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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die Dienstpflicht in England

nicht stärker wird, sondern ihre Kräfte mehr oder weniger langsam verbraucht.
Man braucht nur die Reden zu lesen, die Asquith seit dem Tage, als er die
Koalition ankündigte, im Unterhause gehalten hat, um den Unterschied gegen
sein früheres Austreten zu ermessen. Von den Reden Greys gilt dasselbe.
Freilich, die Erfolge des t^oreiZn Office geben keinen Stoff für oratorische
Glanzleistungen. Grey ist ein stiller Mann geworden, und es ist wohl glaublich,
daß er. wie man sagt, amtsmüde ist und sich schon lange mit Rücktrittswünschen
trägt. Aber auch er ist schwer zu entbehren. Zwar hat man jetzt in
Lord Robert Cecil einen Mann, der das ^oreiAN Ottice mit Geschick und
Erfolg im Unterhause vertritt, so daß man einen Peer zum Staatssekretär
machen könnte, aber der Rücktritt Greys, der vor allen anderen mit der Kriegs¬
politik Englands identifiziert wird, würde in Paris einen allzu peinlichen Eindruck
hervorrufen. So schleppt sich das Kabinett durch die Ungunst der Zeit hin,
an der inneren Unnatur der Koalition kränkend, ein Kabinett unausgleichbarer
innerer Gegensätze und ewiger Kompromisse, ein Kabinett der langsamen und
widerspruchsvollen Entscheidungen. Man kann es schon glauben, daß in England
der Wunsch weit verbreitet ist, von diesem Ministerium des Wirrwarrs (anekelte)
erlöst zu werden. Gäbe es eine verantwortliche Opposition und damit eine
alternative Regierung, so wäre das jetzige Kabinett längst gestürzt. Aber die
jüngsten Vorgänge haben deutlich gezeigt, daß eine viel größere Krisis und ein
viel stärkerer Ansturm dazu gehören würde, um ein neues Ministerium zur
Herrschaft zu bringen. Im Dezember ist ja viel von einem Kabinett Lloyd
George gesprochen worden. Aber ein neues Kabinett könnte nur durch einen
gewaltsamen Sturz des jetzigen und auf den Trümmern der Koalition auf¬
gerichtet werdeu. Wenn Lloyd George ans Ruder käme, so würde er kein
liberales und kein Koalitionsministerium bilden, sondern ein unionistisches. Gerade
von liberaler Seite ist das mit aller Deutlichkeit ausgesprochen worden. Wohl
die meisten liberalen Minister würden ablehnen, unter Lloyd George zu dienen,
noch würde die große Mehrheit der Partei ihn als Führer anerkennen.

Aber auch Unionisten wie Balfour werden schwerlich mitmachen. Vielleicht
würde eine ganz neue Parteigruppierung entstehen, aber jedenfalls erst auf den
Trümmern der Koalition. Unmöglich wäre eine solche Entwicklung nicht, denn
einmal muß doch die Rückkehr zu dem alten System der Parteiregierung erfolgen,
und ob das erst nach dem Kriege geschehen wird, steht dahin. Vorläufig aber
sind wir noch nicht so weit, und die Tage des Koalitionökabinetts sind noch
nicht gezählt.

Was ist nun vom militärischen Gesichtspunkt als das Ergebnis der Dienst¬
pflichtbill zu erwarte"? Man erinnert sich, daß beim Ausbruch des Krieges
England über ein kleines Expeditionskorps von 160 000 Mann verfügte, das
für den Überseedienst bestimmt war, und eine Territorialarmee, die nur zur
Landesverteidigung verpflichtet war. Das war das Resultat der Haldaneschen
Heeresreform, die, nach verschiedenen mißglückter Versuchen des Kabinetts Balfour,


Die Dienstpflicht in England

nicht stärker wird, sondern ihre Kräfte mehr oder weniger langsam verbraucht.
Man braucht nur die Reden zu lesen, die Asquith seit dem Tage, als er die
Koalition ankündigte, im Unterhause gehalten hat, um den Unterschied gegen
sein früheres Austreten zu ermessen. Von den Reden Greys gilt dasselbe.
Freilich, die Erfolge des t^oreiZn Office geben keinen Stoff für oratorische
Glanzleistungen. Grey ist ein stiller Mann geworden, und es ist wohl glaublich,
daß er. wie man sagt, amtsmüde ist und sich schon lange mit Rücktrittswünschen
trägt. Aber auch er ist schwer zu entbehren. Zwar hat man jetzt in
Lord Robert Cecil einen Mann, der das ^oreiAN Ottice mit Geschick und
Erfolg im Unterhause vertritt, so daß man einen Peer zum Staatssekretär
machen könnte, aber der Rücktritt Greys, der vor allen anderen mit der Kriegs¬
politik Englands identifiziert wird, würde in Paris einen allzu peinlichen Eindruck
hervorrufen. So schleppt sich das Kabinett durch die Ungunst der Zeit hin,
an der inneren Unnatur der Koalition kränkend, ein Kabinett unausgleichbarer
innerer Gegensätze und ewiger Kompromisse, ein Kabinett der langsamen und
widerspruchsvollen Entscheidungen. Man kann es schon glauben, daß in England
der Wunsch weit verbreitet ist, von diesem Ministerium des Wirrwarrs (anekelte)
erlöst zu werden. Gäbe es eine verantwortliche Opposition und damit eine
alternative Regierung, so wäre das jetzige Kabinett längst gestürzt. Aber die
jüngsten Vorgänge haben deutlich gezeigt, daß eine viel größere Krisis und ein
viel stärkerer Ansturm dazu gehören würde, um ein neues Ministerium zur
Herrschaft zu bringen. Im Dezember ist ja viel von einem Kabinett Lloyd
George gesprochen worden. Aber ein neues Kabinett könnte nur durch einen
gewaltsamen Sturz des jetzigen und auf den Trümmern der Koalition auf¬
gerichtet werdeu. Wenn Lloyd George ans Ruder käme, so würde er kein
liberales und kein Koalitionsministerium bilden, sondern ein unionistisches. Gerade
von liberaler Seite ist das mit aller Deutlichkeit ausgesprochen worden. Wohl
die meisten liberalen Minister würden ablehnen, unter Lloyd George zu dienen,
noch würde die große Mehrheit der Partei ihn als Führer anerkennen.

Aber auch Unionisten wie Balfour werden schwerlich mitmachen. Vielleicht
würde eine ganz neue Parteigruppierung entstehen, aber jedenfalls erst auf den
Trümmern der Koalition. Unmöglich wäre eine solche Entwicklung nicht, denn
einmal muß doch die Rückkehr zu dem alten System der Parteiregierung erfolgen,
und ob das erst nach dem Kriege geschehen wird, steht dahin. Vorläufig aber
sind wir noch nicht so weit, und die Tage des Koalitionökabinetts sind noch
nicht gezählt.

Was ist nun vom militärischen Gesichtspunkt als das Ergebnis der Dienst¬
pflichtbill zu erwarte»? Man erinnert sich, daß beim Ausbruch des Krieges
England über ein kleines Expeditionskorps von 160 000 Mann verfügte, das
für den Überseedienst bestimmt war, und eine Territorialarmee, die nur zur
Landesverteidigung verpflichtet war. Das war das Resultat der Haldaneschen
Heeresreform, die, nach verschiedenen mißglückter Versuchen des Kabinetts Balfour,


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[0153] Die Dienstpflicht in England nicht stärker wird, sondern ihre Kräfte mehr oder weniger langsam verbraucht. Man braucht nur die Reden zu lesen, die Asquith seit dem Tage, als er die Koalition ankündigte, im Unterhause gehalten hat, um den Unterschied gegen sein früheres Austreten zu ermessen. Von den Reden Greys gilt dasselbe. Freilich, die Erfolge des t^oreiZn Office geben keinen Stoff für oratorische Glanzleistungen. Grey ist ein stiller Mann geworden, und es ist wohl glaublich, daß er. wie man sagt, amtsmüde ist und sich schon lange mit Rücktrittswünschen trägt. Aber auch er ist schwer zu entbehren. Zwar hat man jetzt in Lord Robert Cecil einen Mann, der das ^oreiAN Ottice mit Geschick und Erfolg im Unterhause vertritt, so daß man einen Peer zum Staatssekretär machen könnte, aber der Rücktritt Greys, der vor allen anderen mit der Kriegs¬ politik Englands identifiziert wird, würde in Paris einen allzu peinlichen Eindruck hervorrufen. So schleppt sich das Kabinett durch die Ungunst der Zeit hin, an der inneren Unnatur der Koalition kränkend, ein Kabinett unausgleichbarer innerer Gegensätze und ewiger Kompromisse, ein Kabinett der langsamen und widerspruchsvollen Entscheidungen. Man kann es schon glauben, daß in England der Wunsch weit verbreitet ist, von diesem Ministerium des Wirrwarrs (anekelte) erlöst zu werden. Gäbe es eine verantwortliche Opposition und damit eine alternative Regierung, so wäre das jetzige Kabinett längst gestürzt. Aber die jüngsten Vorgänge haben deutlich gezeigt, daß eine viel größere Krisis und ein viel stärkerer Ansturm dazu gehören würde, um ein neues Ministerium zur Herrschaft zu bringen. Im Dezember ist ja viel von einem Kabinett Lloyd George gesprochen worden. Aber ein neues Kabinett könnte nur durch einen gewaltsamen Sturz des jetzigen und auf den Trümmern der Koalition auf¬ gerichtet werdeu. Wenn Lloyd George ans Ruder käme, so würde er kein liberales und kein Koalitionsministerium bilden, sondern ein unionistisches. Gerade von liberaler Seite ist das mit aller Deutlichkeit ausgesprochen worden. Wohl die meisten liberalen Minister würden ablehnen, unter Lloyd George zu dienen, noch würde die große Mehrheit der Partei ihn als Führer anerkennen. Aber auch Unionisten wie Balfour werden schwerlich mitmachen. Vielleicht würde eine ganz neue Parteigruppierung entstehen, aber jedenfalls erst auf den Trümmern der Koalition. Unmöglich wäre eine solche Entwicklung nicht, denn einmal muß doch die Rückkehr zu dem alten System der Parteiregierung erfolgen, und ob das erst nach dem Kriege geschehen wird, steht dahin. Vorläufig aber sind wir noch nicht so weit, und die Tage des Koalitionökabinetts sind noch nicht gezählt. Was ist nun vom militärischen Gesichtspunkt als das Ergebnis der Dienst¬ pflichtbill zu erwarte»? Man erinnert sich, daß beim Ausbruch des Krieges England über ein kleines Expeditionskorps von 160 000 Mann verfügte, das für den Überseedienst bestimmt war, und eine Territorialarmee, die nur zur Landesverteidigung verpflichtet war. Das war das Resultat der Haldaneschen Heeresreform, die, nach verschiedenen mißglückter Versuchen des Kabinetts Balfour,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/153>, abgerufen am 15.01.2025.