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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der neue Sohn des Himmels

Es war im Frühjahr. Das Land hatte sich beruhigt. Der Präsident
leistete den Eid auf die Verfassung. Diese Verfassung war rein theoretisch über¬
nommen und diente nur dazu, den Fremden Sand in die Augen zu streuen.
Die chinesischen Machthaber haben sich in ihren Maßnahmen nie an Parlament,
öffentliche Meinung oder Zeitungsrummel gekehrt. Besonders Uuanschikai ist
seinen Weg ruhig geradeaus geschritten auf das eine Ziel los, das er heute
erreicht hat. Er kannte kein Hindernis.

Die Eidesleistung geschah unter Beisein aller derer, die zu jener Zeit an
der Staatsleitung teilnahmen. Auch die Repräsentanten des Volkes, sowohl
der Mandschus und der Chinesen, als auch der Mongolen, waren eingeladen.
Ich stand bei der Zeremonie dicht neben dem Präsidenten. Dieser sprach nach
der Zeremonie einige freundliche Worte mit mir. Er war sehr grau geworden.
Das Gesicht war wieder voll und rund, die Augen unverändert. Die Uniform,
die man ihm zurechtgemacht hatte, saß ihm schlecht. Die alten Trachten der
chinesischen Großen waren viel würdiger und schöner gewesen. Uuanschikai hat
keine gute Figur. Er ist sehr breit und untersetzt. Dazu paßt das alle weite
gestickte Staatsgewand sehr viel besser. Er sah gut aus zu dieser Zeit und
hatte etwas Freundliches im Gesicht. Das abgerissene, unvermittelte und laute
Lachen klang noch ebenso merkwürdig wie damals, als ich ihn zum ersten
Male sah.

Wieder vergingen Monate. Unruhe war ständig im Reiche. Der Mann
an der Spitze rang weiter um die Macht. Der Süden empörte sich schließlich
erneut gegen den Norden. Der uralte Gegensatz war noch nicht endgültig
überbrückt. Es kam zu neuen Revolten, zu blutigen schweren Kämpfen. Uuanschikai
hatte jedoch vorgesorgt. Mehr und mehr hatte er es verstanden, mit seinen
Getreuen und den ihm durch dick und dünn anhängenden Soldaten die strate¬
gischen Punkte des weiten Reiches zu besetzen. Es gelang ihm, den Aufstand
in der Mongolei niederzuschlagen. Die Russen, die mit dem mongolischen Gro߬
lama zusammen gegen Uuanschikai intrigierten, wußte er sehr geschickt zu be¬
friedigen. Immer und immer mußte er kavieren, denn obwohl seine Soldaten
auf ihn schworen, so saß doch der Geist der Revolution, ein Geist der Jndisziplin
in der Soldateska. Raub und Plündern lockte diese Berufssoldaten wie einst
die Söldner im letzten Drittel des Dreißigjährigen Krieges. Oft genug kam
es zu schweren lokalen Ausbrüchen. Der Kaufmann hatte darunter zu leiden,
und der Handel lag in manchen Teilen des Landes gänzlich danieder. Aber
Juans Macht stieg. Sie wuchs leise und unmerkbar, fast unheimlich. Dieser
Mann faszinierte allein mit seinem Namen die Gemüter. Man sprach in den
Herbergen, auf den Landstraßen und den Hafenstädten nur leise von ihm. Es
war fast gefährlich, den Namen zu nennen. Wer wußte denn, ob nicht der
Horcher und Spion in der Nähe war, der es dem Gewaltigen da hinten im
Kaiserpalast in Peking hinterbrachte! Den berufsmäßigen Volksverderbern begann
der Boden unter den Füßen zu brennen. Ihre Hinterleute, die Japaner, dachten


Der neue Sohn des Himmels

Es war im Frühjahr. Das Land hatte sich beruhigt. Der Präsident
leistete den Eid auf die Verfassung. Diese Verfassung war rein theoretisch über¬
nommen und diente nur dazu, den Fremden Sand in die Augen zu streuen.
Die chinesischen Machthaber haben sich in ihren Maßnahmen nie an Parlament,
öffentliche Meinung oder Zeitungsrummel gekehrt. Besonders Uuanschikai ist
seinen Weg ruhig geradeaus geschritten auf das eine Ziel los, das er heute
erreicht hat. Er kannte kein Hindernis.

Die Eidesleistung geschah unter Beisein aller derer, die zu jener Zeit an
der Staatsleitung teilnahmen. Auch die Repräsentanten des Volkes, sowohl
der Mandschus und der Chinesen, als auch der Mongolen, waren eingeladen.
Ich stand bei der Zeremonie dicht neben dem Präsidenten. Dieser sprach nach
der Zeremonie einige freundliche Worte mit mir. Er war sehr grau geworden.
Das Gesicht war wieder voll und rund, die Augen unverändert. Die Uniform,
die man ihm zurechtgemacht hatte, saß ihm schlecht. Die alten Trachten der
chinesischen Großen waren viel würdiger und schöner gewesen. Uuanschikai hat
keine gute Figur. Er ist sehr breit und untersetzt. Dazu paßt das alle weite
gestickte Staatsgewand sehr viel besser. Er sah gut aus zu dieser Zeit und
hatte etwas Freundliches im Gesicht. Das abgerissene, unvermittelte und laute
Lachen klang noch ebenso merkwürdig wie damals, als ich ihn zum ersten
Male sah.

Wieder vergingen Monate. Unruhe war ständig im Reiche. Der Mann
an der Spitze rang weiter um die Macht. Der Süden empörte sich schließlich
erneut gegen den Norden. Der uralte Gegensatz war noch nicht endgültig
überbrückt. Es kam zu neuen Revolten, zu blutigen schweren Kämpfen. Uuanschikai
hatte jedoch vorgesorgt. Mehr und mehr hatte er es verstanden, mit seinen
Getreuen und den ihm durch dick und dünn anhängenden Soldaten die strate¬
gischen Punkte des weiten Reiches zu besetzen. Es gelang ihm, den Aufstand
in der Mongolei niederzuschlagen. Die Russen, die mit dem mongolischen Gro߬
lama zusammen gegen Uuanschikai intrigierten, wußte er sehr geschickt zu be¬
friedigen. Immer und immer mußte er kavieren, denn obwohl seine Soldaten
auf ihn schworen, so saß doch der Geist der Revolution, ein Geist der Jndisziplin
in der Soldateska. Raub und Plündern lockte diese Berufssoldaten wie einst
die Söldner im letzten Drittel des Dreißigjährigen Krieges. Oft genug kam
es zu schweren lokalen Ausbrüchen. Der Kaufmann hatte darunter zu leiden,
und der Handel lag in manchen Teilen des Landes gänzlich danieder. Aber
Juans Macht stieg. Sie wuchs leise und unmerkbar, fast unheimlich. Dieser
Mann faszinierte allein mit seinem Namen die Gemüter. Man sprach in den
Herbergen, auf den Landstraßen und den Hafenstädten nur leise von ihm. Es
war fast gefährlich, den Namen zu nennen. Wer wußte denn, ob nicht der
Horcher und Spion in der Nähe war, der es dem Gewaltigen da hinten im
Kaiserpalast in Peking hinterbrachte! Den berufsmäßigen Volksverderbern begann
der Boden unter den Füßen zu brennen. Ihre Hinterleute, die Japaner, dachten


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[0164] Der neue Sohn des Himmels Es war im Frühjahr. Das Land hatte sich beruhigt. Der Präsident leistete den Eid auf die Verfassung. Diese Verfassung war rein theoretisch über¬ nommen und diente nur dazu, den Fremden Sand in die Augen zu streuen. Die chinesischen Machthaber haben sich in ihren Maßnahmen nie an Parlament, öffentliche Meinung oder Zeitungsrummel gekehrt. Besonders Uuanschikai ist seinen Weg ruhig geradeaus geschritten auf das eine Ziel los, das er heute erreicht hat. Er kannte kein Hindernis. Die Eidesleistung geschah unter Beisein aller derer, die zu jener Zeit an der Staatsleitung teilnahmen. Auch die Repräsentanten des Volkes, sowohl der Mandschus und der Chinesen, als auch der Mongolen, waren eingeladen. Ich stand bei der Zeremonie dicht neben dem Präsidenten. Dieser sprach nach der Zeremonie einige freundliche Worte mit mir. Er war sehr grau geworden. Das Gesicht war wieder voll und rund, die Augen unverändert. Die Uniform, die man ihm zurechtgemacht hatte, saß ihm schlecht. Die alten Trachten der chinesischen Großen waren viel würdiger und schöner gewesen. Uuanschikai hat keine gute Figur. Er ist sehr breit und untersetzt. Dazu paßt das alle weite gestickte Staatsgewand sehr viel besser. Er sah gut aus zu dieser Zeit und hatte etwas Freundliches im Gesicht. Das abgerissene, unvermittelte und laute Lachen klang noch ebenso merkwürdig wie damals, als ich ihn zum ersten Male sah. Wieder vergingen Monate. Unruhe war ständig im Reiche. Der Mann an der Spitze rang weiter um die Macht. Der Süden empörte sich schließlich erneut gegen den Norden. Der uralte Gegensatz war noch nicht endgültig überbrückt. Es kam zu neuen Revolten, zu blutigen schweren Kämpfen. Uuanschikai hatte jedoch vorgesorgt. Mehr und mehr hatte er es verstanden, mit seinen Getreuen und den ihm durch dick und dünn anhängenden Soldaten die strate¬ gischen Punkte des weiten Reiches zu besetzen. Es gelang ihm, den Aufstand in der Mongolei niederzuschlagen. Die Russen, die mit dem mongolischen Gro߬ lama zusammen gegen Uuanschikai intrigierten, wußte er sehr geschickt zu be¬ friedigen. Immer und immer mußte er kavieren, denn obwohl seine Soldaten auf ihn schworen, so saß doch der Geist der Revolution, ein Geist der Jndisziplin in der Soldateska. Raub und Plündern lockte diese Berufssoldaten wie einst die Söldner im letzten Drittel des Dreißigjährigen Krieges. Oft genug kam es zu schweren lokalen Ausbrüchen. Der Kaufmann hatte darunter zu leiden, und der Handel lag in manchen Teilen des Landes gänzlich danieder. Aber Juans Macht stieg. Sie wuchs leise und unmerkbar, fast unheimlich. Dieser Mann faszinierte allein mit seinem Namen die Gemüter. Man sprach in den Herbergen, auf den Landstraßen und den Hafenstädten nur leise von ihm. Es war fast gefährlich, den Namen zu nennen. Wer wußte denn, ob nicht der Horcher und Spion in der Nähe war, der es dem Gewaltigen da hinten im Kaiserpalast in Peking hinterbrachte! Den berufsmäßigen Volksverderbern begann der Boden unter den Füßen zu brennen. Ihre Hinterleute, die Japaner, dachten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/164>, abgerufen am 15.01.2025.