Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Die Chinesen blickten von dem Podium ihrer Tausende von Jahren alten Völkerschicksale entscheiden sich nicht von heute auf morgen. Kriege, Re¬ Der Schein trog. Dieses Volk ist viel lebenszäher, als die meisten anderen Es gab wohl eine riesige Umwälzung, die sich in einer Revolution, dem Der Chinese hat einen lächerlich feinen Instinkt; es sind jetzt mehr als Die Chinesen blickten von dem Podium ihrer Tausende von Jahren alten Völkerschicksale entscheiden sich nicht von heute auf morgen. Kriege, Re¬ Der Schein trog. Dieses Volk ist viel lebenszäher, als die meisten anderen Es gab wohl eine riesige Umwälzung, die sich in einer Revolution, dem Der Chinese hat einen lächerlich feinen Instinkt; es sind jetzt mehr als <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329781"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_307"> Die Chinesen blickten von dem Podium ihrer Tausende von Jahren alten<lb/> Kultur auf die Fremden mit einem von maßloser Überhebung getragenen Dünkel<lb/> herab. Sie hatten nur Spottnamen für die Fremdlinge und verachteten sie<lb/> gründlich. Die fremden Weißen waren die rothaarigen Teufel, die Japaner<lb/> die Jnselzwerge. Wir haben übrigens einen merkwürdigen Parallelfall in diesem<lb/> Weltkriege, denn Herr Salandra in Rom reiht sich würdig seinen chinesischen<lb/> Vorgängern aus der alten Beamtenklasse an, wenn er sagt, daß er von der Höhe<lb/> zweier Jahrtausende herab sich unsagbar erhaben über die deutschen Barbaren bunte.</p><lb/> <p xml:id="ID_308"> Völkerschicksale entscheiden sich nicht von heute auf morgen. Kriege, Re¬<lb/> volutionen und Dynastiestürze sind nicht das Ergebnis einer nächtlichen Über¬<lb/> legung, oder der plötzliche Willkürakt einer bezahlten Rotte von Volksverderbern.<lb/> Solche elementare Ereignisse sind die stets logische Folge einer langen Entwick¬<lb/> lungsreihe, meist vieler Jahre. So sind auch die Umwälzungen zu betrachten,<lb/> die wir in den letzten Jahren in China erlebt haben, die heute zur Regeneration<lb/> eines Volkes führen, das wohl für jeden Menschen sowohl in seinem Ganzen,<lb/> wie in der einzelnen Person die verkörperte Rückständigkeit darstellte. Ich will<lb/> nicht von den vergangenen hundert Jahren sprechen, die den Niedergang bis<lb/> zur vollkommenen Verlotterung aller Verhältnisse im Reiche der Mitte herbei¬<lb/> führten. Wer im Boxerjahre 1900 draußen im fernen Osten weilte, weiß<lb/> ungefähr, wie weit dieser Zustand der Chinesen gediehen war. Das Land schien<lb/> damals hoffnungslos im Verfall, und die Austeilung unter die fremden Reiche,<lb/> zum mindesten aber die fremde Verwaltung, wie in Ägypten, Indien oder Korea<lb/> schien ihm nach dem Urteil all der vielen, sich als Kenner fühlenden Fremden sicher.</p><lb/> <p xml:id="ID_309"> Der Schein trog. Dieses Volk ist viel lebenszäher, als die meisten anderen<lb/> auf Erden. Die ganze Struktur des Volksdaseins, auf dem patriarchalischen<lb/> Familiensystem fußend, gab ihm eine innere unbezwingliche Kraft, die weder<lb/> durch die als Eisenbahn, Telegraph und Dampfschiff eindringende Maschine,<lb/> noch durch die sich breit machende individualistische westliche Lebensanschauung<lb/> zu brechen war.</p><lb/> <p xml:id="ID_310"> Es gab wohl eine riesige Umwälzung, die sich in einer Revolution, dem<lb/> Dynasttesturz, der Umwandlung zu einer Scheinrepublik, und einer weiteren<lb/> Revolution äußerte. Wieder waren es die Fremden, die hier die größte Rolle<lb/> spielten, in der Hauptsache die Japaner, die weder Geld noch sonstige Mittel,<lb/> noch sogar das offene Eingreifen von bezahlten Freibeutern scheuten, nur um<lb/> das Riesenreich zu schwächen, um es endgültig unter ihre wirtschaftliche Kontrolle<lb/> zu bringen. Japan betrachtet China genau fo als feine unantastbare Domäne,<lb/> wie Amerika für den eigenen Kontinent die Monroe Doktrin aufgestellt hat.<lb/> oder wie England das europäische Festland für seine egoistischen Zwecke mono¬<lb/> polisieren möchte.</p><lb/> <p xml:id="ID_311" next="#ID_312"> Der Chinese hat einen lächerlich feinen Instinkt; es sind jetzt mehr als<lb/> zwanzig Jahre her, daß er fühlt, auf den östlich vorgelagerten Inseln, nämlich<lb/> dem japanischen Reiche, sitzt der Feind. Die Staaten Europas sind heute ja</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0115]
Die Chinesen blickten von dem Podium ihrer Tausende von Jahren alten
Kultur auf die Fremden mit einem von maßloser Überhebung getragenen Dünkel
herab. Sie hatten nur Spottnamen für die Fremdlinge und verachteten sie
gründlich. Die fremden Weißen waren die rothaarigen Teufel, die Japaner
die Jnselzwerge. Wir haben übrigens einen merkwürdigen Parallelfall in diesem
Weltkriege, denn Herr Salandra in Rom reiht sich würdig seinen chinesischen
Vorgängern aus der alten Beamtenklasse an, wenn er sagt, daß er von der Höhe
zweier Jahrtausende herab sich unsagbar erhaben über die deutschen Barbaren bunte.
Völkerschicksale entscheiden sich nicht von heute auf morgen. Kriege, Re¬
volutionen und Dynastiestürze sind nicht das Ergebnis einer nächtlichen Über¬
legung, oder der plötzliche Willkürakt einer bezahlten Rotte von Volksverderbern.
Solche elementare Ereignisse sind die stets logische Folge einer langen Entwick¬
lungsreihe, meist vieler Jahre. So sind auch die Umwälzungen zu betrachten,
die wir in den letzten Jahren in China erlebt haben, die heute zur Regeneration
eines Volkes führen, das wohl für jeden Menschen sowohl in seinem Ganzen,
wie in der einzelnen Person die verkörperte Rückständigkeit darstellte. Ich will
nicht von den vergangenen hundert Jahren sprechen, die den Niedergang bis
zur vollkommenen Verlotterung aller Verhältnisse im Reiche der Mitte herbei¬
führten. Wer im Boxerjahre 1900 draußen im fernen Osten weilte, weiß
ungefähr, wie weit dieser Zustand der Chinesen gediehen war. Das Land schien
damals hoffnungslos im Verfall, und die Austeilung unter die fremden Reiche,
zum mindesten aber die fremde Verwaltung, wie in Ägypten, Indien oder Korea
schien ihm nach dem Urteil all der vielen, sich als Kenner fühlenden Fremden sicher.
Der Schein trog. Dieses Volk ist viel lebenszäher, als die meisten anderen
auf Erden. Die ganze Struktur des Volksdaseins, auf dem patriarchalischen
Familiensystem fußend, gab ihm eine innere unbezwingliche Kraft, die weder
durch die als Eisenbahn, Telegraph und Dampfschiff eindringende Maschine,
noch durch die sich breit machende individualistische westliche Lebensanschauung
zu brechen war.
Es gab wohl eine riesige Umwälzung, die sich in einer Revolution, dem
Dynasttesturz, der Umwandlung zu einer Scheinrepublik, und einer weiteren
Revolution äußerte. Wieder waren es die Fremden, die hier die größte Rolle
spielten, in der Hauptsache die Japaner, die weder Geld noch sonstige Mittel,
noch sogar das offene Eingreifen von bezahlten Freibeutern scheuten, nur um
das Riesenreich zu schwächen, um es endgültig unter ihre wirtschaftliche Kontrolle
zu bringen. Japan betrachtet China genau fo als feine unantastbare Domäne,
wie Amerika für den eigenen Kontinent die Monroe Doktrin aufgestellt hat.
oder wie England das europäische Festland für seine egoistischen Zwecke mono¬
polisieren möchte.
Der Chinese hat einen lächerlich feinen Instinkt; es sind jetzt mehr als
zwanzig Jahre her, daß er fühlt, auf den östlich vorgelagerten Inseln, nämlich
dem japanischen Reiche, sitzt der Feind. Die Staaten Europas sind heute ja
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