Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Die Dienstpflicht in England Anfang des Krieges waren viel zu viel Bergleute und Eisenbahner angeworben Ein zweifellos großer Verlust war für die Regierung und besonders für Die Dienstpflicht in England Anfang des Krieges waren viel zu viel Bergleute und Eisenbahner angeworben Ein zweifellos großer Verlust war für die Regierung und besonders für <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329818"/> <fw type="header" place="top"> Die Dienstpflicht in England</fw><lb/> <p xml:id="ID_467" prev="#ID_466"> Anfang des Krieges waren viel zu viel Bergleute und Eisenbahner angeworben<lb/> worden, so daß man die Angehörigen dieser Berufe wohl sämtlich als unabkömmlich<lb/> behandeln wird. Es ist daher wohl möglich, daß keine neuen Konflikte für<lb/> die Regierung aus dem Gesetze entstehen werden, und daß namentlich keine<lb/> große Bewegung eines passiven Widerstandes herauskommen wird. Eine parla¬<lb/> mentarische Schwächung würde die Regierung allerdings erfahren, wenn<lb/> die Arbeiterpartei, die zu ihrer Generalversammlung zusammengetreten ist,<lb/> bei dem früheren Beschluß der nationalen Arbeiterkonferenz verharrt, und<lb/> den Rücktritt der drei Minister Henderson, Brace und Roberts verlangt. Dann<lb/> träte die Arbeiterpartei endgültig aus der Koalition aus, und diese bestünde<lb/> nur noch aus den beiden großen Parteien, Liberalen und Unionisten.</p><lb/> <p xml:id="ID_468" next="#ID_469"> Ein zweifellos großer Verlust war für die Regierung und besonders für<lb/> den Premierminister der Rücktritt von Sir John Simon. Als dieser bei der<lb/> Bildung des Koalitionsministeriums das Amt des Lordkanzlers, auf das er als<lb/> bisheriger Attorney-General von Rechts wegen Anspruch hatte, ablehnte und<lb/> sich zum Staatssekretär des Innern machen ließ, wurde bekannt, daß Asquith<lb/> ihn zu seinem dereinstigen Nachfolger als Führer der liberalen Partei bestimmt<lb/> hatte. Früher hatten abwechselnd Sir Edward Gran und Lloyd George als<lb/> die künftigen Parteiführer gegolten, aber der Krieg hat auch alles dies geändert.<lb/> Grey hat vollends in den letzten Monaten stark abgewirtschaftet, und Lloyd<lb/> George hat gerade in den entschiedenen liberalen Kreisen, deren Abgott er<lb/> früher gewesen war, nahezu alles Vertrauen eingebüßt. Einen Mann wie Simon<lb/> zu verlieren, zumal mit der Aussicht, damit der Opposition einen Führer zu<lb/> geben, der ihr bisher fehlte, ist für die Regierung mißlich genug. Anderseits<lb/> kann es kaum überraschen, daß sie auch diesen Schlag überwunden hat. Denn<lb/> noch immer besteht keine Möglichkeit, eine andere Regierung zu bilden. Die<lb/> offizielle Opposition hörte auf zu bestehen, als die Unionisten eine Koalition<lb/> mit den Liberalen eingingen, und ihre Führer in das Kabinett eintraten. Was<lb/> sich seitdem an oppositionellen Stimmen im Unterhause vernehmen ließ, bestand<lb/> aus einzelnen liberalen und unionistischen Abgeordneten, denen es untereinander<lb/> an Zusammenhang und Organisation fehlte und die keinen Führer besaßen, der<lb/> gegebenenfalls mit der Bildung eines neuen Kabinetts betraut werden konnte.<lb/> Ein Teil der unionistischen Presse hat sich zwar bemüht. Sir Edward Carson<lb/> auf das Piedestal eines künftigen Premierministers zu erheben, aber nur der<lb/> allerbeschränktesten Parteimeinung kann solcher Mangel an Sinn für Proportion<lb/> verziehen werden. Da ist Sir John Simon ein Mann von ganz anderem<lb/> Kaliber. Freilich, ob in absehbarer Zeit Sir John eine Führerstellung einnehmen<lb/> oder sie auch nur anstreben wird, wird von den Umständen abhängen. Einst¬<lb/> weilen bleibt alles beim alten, d. h. die Koalitionsregierung, die im Grunde<lb/> eine Kombination Asquith-Balfour ist — man denkt unwillkürlich an den<lb/> Premierminister Balsquith in dem Suffragettenstück Bernard Shaws — ist<lb/> unersetzbar und schwer zu beseitigen. Das ändert daran nichts, daß sie innerlich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0152]
Die Dienstpflicht in England
Anfang des Krieges waren viel zu viel Bergleute und Eisenbahner angeworben
worden, so daß man die Angehörigen dieser Berufe wohl sämtlich als unabkömmlich
behandeln wird. Es ist daher wohl möglich, daß keine neuen Konflikte für
die Regierung aus dem Gesetze entstehen werden, und daß namentlich keine
große Bewegung eines passiven Widerstandes herauskommen wird. Eine parla¬
mentarische Schwächung würde die Regierung allerdings erfahren, wenn
die Arbeiterpartei, die zu ihrer Generalversammlung zusammengetreten ist,
bei dem früheren Beschluß der nationalen Arbeiterkonferenz verharrt, und
den Rücktritt der drei Minister Henderson, Brace und Roberts verlangt. Dann
träte die Arbeiterpartei endgültig aus der Koalition aus, und diese bestünde
nur noch aus den beiden großen Parteien, Liberalen und Unionisten.
Ein zweifellos großer Verlust war für die Regierung und besonders für
den Premierminister der Rücktritt von Sir John Simon. Als dieser bei der
Bildung des Koalitionsministeriums das Amt des Lordkanzlers, auf das er als
bisheriger Attorney-General von Rechts wegen Anspruch hatte, ablehnte und
sich zum Staatssekretär des Innern machen ließ, wurde bekannt, daß Asquith
ihn zu seinem dereinstigen Nachfolger als Führer der liberalen Partei bestimmt
hatte. Früher hatten abwechselnd Sir Edward Gran und Lloyd George als
die künftigen Parteiführer gegolten, aber der Krieg hat auch alles dies geändert.
Grey hat vollends in den letzten Monaten stark abgewirtschaftet, und Lloyd
George hat gerade in den entschiedenen liberalen Kreisen, deren Abgott er
früher gewesen war, nahezu alles Vertrauen eingebüßt. Einen Mann wie Simon
zu verlieren, zumal mit der Aussicht, damit der Opposition einen Führer zu
geben, der ihr bisher fehlte, ist für die Regierung mißlich genug. Anderseits
kann es kaum überraschen, daß sie auch diesen Schlag überwunden hat. Denn
noch immer besteht keine Möglichkeit, eine andere Regierung zu bilden. Die
offizielle Opposition hörte auf zu bestehen, als die Unionisten eine Koalition
mit den Liberalen eingingen, und ihre Führer in das Kabinett eintraten. Was
sich seitdem an oppositionellen Stimmen im Unterhause vernehmen ließ, bestand
aus einzelnen liberalen und unionistischen Abgeordneten, denen es untereinander
an Zusammenhang und Organisation fehlte und die keinen Führer besaßen, der
gegebenenfalls mit der Bildung eines neuen Kabinetts betraut werden konnte.
Ein Teil der unionistischen Presse hat sich zwar bemüht. Sir Edward Carson
auf das Piedestal eines künftigen Premierministers zu erheben, aber nur der
allerbeschränktesten Parteimeinung kann solcher Mangel an Sinn für Proportion
verziehen werden. Da ist Sir John Simon ein Mann von ganz anderem
Kaliber. Freilich, ob in absehbarer Zeit Sir John eine Führerstellung einnehmen
oder sie auch nur anstreben wird, wird von den Umständen abhängen. Einst¬
weilen bleibt alles beim alten, d. h. die Koalitionsregierung, die im Grunde
eine Kombination Asquith-Balfour ist — man denkt unwillkürlich an den
Premierminister Balsquith in dem Suffragettenstück Bernard Shaws — ist
unersetzbar und schwer zu beseitigen. Das ändert daran nichts, daß sie innerlich
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