Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.Der heilige Berg von Pfarrer Edmund Rreusch en heiligen Berg der morgenländischen Christenheit umrauschen Die Mönche auf dem heiligen Berge, dem Hagion Oros, der sich fast Unter den Stämmen, die sich nordwärts befehden, haben sie ihre Freunde "Heilige Jungfrau, des Athos Königin, Mutter Christi, hilf den Armen!" Sorgenvoll studieren sie in den heiligen Schriften, den kostbarsten Schätzen Die Mönche wandeln durch die Rebhügel, die Ölhaine und Obstgärten, die den Der heilige Berg von Pfarrer Edmund Rreusch en heiligen Berg der morgenländischen Christenheit umrauschen Die Mönche auf dem heiligen Berge, dem Hagion Oros, der sich fast Unter den Stämmen, die sich nordwärts befehden, haben sie ihre Freunde „Heilige Jungfrau, des Athos Königin, Mutter Christi, hilf den Armen!" Sorgenvoll studieren sie in den heiligen Schriften, den kostbarsten Schätzen Die Mönche wandeln durch die Rebhügel, die Ölhaine und Obstgärten, die den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0105" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329771"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341903_329665/figures/grenzboten_341903_329665_329771_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Der heilige Berg<lb/><note type="byline"> von Pfarrer Edmund Rreusch</note></head><lb/> <p xml:id="ID_268"> en heiligen Berg der morgenländischen Christenheit umrauschen<lb/> die Kiele der feindlichen Schlachtschiffe; es brüllen die Kanonen<lb/> über das Meer herüber zu den Olivenhainen, Kirchen und<lb/> s Klosterzellen; um Saloniki dehnen sich die Lagerzelte der Eng¬<lb/> länder und Franzosen und sperren die Wege zum Hagion Oros.</p><lb/> <p xml:id="ID_269"> Die Mönche auf dem heiligen Berge, dem Hagion Oros, der sich fast<lb/> zweitausend Meter über das ägäische Meer erhebt, schauen bekümmert aus ihrer<lb/> heiligen, göttergleichen, himmelnahen Ruhe auf das männermordende Kriegs¬<lb/> getümmel der Ebene hernieder.</p><lb/> <p xml:id="ID_270"> Unter den Stämmen, die sich nordwärts befehden, haben sie ihre Freunde<lb/> und Verwandten. Unter den Griechen, die Saloniki kampfgerüstet bevölkern;<lb/> unter den Serben, die schreckensbleich die Grenze überfluten oder in verzweifelter<lb/> Gegenwehr sich den nachdrängenden Bulgaren entgegenstemmen; unter den<lb/> Bulgaren, die stegestrunken die Serben und Serbenfreunde mit ihrem Granaten¬<lb/> hagel überschütten — überall haben sie ihre Angehörigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_271"> „Heilige Jungfrau, des Athos Königin, Mutter Christi, hilf den Armen!"<lb/> So beten sie in ihren Zellen mit kreuzweis ausgebreiteten Armen; so psalmo-<lb/> dieren sie in ihren ehrwürdigen Heiligtümern, Tag und Nacht, stundenlang<lb/> stehend, sich niederwerfend, den heiligen Boden küssend — entsagend — büßend<lb/> — ein ganzes Volk von Anachoreten, Mönchen, Brüdern.</p><lb/> <p xml:id="ID_272"> Sorgenvoll studieren sie in den heiligen Schriften, den kostbarsten Schätzen<lb/> ihrer Bibliotheken, ob sich aus der Geschichte der vergangenen Tage das<lb/> Schicksal der ungeheuerlichen Wirren der Gegenwart enträtseln lasse. Dreizehn¬<lb/> tausend Handschriften der Kirchenväter, griechische und slawische Urkunden,<lb/> Kleinodien der Diplomatik und Paläographie: sie verstummen vor dem un¬<lb/> geheuersten Erlebnis, das bis heute die Weltgeschichte kennt. Ein Gericht<lb/> ergeht über die Völker, von dem kein Prophet noch geweissagt.</p><lb/> <p xml:id="ID_273" next="#ID_274"> Die Mönche wandeln durch die Rebhügel, die Ölhaine und Obstgärten, die den<lb/> heiligen Berg mit bunten Blüten und lockenden Früchten bekränzen, und staunen<lb/> nicht mehr die Wucht der Felskolosse an. Was will der Kampf der Giganten und<lb/> Götter bedeuten, damals als der Gigant Athos den Hagion Oros von Thessalonich<lb/> auf die chalkidische Halbinsel schleuderte, gegen den dumpf dröhnenden Donner</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0105]
[Abbildung]
Der heilige Berg
von Pfarrer Edmund Rreusch
en heiligen Berg der morgenländischen Christenheit umrauschen
die Kiele der feindlichen Schlachtschiffe; es brüllen die Kanonen
über das Meer herüber zu den Olivenhainen, Kirchen und
s Klosterzellen; um Saloniki dehnen sich die Lagerzelte der Eng¬
länder und Franzosen und sperren die Wege zum Hagion Oros.
Die Mönche auf dem heiligen Berge, dem Hagion Oros, der sich fast
zweitausend Meter über das ägäische Meer erhebt, schauen bekümmert aus ihrer
heiligen, göttergleichen, himmelnahen Ruhe auf das männermordende Kriegs¬
getümmel der Ebene hernieder.
Unter den Stämmen, die sich nordwärts befehden, haben sie ihre Freunde
und Verwandten. Unter den Griechen, die Saloniki kampfgerüstet bevölkern;
unter den Serben, die schreckensbleich die Grenze überfluten oder in verzweifelter
Gegenwehr sich den nachdrängenden Bulgaren entgegenstemmen; unter den
Bulgaren, die stegestrunken die Serben und Serbenfreunde mit ihrem Granaten¬
hagel überschütten — überall haben sie ihre Angehörigen.
„Heilige Jungfrau, des Athos Königin, Mutter Christi, hilf den Armen!"
So beten sie in ihren Zellen mit kreuzweis ausgebreiteten Armen; so psalmo-
dieren sie in ihren ehrwürdigen Heiligtümern, Tag und Nacht, stundenlang
stehend, sich niederwerfend, den heiligen Boden küssend — entsagend — büßend
— ein ganzes Volk von Anachoreten, Mönchen, Brüdern.
Sorgenvoll studieren sie in den heiligen Schriften, den kostbarsten Schätzen
ihrer Bibliotheken, ob sich aus der Geschichte der vergangenen Tage das
Schicksal der ungeheuerlichen Wirren der Gegenwart enträtseln lasse. Dreizehn¬
tausend Handschriften der Kirchenväter, griechische und slawische Urkunden,
Kleinodien der Diplomatik und Paläographie: sie verstummen vor dem un¬
geheuersten Erlebnis, das bis heute die Weltgeschichte kennt. Ein Gericht
ergeht über die Völker, von dem kein Prophet noch geweissagt.
Die Mönche wandeln durch die Rebhügel, die Ölhaine und Obstgärten, die den
heiligen Berg mit bunten Blüten und lockenden Früchten bekränzen, und staunen
nicht mehr die Wucht der Felskolosse an. Was will der Kampf der Giganten und
Götter bedeuten, damals als der Gigant Athos den Hagion Oros von Thessalonich
auf die chalkidische Halbinsel schleuderte, gegen den dumpf dröhnenden Donner
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