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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland

hält. Obwohl sie kaum mehr als den Namen mit der zum einheitlichen
Zwangsstaat neigenden französischen Republik gemein hat, übt doch das Wort
Demokratie eine Zaubergewalt aus. Ja die demokratische Verfassung wird
geradezu als das patriotische Ideal angesehen, das die verschiedenen Kantone
zur Einheit verknüpft. Daß Deutschland eine Fülle demokratischer Einrichtungen
in der Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden, in den Provinzial-
ausschüssen, Landwirtschafts- und Handelskammern besitzt, ist gewöhnlich un¬
bekannt. Ebenso wird ganz übersehen, daß Deutschland wegen seiner exponierten
Grenzen eine starke Zentralgewalt braucht, ebenso daß die demokratisch-liberale
Bewegung von 1848/49 mit dem Ruf nach der Einigung Deutschlands unter
der einheitlichen Führung eines Kaisers endete. Wohl wenige Schweizer haben
es sich klar gemacht, daß Deutschland ohne seine historische monarchische Führung
dasselbe Schicksal erlebt hätte, wie wir es an Ostpreußen erlebt haben. Es
würde heute ein großer Trümmerhaufen sein. Bekannt sind nur gewisse
Reibungen zwischen der Regierung und den Parteien, unbekannt dagegen,
welche Gefahren eine wechselnde parlamentarische Parteiherrschaft zwischen dem
schwarzen und dem roten Block für Deutschland mit sich bringen würde. Der
Stimmungsgegensatz gegen Deutschland spielt sicher eine bedeutsame Rolle. Er
führt den Weftmächten manche Sympathien zu. Vielleicht zeigt der Weltkrieg
vielen, daß ohne eine starke Regierung mit monarchischer Spitze Deutschland
nicht seine wunderbare Organisationskrast im Felde und daheim hätte durch¬
führen können. Unsere Taten haben doch auch viele Schweizer mit Bewunde¬
rung erfüllt. In der Öffentlichkeit ist unter anderen Pfarrer Hans Baur in
Basel voll Bewunderung für Deutschland eingetreten. Er berichtet in der
Broschüre "Das kämpfende Deutschland daheim", Zürich 1915 (Heft 1 der
schon erwähnten "Stimmen im Sturm"), was er auf einer Ferienreise in einem
Gefangenenlager in Deutschland gesehen hat. Ebenso weiß der bedeutendste
Prediger Basels, Gustav Benz, die schwierige Aufgabe mustergültig zu erfüllen,
ohne Verletzung der Neutralität den Familien Trost und Erhebung zu bieten,
von denen viele in seiner Gemeinde ihren Ernährer im deutschen Heere haben.
Viele seiner in der Kriegszeit gehaltenen Predigten sind in Einzeldrucken ver¬
breitet. Er ist gerecht und erkennt Gutes überall an, wo es anzuerkennen ist.
Er spricht für Schweizer wie für Deutsche in gleicher Weise. Jedem Hai er
etwas zu sagen, und niemand wird sich durch ihn verletzt fühlen. Die schwierige
Aufgabe der Kriegspredigt im neutralen Lande ist hier von einem Schweizer
in hervorragender Weise gelöst.

Trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die das Land bedrohen, hat die
Schweiz als das Land, in dem die Genfer Konventton vom Roten Kreuz 1864
geschlossen wurde, eine humane Friedens arbeit zu Gunsten der kriegführenden
Länder geübt. Die Post für die Kriegsgefangenen in Deutschland wie in
Frankreich wird unentgeltlich von der Schweizer Post befördert. Ein Buro für
Kriegsgefangene versteht viele Gefangene mit Liebesgaben. Ein akademischer


Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland

hält. Obwohl sie kaum mehr als den Namen mit der zum einheitlichen
Zwangsstaat neigenden französischen Republik gemein hat, übt doch das Wort
Demokratie eine Zaubergewalt aus. Ja die demokratische Verfassung wird
geradezu als das patriotische Ideal angesehen, das die verschiedenen Kantone
zur Einheit verknüpft. Daß Deutschland eine Fülle demokratischer Einrichtungen
in der Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden, in den Provinzial-
ausschüssen, Landwirtschafts- und Handelskammern besitzt, ist gewöhnlich un¬
bekannt. Ebenso wird ganz übersehen, daß Deutschland wegen seiner exponierten
Grenzen eine starke Zentralgewalt braucht, ebenso daß die demokratisch-liberale
Bewegung von 1848/49 mit dem Ruf nach der Einigung Deutschlands unter
der einheitlichen Führung eines Kaisers endete. Wohl wenige Schweizer haben
es sich klar gemacht, daß Deutschland ohne seine historische monarchische Führung
dasselbe Schicksal erlebt hätte, wie wir es an Ostpreußen erlebt haben. Es
würde heute ein großer Trümmerhaufen sein. Bekannt sind nur gewisse
Reibungen zwischen der Regierung und den Parteien, unbekannt dagegen,
welche Gefahren eine wechselnde parlamentarische Parteiherrschaft zwischen dem
schwarzen und dem roten Block für Deutschland mit sich bringen würde. Der
Stimmungsgegensatz gegen Deutschland spielt sicher eine bedeutsame Rolle. Er
führt den Weftmächten manche Sympathien zu. Vielleicht zeigt der Weltkrieg
vielen, daß ohne eine starke Regierung mit monarchischer Spitze Deutschland
nicht seine wunderbare Organisationskrast im Felde und daheim hätte durch¬
führen können. Unsere Taten haben doch auch viele Schweizer mit Bewunde¬
rung erfüllt. In der Öffentlichkeit ist unter anderen Pfarrer Hans Baur in
Basel voll Bewunderung für Deutschland eingetreten. Er berichtet in der
Broschüre „Das kämpfende Deutschland daheim", Zürich 1915 (Heft 1 der
schon erwähnten „Stimmen im Sturm"), was er auf einer Ferienreise in einem
Gefangenenlager in Deutschland gesehen hat. Ebenso weiß der bedeutendste
Prediger Basels, Gustav Benz, die schwierige Aufgabe mustergültig zu erfüllen,
ohne Verletzung der Neutralität den Familien Trost und Erhebung zu bieten,
von denen viele in seiner Gemeinde ihren Ernährer im deutschen Heere haben.
Viele seiner in der Kriegszeit gehaltenen Predigten sind in Einzeldrucken ver¬
breitet. Er ist gerecht und erkennt Gutes überall an, wo es anzuerkennen ist.
Er spricht für Schweizer wie für Deutsche in gleicher Weise. Jedem Hai er
etwas zu sagen, und niemand wird sich durch ihn verletzt fühlen. Die schwierige
Aufgabe der Kriegspredigt im neutralen Lande ist hier von einem Schweizer
in hervorragender Weise gelöst.

Trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die das Land bedrohen, hat die
Schweiz als das Land, in dem die Genfer Konventton vom Roten Kreuz 1864
geschlossen wurde, eine humane Friedens arbeit zu Gunsten der kriegführenden
Länder geübt. Die Post für die Kriegsgefangenen in Deutschland wie in
Frankreich wird unentgeltlich von der Schweizer Post befördert. Ein Buro für
Kriegsgefangene versteht viele Gefangene mit Liebesgaben. Ein akademischer


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[0103] Die Stellung der neutralen Schweiz zu Deutschland hält. Obwohl sie kaum mehr als den Namen mit der zum einheitlichen Zwangsstaat neigenden französischen Republik gemein hat, übt doch das Wort Demokratie eine Zaubergewalt aus. Ja die demokratische Verfassung wird geradezu als das patriotische Ideal angesehen, das die verschiedenen Kantone zur Einheit verknüpft. Daß Deutschland eine Fülle demokratischer Einrichtungen in der Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden, in den Provinzial- ausschüssen, Landwirtschafts- und Handelskammern besitzt, ist gewöhnlich un¬ bekannt. Ebenso wird ganz übersehen, daß Deutschland wegen seiner exponierten Grenzen eine starke Zentralgewalt braucht, ebenso daß die demokratisch-liberale Bewegung von 1848/49 mit dem Ruf nach der Einigung Deutschlands unter der einheitlichen Führung eines Kaisers endete. Wohl wenige Schweizer haben es sich klar gemacht, daß Deutschland ohne seine historische monarchische Führung dasselbe Schicksal erlebt hätte, wie wir es an Ostpreußen erlebt haben. Es würde heute ein großer Trümmerhaufen sein. Bekannt sind nur gewisse Reibungen zwischen der Regierung und den Parteien, unbekannt dagegen, welche Gefahren eine wechselnde parlamentarische Parteiherrschaft zwischen dem schwarzen und dem roten Block für Deutschland mit sich bringen würde. Der Stimmungsgegensatz gegen Deutschland spielt sicher eine bedeutsame Rolle. Er führt den Weftmächten manche Sympathien zu. Vielleicht zeigt der Weltkrieg vielen, daß ohne eine starke Regierung mit monarchischer Spitze Deutschland nicht seine wunderbare Organisationskrast im Felde und daheim hätte durch¬ führen können. Unsere Taten haben doch auch viele Schweizer mit Bewunde¬ rung erfüllt. In der Öffentlichkeit ist unter anderen Pfarrer Hans Baur in Basel voll Bewunderung für Deutschland eingetreten. Er berichtet in der Broschüre „Das kämpfende Deutschland daheim", Zürich 1915 (Heft 1 der schon erwähnten „Stimmen im Sturm"), was er auf einer Ferienreise in einem Gefangenenlager in Deutschland gesehen hat. Ebenso weiß der bedeutendste Prediger Basels, Gustav Benz, die schwierige Aufgabe mustergültig zu erfüllen, ohne Verletzung der Neutralität den Familien Trost und Erhebung zu bieten, von denen viele in seiner Gemeinde ihren Ernährer im deutschen Heere haben. Viele seiner in der Kriegszeit gehaltenen Predigten sind in Einzeldrucken ver¬ breitet. Er ist gerecht und erkennt Gutes überall an, wo es anzuerkennen ist. Er spricht für Schweizer wie für Deutsche in gleicher Weise. Jedem Hai er etwas zu sagen, und niemand wird sich durch ihn verletzt fühlen. Die schwierige Aufgabe der Kriegspredigt im neutralen Lande ist hier von einem Schweizer in hervorragender Weise gelöst. Trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die das Land bedrohen, hat die Schweiz als das Land, in dem die Genfer Konventton vom Roten Kreuz 1864 geschlossen wurde, eine humane Friedens arbeit zu Gunsten der kriegführenden Länder geübt. Die Post für die Kriegsgefangenen in Deutschland wie in Frankreich wird unentgeltlich von der Schweizer Post befördert. Ein Buro für Kriegsgefangene versteht viele Gefangene mit Liebesgaben. Ein akademischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/103>, abgerufen am 15.01.2025.