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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Auf dem toten Punkt

daß "er niemals seine Meinungen geändert habe, und ändern werde -- mit
Ausnahme der polnischen Frage" (wo die Meinungsänderung leider zu spät
war), hat das für russische Ohren kühne Wort auszusprechen gewagt, daß es
doch falsch sei, wenn die russische öffentliche Meinung sich immer wieder vor¬
stelle, es sei die Absicht Kaiser Wilhelms gewesen. Nußland durch die Erklärung
und Durchführung dieses Krieges zu vernichten. "Nicht Nußland ist das
eigentliche Kriegsziel für Wilhelm, sondern England". Deutschland strebe
danach, England in ein Portugal zu verwandeln. Rußland bleibe doch immer
dasselbe mächtige Land, selbst wenn es geschlagen werde, England aber werde
zur Null herabsinken, wenn dieser Fall einträte -- und nun die höchst komische
Schlußfolgerung: Deutschland müsse also "vernichtet" werden. Lartlia-
Zinem L38L äelenäam -- um der schönen Augen Englands willen, Herr
Purischkewitsch?

Und dann nach dem Kriege. Welche innere Politik werde Rußland treiben?
Nach Herrn Purischkewitsch, dem einstmaligen Juden- und zeitweisen Deutschen¬
hasser wird es nötig sein, "eine versöhnende Politik den Fremdstämmigen in
Rußland gegenüber zu treiben" -- also auch den Deutschen gegenüber, den
Freunden von Herrn Chwostow, und den Gegnern desselben Englands, das
die Deutschen im Leben Rußlands so gern ersetzen möchte? --

Und nun eine andere Stimme. Sie kennen den "Kökökök", jenes halb
kirchliche, halb offiziöse Blatt, das dann und wann zum Sprachorgan einflu߬
reicher Kreise benutzt wird? Da findet man mitunter merkwürdige Sachen. Ich
will Ihnen eine solche erzählen.

Gespräch in einem Petersburger Salon. Die vornehme Herrin des Hauses
ist eben aus dem Auslande nach Nußland zurückgekehrt, nun wird sie umdrängt
von ihren Bekannten, die alle auf die Offenbarung von draußen lauschen. So
ähnlich, wie Sie jetzt lauschen auf das, was ich Ihnen erzähle. "Was denken
Sie, liebe Freundin, über diesen Krieg, der so rätselhaft, so unfaßbar von
Wilhelm heraufbeschworen wurde? Sie kennen ihn persönlich, waren einstmals
befreundet mit der Kaiserin Augusta, Sie kennen Deutschland und Österreich so
gut, Sie kennen das Leben bei Hofe dort, fast die Geheimnisse dieser Höfe.
Wie interessant wäre es, wenn Sie uns etwas von dem erzählen würden, was
Sie dort gehört und erlebt haben!" --

Und nun fast dieselbe Antwort, wie sie Purischkewitsch gab: "Sie irren
sich -- das ist kein politischer Krieg, um den es sich hier handelt, hier gehts
nicht um Privatinteressen, um Abenteuer, dieser Krieg hat rein ökonomische
Ursachen, die weit, weit zurückliegen .... Nicht Kaiser Wilhelm bewegt diese
Kraft, die in den Deutschen steckt, sondern die Losung: "Deutschland über alles."
Sie schafft die deutsche Organisation "auf der Erde, unter der Erde, auf
dem Wasser, in der Luft". Wissenschaft und Technik und Teufelskunst, Geduld,
Hartnäckigkeit, weder Sparen von Geld, von Kraft, von Menschen, das sieht
man da draußen bei den Deutschen ....


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Auf dem toten Punkt

daß „er niemals seine Meinungen geändert habe, und ändern werde — mit
Ausnahme der polnischen Frage" (wo die Meinungsänderung leider zu spät
war), hat das für russische Ohren kühne Wort auszusprechen gewagt, daß es
doch falsch sei, wenn die russische öffentliche Meinung sich immer wieder vor¬
stelle, es sei die Absicht Kaiser Wilhelms gewesen. Nußland durch die Erklärung
und Durchführung dieses Krieges zu vernichten. „Nicht Nußland ist das
eigentliche Kriegsziel für Wilhelm, sondern England". Deutschland strebe
danach, England in ein Portugal zu verwandeln. Rußland bleibe doch immer
dasselbe mächtige Land, selbst wenn es geschlagen werde, England aber werde
zur Null herabsinken, wenn dieser Fall einträte — und nun die höchst komische
Schlußfolgerung: Deutschland müsse also „vernichtet" werden. Lartlia-
Zinem L38L äelenäam — um der schönen Augen Englands willen, Herr
Purischkewitsch?

Und dann nach dem Kriege. Welche innere Politik werde Rußland treiben?
Nach Herrn Purischkewitsch, dem einstmaligen Juden- und zeitweisen Deutschen¬
hasser wird es nötig sein, „eine versöhnende Politik den Fremdstämmigen in
Rußland gegenüber zu treiben" — also auch den Deutschen gegenüber, den
Freunden von Herrn Chwostow, und den Gegnern desselben Englands, das
die Deutschen im Leben Rußlands so gern ersetzen möchte? —

Und nun eine andere Stimme. Sie kennen den „Kökökök", jenes halb
kirchliche, halb offiziöse Blatt, das dann und wann zum Sprachorgan einflu߬
reicher Kreise benutzt wird? Da findet man mitunter merkwürdige Sachen. Ich
will Ihnen eine solche erzählen.

Gespräch in einem Petersburger Salon. Die vornehme Herrin des Hauses
ist eben aus dem Auslande nach Nußland zurückgekehrt, nun wird sie umdrängt
von ihren Bekannten, die alle auf die Offenbarung von draußen lauschen. So
ähnlich, wie Sie jetzt lauschen auf das, was ich Ihnen erzähle. „Was denken
Sie, liebe Freundin, über diesen Krieg, der so rätselhaft, so unfaßbar von
Wilhelm heraufbeschworen wurde? Sie kennen ihn persönlich, waren einstmals
befreundet mit der Kaiserin Augusta, Sie kennen Deutschland und Österreich so
gut, Sie kennen das Leben bei Hofe dort, fast die Geheimnisse dieser Höfe.
Wie interessant wäre es, wenn Sie uns etwas von dem erzählen würden, was
Sie dort gehört und erlebt haben!" —

Und nun fast dieselbe Antwort, wie sie Purischkewitsch gab: „Sie irren
sich — das ist kein politischer Krieg, um den es sich hier handelt, hier gehts
nicht um Privatinteressen, um Abenteuer, dieser Krieg hat rein ökonomische
Ursachen, die weit, weit zurückliegen .... Nicht Kaiser Wilhelm bewegt diese
Kraft, die in den Deutschen steckt, sondern die Losung: „Deutschland über alles."
Sie schafft die deutsche Organisation „auf der Erde, unter der Erde, auf
dem Wasser, in der Luft". Wissenschaft und Technik und Teufelskunst, Geduld,
Hartnäckigkeit, weder Sparen von Geld, von Kraft, von Menschen, das sieht
man da draußen bei den Deutschen ....


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[0143] Auf dem toten Punkt daß „er niemals seine Meinungen geändert habe, und ändern werde — mit Ausnahme der polnischen Frage" (wo die Meinungsänderung leider zu spät war), hat das für russische Ohren kühne Wort auszusprechen gewagt, daß es doch falsch sei, wenn die russische öffentliche Meinung sich immer wieder vor¬ stelle, es sei die Absicht Kaiser Wilhelms gewesen. Nußland durch die Erklärung und Durchführung dieses Krieges zu vernichten. „Nicht Nußland ist das eigentliche Kriegsziel für Wilhelm, sondern England". Deutschland strebe danach, England in ein Portugal zu verwandeln. Rußland bleibe doch immer dasselbe mächtige Land, selbst wenn es geschlagen werde, England aber werde zur Null herabsinken, wenn dieser Fall einträte — und nun die höchst komische Schlußfolgerung: Deutschland müsse also „vernichtet" werden. Lartlia- Zinem L38L äelenäam — um der schönen Augen Englands willen, Herr Purischkewitsch? Und dann nach dem Kriege. Welche innere Politik werde Rußland treiben? Nach Herrn Purischkewitsch, dem einstmaligen Juden- und zeitweisen Deutschen¬ hasser wird es nötig sein, „eine versöhnende Politik den Fremdstämmigen in Rußland gegenüber zu treiben" — also auch den Deutschen gegenüber, den Freunden von Herrn Chwostow, und den Gegnern desselben Englands, das die Deutschen im Leben Rußlands so gern ersetzen möchte? — Und nun eine andere Stimme. Sie kennen den „Kökökök", jenes halb kirchliche, halb offiziöse Blatt, das dann und wann zum Sprachorgan einflu߬ reicher Kreise benutzt wird? Da findet man mitunter merkwürdige Sachen. Ich will Ihnen eine solche erzählen. Gespräch in einem Petersburger Salon. Die vornehme Herrin des Hauses ist eben aus dem Auslande nach Nußland zurückgekehrt, nun wird sie umdrängt von ihren Bekannten, die alle auf die Offenbarung von draußen lauschen. So ähnlich, wie Sie jetzt lauschen auf das, was ich Ihnen erzähle. „Was denken Sie, liebe Freundin, über diesen Krieg, der so rätselhaft, so unfaßbar von Wilhelm heraufbeschworen wurde? Sie kennen ihn persönlich, waren einstmals befreundet mit der Kaiserin Augusta, Sie kennen Deutschland und Österreich so gut, Sie kennen das Leben bei Hofe dort, fast die Geheimnisse dieser Höfe. Wie interessant wäre es, wenn Sie uns etwas von dem erzählen würden, was Sie dort gehört und erlebt haben!" — Und nun fast dieselbe Antwort, wie sie Purischkewitsch gab: „Sie irren sich — das ist kein politischer Krieg, um den es sich hier handelt, hier gehts nicht um Privatinteressen, um Abenteuer, dieser Krieg hat rein ökonomische Ursachen, die weit, weit zurückliegen .... Nicht Kaiser Wilhelm bewegt diese Kraft, die in den Deutschen steckt, sondern die Losung: „Deutschland über alles." Sie schafft die deutsche Organisation „auf der Erde, unter der Erde, auf dem Wasser, in der Luft". Wissenschaft und Technik und Teufelskunst, Geduld, Hartnäckigkeit, weder Sparen von Geld, von Kraft, von Menschen, das sieht man da draußen bei den Deutschen .... 9*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/143>, abgerufen am 15.01.2025.