Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Auf dein toten Punkt

rolle die Ergebnisse der Ernte spielen. Wären die Resultate der
Ernte glänzend, und im Lande noch beträchtliche Vorräte aus der Ernte
des vergangenen Jahres vorhanden, so würde die Spekulation natürlich
niemals die Preise so hinaustreiben können, wie dies möglich ist, wenn
die Ernte schlecht war und Vorräte aus der vorhergehenden
Ernte nicht mehr vorhanden sind."

Fest steht jedenfalls, daß die Ernte an Sommerkorn und Hafer miserabel
gewesen ist und daß auch für das kommende Jahr die große Gefahr droht,
daß keine Aussaat für die Bauern vorhanden ist. "Auch die diesjährige Herbst¬
aussaat ist infolge der Witterungsverhältnisse und der Einwirkung des Krieges
ungünstig verlaufen. Allein mit Roggen sind, wie die "Nowoje Wremja" feststellt,
im August beispielsweise ein Drittel der Felder weniger bebaut worden als
gewöhnlich."

Die Abrechnungen der Bauernagrarbank zeigen, daß es auch in anderen
Punkten auf dem Lande nicht gut bestellt ist. Der Drang der Wirte nach
Erwerb von Einzelgütern hat bedeutend nachgelassen und die Bank ist ge¬
zwungen, die Richtlinien ihrer Politik zu mildern, und mehr an Genossen¬
schaften und Gesellschaften zu verkaufen, als sie das früher zu tun pflegte.
Der bekannte Nationalökonom Bernatzky hat darauf aufmerksam gemacht, daß
"die Ziffer des Defizits auf die Zahlungen der Bauern an die Bauernbank
besonders erschreckende Dimensionen angenommen hat. Statt 18,4 Will. Rubel
fehlende Zahlungen im Jahre 1913 hat die Bauernbank 1914 --33.7 Mill.
Rubel Einbuße gehabt, d. h. 52 Prozent Nichteingänge." Wenn man diese
Ziffer zusammenhält mit dem Fallen der Durchschnittspreise sür die Dessjatine
von 112 Rubeln auf 110 bis 107 Rubeln, so bekommt man ein recht ge¬
trübtes Bild von dem gegenwärtigen Zustand des russischen platten Landes.
Und wenn die Aussaat nicht gut in die Erde gekommen ist und die Saat
mangelt, so können auch die Kriegsgefangenen, die nach dem Innern Rußlands
zurückgeführt werden sollen, schließlich nicht helfen.

Und fragen Sie mich schließlich nach den Konsequenzen alles dessen, fragen
Sie mich danach, ob es nicht vernünftige Leute gibt, die in Rußland das alles
sehen und auf die eine oder die andere Weise all diese Gefahren durch einen
großen Ruck vom Volk abwenden wollen, so muß ich Ihnen sagen, daß nach
meinen Beobachtungen zwar das Faktum erkannt, aber der Schluß nicht gezogen
wird. Denn allzu fest hat sich diese "russische Gesellschaft" in die Idee dieses
Krieges hineinverbissen und diejenige, die davon loskämen, predigen bewußt
eine Politik der Verzweiflung. Die Karre ist zu tief im Sumpf. Man fürchtet
zu viel zu erschüttern, wenn man sie jetzt mit einem Ruck herauszuziehen ver¬
suchte. Sie kennen Menschikows berühmten Artikel über "den Anbruch der
Geschichte", in dem er auf die unglückliche Finanzlage Rußlands, auf die ver¬
mehrte Kindersterblichkeit des Landes hingewiesen hat, die es bewirkte, daß
während des Krieges ohne die militärischen Verluste das Wachstum der


Auf dein toten Punkt

rolle die Ergebnisse der Ernte spielen. Wären die Resultate der
Ernte glänzend, und im Lande noch beträchtliche Vorräte aus der Ernte
des vergangenen Jahres vorhanden, so würde die Spekulation natürlich
niemals die Preise so hinaustreiben können, wie dies möglich ist, wenn
die Ernte schlecht war und Vorräte aus der vorhergehenden
Ernte nicht mehr vorhanden sind."

Fest steht jedenfalls, daß die Ernte an Sommerkorn und Hafer miserabel
gewesen ist und daß auch für das kommende Jahr die große Gefahr droht,
daß keine Aussaat für die Bauern vorhanden ist. „Auch die diesjährige Herbst¬
aussaat ist infolge der Witterungsverhältnisse und der Einwirkung des Krieges
ungünstig verlaufen. Allein mit Roggen sind, wie die „Nowoje Wremja" feststellt,
im August beispielsweise ein Drittel der Felder weniger bebaut worden als
gewöhnlich."

Die Abrechnungen der Bauernagrarbank zeigen, daß es auch in anderen
Punkten auf dem Lande nicht gut bestellt ist. Der Drang der Wirte nach
Erwerb von Einzelgütern hat bedeutend nachgelassen und die Bank ist ge¬
zwungen, die Richtlinien ihrer Politik zu mildern, und mehr an Genossen¬
schaften und Gesellschaften zu verkaufen, als sie das früher zu tun pflegte.
Der bekannte Nationalökonom Bernatzky hat darauf aufmerksam gemacht, daß
„die Ziffer des Defizits auf die Zahlungen der Bauern an die Bauernbank
besonders erschreckende Dimensionen angenommen hat. Statt 18,4 Will. Rubel
fehlende Zahlungen im Jahre 1913 hat die Bauernbank 1914 —33.7 Mill.
Rubel Einbuße gehabt, d. h. 52 Prozent Nichteingänge." Wenn man diese
Ziffer zusammenhält mit dem Fallen der Durchschnittspreise sür die Dessjatine
von 112 Rubeln auf 110 bis 107 Rubeln, so bekommt man ein recht ge¬
trübtes Bild von dem gegenwärtigen Zustand des russischen platten Landes.
Und wenn die Aussaat nicht gut in die Erde gekommen ist und die Saat
mangelt, so können auch die Kriegsgefangenen, die nach dem Innern Rußlands
zurückgeführt werden sollen, schließlich nicht helfen.

Und fragen Sie mich schließlich nach den Konsequenzen alles dessen, fragen
Sie mich danach, ob es nicht vernünftige Leute gibt, die in Rußland das alles
sehen und auf die eine oder die andere Weise all diese Gefahren durch einen
großen Ruck vom Volk abwenden wollen, so muß ich Ihnen sagen, daß nach
meinen Beobachtungen zwar das Faktum erkannt, aber der Schluß nicht gezogen
wird. Denn allzu fest hat sich diese „russische Gesellschaft" in die Idee dieses
Krieges hineinverbissen und diejenige, die davon loskämen, predigen bewußt
eine Politik der Verzweiflung. Die Karre ist zu tief im Sumpf. Man fürchtet
zu viel zu erschüttern, wenn man sie jetzt mit einem Ruck herauszuziehen ver¬
suchte. Sie kennen Menschikows berühmten Artikel über „den Anbruch der
Geschichte", in dem er auf die unglückliche Finanzlage Rußlands, auf die ver¬
mehrte Kindersterblichkeit des Landes hingewiesen hat, die es bewirkte, daß
während des Krieges ohne die militärischen Verluste das Wachstum der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0149" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329815"/>
          <fw type="header" place="top"> Auf dein toten Punkt</fw><lb/>
          <quote> rolle die Ergebnisse der Ernte spielen. Wären die Resultate der<lb/>
Ernte glänzend, und im Lande noch beträchtliche Vorräte aus der Ernte<lb/>
des vergangenen Jahres vorhanden, so würde die Spekulation natürlich<lb/>
niemals die Preise so hinaustreiben können, wie dies möglich ist, wenn<lb/>
die Ernte schlecht war und Vorräte aus der vorhergehenden<lb/>
Ernte nicht mehr vorhanden sind."</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_455"> Fest steht jedenfalls, daß die Ernte an Sommerkorn und Hafer miserabel<lb/>
gewesen ist und daß auch für das kommende Jahr die große Gefahr droht,<lb/>
daß keine Aussaat für die Bauern vorhanden ist. &#x201E;Auch die diesjährige Herbst¬<lb/>
aussaat ist infolge der Witterungsverhältnisse und der Einwirkung des Krieges<lb/>
ungünstig verlaufen. Allein mit Roggen sind, wie die &#x201E;Nowoje Wremja" feststellt,<lb/>
im August beispielsweise ein Drittel der Felder weniger bebaut worden als<lb/>
gewöhnlich."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_456"> Die Abrechnungen der Bauernagrarbank zeigen, daß es auch in anderen<lb/>
Punkten auf dem Lande nicht gut bestellt ist. Der Drang der Wirte nach<lb/>
Erwerb von Einzelgütern hat bedeutend nachgelassen und die Bank ist ge¬<lb/>
zwungen, die Richtlinien ihrer Politik zu mildern, und mehr an Genossen¬<lb/>
schaften und Gesellschaften zu verkaufen, als sie das früher zu tun pflegte.<lb/>
Der bekannte Nationalökonom Bernatzky hat darauf aufmerksam gemacht, daß<lb/>
&#x201E;die Ziffer des Defizits auf die Zahlungen der Bauern an die Bauernbank<lb/>
besonders erschreckende Dimensionen angenommen hat. Statt 18,4 Will. Rubel<lb/>
fehlende Zahlungen im Jahre 1913 hat die Bauernbank 1914 &#x2014;33.7 Mill.<lb/>
Rubel Einbuße gehabt, d. h. 52 Prozent Nichteingänge." Wenn man diese<lb/>
Ziffer zusammenhält mit dem Fallen der Durchschnittspreise sür die Dessjatine<lb/>
von 112 Rubeln auf 110 bis 107 Rubeln, so bekommt man ein recht ge¬<lb/>
trübtes Bild von dem gegenwärtigen Zustand des russischen platten Landes.<lb/>
Und wenn die Aussaat nicht gut in die Erde gekommen ist und die Saat<lb/>
mangelt, so können auch die Kriegsgefangenen, die nach dem Innern Rußlands<lb/>
zurückgeführt werden sollen, schließlich nicht helfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_457" next="#ID_458"> Und fragen Sie mich schließlich nach den Konsequenzen alles dessen, fragen<lb/>
Sie mich danach, ob es nicht vernünftige Leute gibt, die in Rußland das alles<lb/>
sehen und auf die eine oder die andere Weise all diese Gefahren durch einen<lb/>
großen Ruck vom Volk abwenden wollen, so muß ich Ihnen sagen, daß nach<lb/>
meinen Beobachtungen zwar das Faktum erkannt, aber der Schluß nicht gezogen<lb/>
wird. Denn allzu fest hat sich diese &#x201E;russische Gesellschaft" in die Idee dieses<lb/>
Krieges hineinverbissen und diejenige, die davon loskämen, predigen bewußt<lb/>
eine Politik der Verzweiflung. Die Karre ist zu tief im Sumpf. Man fürchtet<lb/>
zu viel zu erschüttern, wenn man sie jetzt mit einem Ruck herauszuziehen ver¬<lb/>
suchte. Sie kennen Menschikows berühmten Artikel über &#x201E;den Anbruch der<lb/>
Geschichte", in dem er auf die unglückliche Finanzlage Rußlands, auf die ver¬<lb/>
mehrte Kindersterblichkeit des Landes hingewiesen hat, die es bewirkte, daß<lb/>
während des Krieges ohne die militärischen Verluste das Wachstum der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0149] Auf dein toten Punkt rolle die Ergebnisse der Ernte spielen. Wären die Resultate der Ernte glänzend, und im Lande noch beträchtliche Vorräte aus der Ernte des vergangenen Jahres vorhanden, so würde die Spekulation natürlich niemals die Preise so hinaustreiben können, wie dies möglich ist, wenn die Ernte schlecht war und Vorräte aus der vorhergehenden Ernte nicht mehr vorhanden sind." Fest steht jedenfalls, daß die Ernte an Sommerkorn und Hafer miserabel gewesen ist und daß auch für das kommende Jahr die große Gefahr droht, daß keine Aussaat für die Bauern vorhanden ist. „Auch die diesjährige Herbst¬ aussaat ist infolge der Witterungsverhältnisse und der Einwirkung des Krieges ungünstig verlaufen. Allein mit Roggen sind, wie die „Nowoje Wremja" feststellt, im August beispielsweise ein Drittel der Felder weniger bebaut worden als gewöhnlich." Die Abrechnungen der Bauernagrarbank zeigen, daß es auch in anderen Punkten auf dem Lande nicht gut bestellt ist. Der Drang der Wirte nach Erwerb von Einzelgütern hat bedeutend nachgelassen und die Bank ist ge¬ zwungen, die Richtlinien ihrer Politik zu mildern, und mehr an Genossen¬ schaften und Gesellschaften zu verkaufen, als sie das früher zu tun pflegte. Der bekannte Nationalökonom Bernatzky hat darauf aufmerksam gemacht, daß „die Ziffer des Defizits auf die Zahlungen der Bauern an die Bauernbank besonders erschreckende Dimensionen angenommen hat. Statt 18,4 Will. Rubel fehlende Zahlungen im Jahre 1913 hat die Bauernbank 1914 —33.7 Mill. Rubel Einbuße gehabt, d. h. 52 Prozent Nichteingänge." Wenn man diese Ziffer zusammenhält mit dem Fallen der Durchschnittspreise sür die Dessjatine von 112 Rubeln auf 110 bis 107 Rubeln, so bekommt man ein recht ge¬ trübtes Bild von dem gegenwärtigen Zustand des russischen platten Landes. Und wenn die Aussaat nicht gut in die Erde gekommen ist und die Saat mangelt, so können auch die Kriegsgefangenen, die nach dem Innern Rußlands zurückgeführt werden sollen, schließlich nicht helfen. Und fragen Sie mich schließlich nach den Konsequenzen alles dessen, fragen Sie mich danach, ob es nicht vernünftige Leute gibt, die in Rußland das alles sehen und auf die eine oder die andere Weise all diese Gefahren durch einen großen Ruck vom Volk abwenden wollen, so muß ich Ihnen sagen, daß nach meinen Beobachtungen zwar das Faktum erkannt, aber der Schluß nicht gezogen wird. Denn allzu fest hat sich diese „russische Gesellschaft" in die Idee dieses Krieges hineinverbissen und diejenige, die davon loskämen, predigen bewußt eine Politik der Verzweiflung. Die Karre ist zu tief im Sumpf. Man fürchtet zu viel zu erschüttern, wenn man sie jetzt mit einem Ruck herauszuziehen ver¬ suchte. Sie kennen Menschikows berühmten Artikel über „den Anbruch der Geschichte", in dem er auf die unglückliche Finanzlage Rußlands, auf die ver¬ mehrte Kindersterblichkeit des Landes hingewiesen hat, die es bewirkte, daß während des Krieges ohne die militärischen Verluste das Wachstum der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/149
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/149>, abgerufen am 15.01.2025.