Ein weiteres revolutionäres Heer rückte von Nanking unter japanischen Be¬
ratern längs der Tientsinpukaubahn vor, um durch die Provinzen Kiangsu und
Schankung ins Herz des Reiches, die Provinz Tschiki, einzubrechen.

Uuanschikai schickte seinen treuesten Diener, den Feldmarschall Fengkuotschang,
mit erprobten Truppen entgegen. Mit dem Feldmarschall zusammen operierte
der alte Tschangsün, eine der merkwürdigsten Erscheinungen des neuen China.
Der soeben ermordete Tschang war ein Herr aus eigenen Gnaden mit eigenem
Heer, der in Westschantung saß und dem niemand — nicht einmal Auanschikai
— zuleide konnte. Alle Parteien mußten mit ihm rechnen, das heißt in China: alle
Parteien bezahlten ihn. Zu diesem Heere reiste ich und erlebte dort das, was die
Chinesen „Schlachten" nennen. Eine große Komödie, bei welcher die Feldherren
Sieg und Niederlage wahrscheinlich längst vorher ausgemacht haben. Zuweilen —
so sagt man — soll es bei solchen Ereignissen auch Tote und Verwundete
geben. Die Rebellen gingen zurück. Ich selbst wechselte die Heere — es ist
wahrhaftig so —, da es mir bei den Nordtruppen zu langweilig wurde und
ging zum Rebellenheer über. Den Rückzug des letzteren machte ich mit und
gelangte mit den Truppen nach Nanking hinein. Von da aus ging ich nach
Schanghai. Dort erlebte ich wie auf einem Theater die Kämpfe um die Wusung-
Forts und die große „Schlacht" in der Nähe von Schanghai bei Kiangwan.
Davon ein andermal. Im Anschluß nahm mich unser tapferer Admiral Graf
Spec auf seinem ruhmbedeckten Flaggschiff Scharnhorst mit nach Tsingtau, von
wo aus ich nach Peking zurückkehrte.

Es war Herbst geworden. Wiederum hatte ich die Ehre, den Präsidenten
zu sehen. Sunpautschi war mittlerweile Ministerpräsident und Minister des
Äußeren geworden. Er blieb mir immer derselbe liebenswürdige Freund und
Gönner. Ich fragte bei ihm an, ob ich dem Präsidenten vorgestellt werden
könne, da ich beabsichtigte, nach der Heimat zurückzukehren. Meine Bitte wurde
mir sofort gewährt, und so sah ich den großen Mann vor etwas mehr als
zwei Jahren in seinem Palast, den ich ja aus der Zeit der Boxerwirren von
1900 her genau kannte. Unan empfing mich ganz allein, nur Sunpautschi
war zugegen. Uuanschikai trug ein einfaches rohseidenes chinesisches Kleid. Er
sah gut gepflegt aus. Das Haar war ganz grau geworden. Der sonst so
buschige Schnurrbart war etwas dünner. Das Gesicht zeigte nicht mehr die-
selben gebieterischen trotzigen Züge. Ich hatte den Eindruck, daß es weicher
geworden war. Es hatte etwas Gewinnendes in seinem Ausdruck. Wieder waren
es die Angen, die sofort fesselten. Wer dieses Gesicht gesehen hat. der wird
es nicht vergessen. Wir unterhielten uns in vollkommen freier Weise. Die
große Politik wurde nicht berührt, absichtlich nicht, denn es war ja eine Privat-


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[0165] Der neue Sohn dos Himmels noch einmal im Sommer 1913 einen großen Schlag zu führen. Die zweite Revolution brach aus. Ich war im Jahre 1913 gerade aus der Mongolei gekommen, wo wieder einmal Aufstand drohte. Man begann sich am mittleren Uangtse zu schlagen. Ein weiteres revolutionäres Heer rückte von Nanking unter japanischen Be¬ ratern längs der Tientsinpukaubahn vor, um durch die Provinzen Kiangsu und Schankung ins Herz des Reiches, die Provinz Tschiki, einzubrechen. Uuanschikai schickte seinen treuesten Diener, den Feldmarschall Fengkuotschang, mit erprobten Truppen entgegen. Mit dem Feldmarschall zusammen operierte der alte Tschangsün, eine der merkwürdigsten Erscheinungen des neuen China. Der soeben ermordete Tschang war ein Herr aus eigenen Gnaden mit eigenem Heer, der in Westschantung saß und dem niemand — nicht einmal Auanschikai — zuleide konnte. Alle Parteien mußten mit ihm rechnen, das heißt in China: alle Parteien bezahlten ihn. Zu diesem Heere reiste ich und erlebte dort das, was die Chinesen „Schlachten" nennen. Eine große Komödie, bei welcher die Feldherren Sieg und Niederlage wahrscheinlich längst vorher ausgemacht haben. Zuweilen — so sagt man — soll es bei solchen Ereignissen auch Tote und Verwundete geben. Die Rebellen gingen zurück. Ich selbst wechselte die Heere — es ist wahrhaftig so —, da es mir bei den Nordtruppen zu langweilig wurde und ging zum Rebellenheer über. Den Rückzug des letzteren machte ich mit und gelangte mit den Truppen nach Nanking hinein. Von da aus ging ich nach Schanghai. Dort erlebte ich wie auf einem Theater die Kämpfe um die Wusung- Forts und die große „Schlacht" in der Nähe von Schanghai bei Kiangwan. Davon ein andermal. Im Anschluß nahm mich unser tapferer Admiral Graf Spec auf seinem ruhmbedeckten Flaggschiff Scharnhorst mit nach Tsingtau, von wo aus ich nach Peking zurückkehrte. Es war Herbst geworden. Wiederum hatte ich die Ehre, den Präsidenten zu sehen. Sunpautschi war mittlerweile Ministerpräsident und Minister des Äußeren geworden. Er blieb mir immer derselbe liebenswürdige Freund und Gönner. Ich fragte bei ihm an, ob ich dem Präsidenten vorgestellt werden könne, da ich beabsichtigte, nach der Heimat zurückzukehren. Meine Bitte wurde mir sofort gewährt, und so sah ich den großen Mann vor etwas mehr als zwei Jahren in seinem Palast, den ich ja aus der Zeit der Boxerwirren von 1900 her genau kannte. Unan empfing mich ganz allein, nur Sunpautschi war zugegen. Uuanschikai trug ein einfaches rohseidenes chinesisches Kleid. Er sah gut gepflegt aus. Das Haar war ganz grau geworden. Der sonst so buschige Schnurrbart war etwas dünner. Das Gesicht zeigte nicht mehr die- selben gebieterischen trotzigen Züge. Ich hatte den Eindruck, daß es weicher geworden war. Es hatte etwas Gewinnendes in seinem Ausdruck. Wieder waren es die Angen, die sofort fesselten. Wer dieses Gesicht gesehen hat. der wird es nicht vergessen. Wir unterhielten uns in vollkommen freier Weise. Die große Politik wurde nicht berührt, absichtlich nicht, denn es war ja eine Privat-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/165>, abgerufen am 15.01.2025.