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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der neue Sohn des Himmels

Das konnte Man niemals tun, denn dann wäre er verloren gewesen. So
griff er zu einem verzweifelten Mittel.

Man führt das, was nun geschah, oft auf ihn zurück. Erwiesen ist sein
Anstoß zu den schweren Unruhen, die Ende Februar ganz Nordchina umtobten,
jedenfalls nicht. Die politische Konstellation aber muß uns jetzt, vier Jahre
nach den Vorfällen, geradezu zwingen daran zu glauben, daß Uuans Partei
den Aufruhr anzettelte, um die Person des Präsidenten in der Hauptstadt
festzuhalten.

Am 29. Februar 1912 brach in Peking -- selbst allen Beobachtern der
Lage unerwartet -- eine große Soldatenrevolte aus. Die dritte Division der
Kerntruppen Auans meuterte, erzwang den Eintritt in die Mcmdschustadt Pekings
und plünderte, sengte, zerschlug und verbrannte einen großen Teil der Stadt.
Ich habe in dieser Schaltsahrsnacht ein sehr merkwürdiges Erlebnis gehabt, das
sich wohl lohnt, erzählt zu werden.

Es war gegen elf Uhr Nachts. Der ganze östliche Teil der Mandschuren¬
stadt brannte lichterloh. Die Schüsse krachten von allen Seiten. Die Gesandt¬
schaftsschutzwachen hatten das gesamte Gesandtschaftsviertel abgesperrt. Das
Durcheinander und Elend unter den Chinesen war entsetzlich. Ich hatte mir
alles angesehen und war nach der deutschen Gesandtschaft gegangen, um dem
Gesandten, Herrn von Haxthausen, meine Eindrücke zu erzählen. Dort traf ich
den Referendar Wagner, einen Herrn der Gesandtschaft. Dieser bat im Namen
des Ministers Sunpautschi um einige Soldaten als Schutz, um die an den
Sohn des Prinzen Tsching verheiratete Tochter des Ministers zu retten. Der
im Innern der Stadt liegende riesige Palast des Prinzen war bereits in großer
Gefahr, erstürmt und geplündert zu werden. Soldaten konnte Herr von Haxt¬
hausen nicht geben. Die siebzig Mann unserer Schutzwache genügten kaum, um
die außerhalb des Gesandtschaftsviertels lebenden deutschen Frauen zu reiten.
So erbot ich mich freiwillig, dem mir wohlbekannten und befreundeten Sunpautschi
zu helfen. Ich ging nach dem benachbarten Fremdenhotel. Dort traf ich ihn.
Nach kurzer Unterredung beschloß ich, mit einem Wagen nach dem Palast zu
fahren und dort mein Heil zu versuchen. Nach langem Hin und Her erhielten
wir einen Wagen vom Hotel. Kein chinesischer Pferdeknecht wäre um Millionen
zu bewegen gewesen, den Wagen durch die brennende Stadt zu fahren. So
setzte ich mich kurz entschlossen auf den Bock und fuhr selbst. Hinten im Wagen
saß der Minister Sun, übrigens ein sehr liebenswürdiger und uns Deutschen
recht befreundeter Mann. Für einen anderen hätte ich mein Leben nicht so
ohne weiteres in die Schanze geschlagen. Die Fahrt ging los. Die sich stets
durch ihre Brutalität auszeichnenden amerikanischen Soldaten verweigerten mir
-- ohne jeden Grund -- die Durchfahrt an der amerikanischen Gesandtschaft,
schrien mich rücksichtslos an und rissen mich beinahe vom Bock herunter. Gegen
wehrlose Leute sind diese amerikanischen, in Nordchina übel beleumdeter
Helden immer tapfer gewesen. So mußte ich umkehren und durch das ganze


Der neue Sohn des Himmels

Das konnte Man niemals tun, denn dann wäre er verloren gewesen. So
griff er zu einem verzweifelten Mittel.

Man führt das, was nun geschah, oft auf ihn zurück. Erwiesen ist sein
Anstoß zu den schweren Unruhen, die Ende Februar ganz Nordchina umtobten,
jedenfalls nicht. Die politische Konstellation aber muß uns jetzt, vier Jahre
nach den Vorfällen, geradezu zwingen daran zu glauben, daß Uuans Partei
den Aufruhr anzettelte, um die Person des Präsidenten in der Hauptstadt
festzuhalten.

Am 29. Februar 1912 brach in Peking — selbst allen Beobachtern der
Lage unerwartet — eine große Soldatenrevolte aus. Die dritte Division der
Kerntruppen Auans meuterte, erzwang den Eintritt in die Mcmdschustadt Pekings
und plünderte, sengte, zerschlug und verbrannte einen großen Teil der Stadt.
Ich habe in dieser Schaltsahrsnacht ein sehr merkwürdiges Erlebnis gehabt, das
sich wohl lohnt, erzählt zu werden.

Es war gegen elf Uhr Nachts. Der ganze östliche Teil der Mandschuren¬
stadt brannte lichterloh. Die Schüsse krachten von allen Seiten. Die Gesandt¬
schaftsschutzwachen hatten das gesamte Gesandtschaftsviertel abgesperrt. Das
Durcheinander und Elend unter den Chinesen war entsetzlich. Ich hatte mir
alles angesehen und war nach der deutschen Gesandtschaft gegangen, um dem
Gesandten, Herrn von Haxthausen, meine Eindrücke zu erzählen. Dort traf ich
den Referendar Wagner, einen Herrn der Gesandtschaft. Dieser bat im Namen
des Ministers Sunpautschi um einige Soldaten als Schutz, um die an den
Sohn des Prinzen Tsching verheiratete Tochter des Ministers zu retten. Der
im Innern der Stadt liegende riesige Palast des Prinzen war bereits in großer
Gefahr, erstürmt und geplündert zu werden. Soldaten konnte Herr von Haxt¬
hausen nicht geben. Die siebzig Mann unserer Schutzwache genügten kaum, um
die außerhalb des Gesandtschaftsviertels lebenden deutschen Frauen zu reiten.
So erbot ich mich freiwillig, dem mir wohlbekannten und befreundeten Sunpautschi
zu helfen. Ich ging nach dem benachbarten Fremdenhotel. Dort traf ich ihn.
Nach kurzer Unterredung beschloß ich, mit einem Wagen nach dem Palast zu
fahren und dort mein Heil zu versuchen. Nach langem Hin und Her erhielten
wir einen Wagen vom Hotel. Kein chinesischer Pferdeknecht wäre um Millionen
zu bewegen gewesen, den Wagen durch die brennende Stadt zu fahren. So
setzte ich mich kurz entschlossen auf den Bock und fuhr selbst. Hinten im Wagen
saß der Minister Sun, übrigens ein sehr liebenswürdiger und uns Deutschen
recht befreundeter Mann. Für einen anderen hätte ich mein Leben nicht so
ohne weiteres in die Schanze geschlagen. Die Fahrt ging los. Die sich stets
durch ihre Brutalität auszeichnenden amerikanischen Soldaten verweigerten mir
— ohne jeden Grund — die Durchfahrt an der amerikanischen Gesandtschaft,
schrien mich rücksichtslos an und rissen mich beinahe vom Bock herunter. Gegen
wehrlose Leute sind diese amerikanischen, in Nordchina übel beleumdeter
Helden immer tapfer gewesen. So mußte ich umkehren und durch das ganze


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[0162] Der neue Sohn des Himmels Das konnte Man niemals tun, denn dann wäre er verloren gewesen. So griff er zu einem verzweifelten Mittel. Man führt das, was nun geschah, oft auf ihn zurück. Erwiesen ist sein Anstoß zu den schweren Unruhen, die Ende Februar ganz Nordchina umtobten, jedenfalls nicht. Die politische Konstellation aber muß uns jetzt, vier Jahre nach den Vorfällen, geradezu zwingen daran zu glauben, daß Uuans Partei den Aufruhr anzettelte, um die Person des Präsidenten in der Hauptstadt festzuhalten. Am 29. Februar 1912 brach in Peking — selbst allen Beobachtern der Lage unerwartet — eine große Soldatenrevolte aus. Die dritte Division der Kerntruppen Auans meuterte, erzwang den Eintritt in die Mcmdschustadt Pekings und plünderte, sengte, zerschlug und verbrannte einen großen Teil der Stadt. Ich habe in dieser Schaltsahrsnacht ein sehr merkwürdiges Erlebnis gehabt, das sich wohl lohnt, erzählt zu werden. Es war gegen elf Uhr Nachts. Der ganze östliche Teil der Mandschuren¬ stadt brannte lichterloh. Die Schüsse krachten von allen Seiten. Die Gesandt¬ schaftsschutzwachen hatten das gesamte Gesandtschaftsviertel abgesperrt. Das Durcheinander und Elend unter den Chinesen war entsetzlich. Ich hatte mir alles angesehen und war nach der deutschen Gesandtschaft gegangen, um dem Gesandten, Herrn von Haxthausen, meine Eindrücke zu erzählen. Dort traf ich den Referendar Wagner, einen Herrn der Gesandtschaft. Dieser bat im Namen des Ministers Sunpautschi um einige Soldaten als Schutz, um die an den Sohn des Prinzen Tsching verheiratete Tochter des Ministers zu retten. Der im Innern der Stadt liegende riesige Palast des Prinzen war bereits in großer Gefahr, erstürmt und geplündert zu werden. Soldaten konnte Herr von Haxt¬ hausen nicht geben. Die siebzig Mann unserer Schutzwache genügten kaum, um die außerhalb des Gesandtschaftsviertels lebenden deutschen Frauen zu reiten. So erbot ich mich freiwillig, dem mir wohlbekannten und befreundeten Sunpautschi zu helfen. Ich ging nach dem benachbarten Fremdenhotel. Dort traf ich ihn. Nach kurzer Unterredung beschloß ich, mit einem Wagen nach dem Palast zu fahren und dort mein Heil zu versuchen. Nach langem Hin und Her erhielten wir einen Wagen vom Hotel. Kein chinesischer Pferdeknecht wäre um Millionen zu bewegen gewesen, den Wagen durch die brennende Stadt zu fahren. So setzte ich mich kurz entschlossen auf den Bock und fuhr selbst. Hinten im Wagen saß der Minister Sun, übrigens ein sehr liebenswürdiger und uns Deutschen recht befreundeter Mann. Für einen anderen hätte ich mein Leben nicht so ohne weiteres in die Schanze geschlagen. Die Fahrt ging los. Die sich stets durch ihre Brutalität auszeichnenden amerikanischen Soldaten verweigerten mir — ohne jeden Grund — die Durchfahrt an der amerikanischen Gesandtschaft, schrien mich rücksichtslos an und rissen mich beinahe vom Bock herunter. Gegen wehrlose Leute sind diese amerikanischen, in Nordchina übel beleumdeter Helden immer tapfer gewesen. So mußte ich umkehren und durch das ganze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/162>, abgerufen am 15.01.2025.