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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
wirtschaft

Im gegenwärtigen Augenblick, wo die
Frage der zukünftigen Gestaltung der Zoll¬
grenzen zwischen dem deutschen Reiche und
Österreich-Ungarn weite Kreise des Erwerbs¬
lebens, ebenso wie die Politiker lebhaft be¬
schäftigt, bietet eine aktenmäßige Darstellung
der Geschichte der österreichisch-ungarischen
Zwischenzollinie, die Dr. RudolfSieghart
der Gouverneur der österreichischen Boden¬
credit-Anstalt und langjährige Protokollführer
des österreichischen Ministerrates unternommen
hat, ein besonderes Interesse (Zolltrennung
und Zolleinheit. Manzsche k. u. k, Hof-
Verlags- und Universitäts - Buchhandlung,
Wien 1916. Preis brosch. 12 Kr.). Eine un¬
gewöhnlich reichhaltige Stoffsammlung, die sich
aus sämtliche geschichtlichen Zeiträume der
wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Osterreich
und Ungarn von Karl dem Sechsten bis zur
Aufhebung der Zollinie zwischen den beiden
ReichShälsten erstreckt und auch die politische
und wirtschaftliche Entwicklung Ungarns im
Zeichen der Zollgemeinschaft besonders be¬
handelt, gewährt einen umfassenden Überblick
über das Thema, das hart an eine wirtschaft¬
liche Geschichte Österreich-Ungarns überhaupt
grenzt. Die Absicht des Verfassers wird offen¬
kundig aus folgender Stelle seiner Vorrede:
"Bevor wieder einmal die beiden Regierungen
den Martergang der Verhandlungen über den
(1917 ablaufenden) Ausgleich antreten, wollte
ich einem größeren Kreise der Öffentlichkeit
auf Grund eingehender geschichtlicher Studien
darlegen, was beide Staaten der Monarchie
an der Zollgemeinschaft haben, und wie ihre
Bewohner für jetzt und für immer alles
daran setzen müssen, dieses schwer errungene

[Spaltenumbruch]

Gut zu hüten und zu wahren." Auch
die Zusammenfassung der selbständigen Dar¬
legungen des Buches über den gewaltigen
Aufschwung Ungarns in der Zollgemein¬
schaft läßt keinen Zweifel über den Stand¬
punkt, den Dr. Sioghart in der Frage
einnimmt. Es handelt sich in der Tat um
eine sehr eindrucksvolle Befürwortung der Auf¬
rechterhaltung der Zollgemeinschaft zwischen
den beiden Hälften der Habsburgischen Mo¬
narchie, die in eleganter Form, mit dem er¬
probten Rüstzeug des erfahrenen Politikers
und des methodischen Gelehrten zu gleicher
Zeit unternommen wird, wobei man zeit¬
weilig die Erfahrungen verspürt, die der Ver¬
fasser während seiner langjährigen amtlichen
Tätigkeit auch hinter den Kulissen machen
konnte.

Ohne Zweifel bietet also das Buch ein
nicht gewöhnliches Interesse in bezug auf Be¬
handlung und Darstellung der Aufgabe, der
eS gewidmet ist. Der reichsdeutsche Leser aber
wird schon bei oberflächlicher Durchsicht zu
besonderen Fragen angeregt. Die ernsten
Worte, mit denen Dr. Sieghart in voller
Kenntnis der Vergangenheit und Gegenwart
der Beziehungen zwischen den beiden Reichs¬
hälften auf die Gefahren verweist, die aus einer
Zolltrennung Ungarns und Österreichs not¬
wendig hervorgehen müßten, lassen deutlich
erkennen, daß, sei es diesseits der Leitha oder
jenseits der Leitha, noch immer ernsthaft solche
Möglichkeiten in Betracht gezogen werden.
Wenn daS zutrifft, welches Schicksal ist dann
von vornherein den verschiedenen Plänen be-
schieden, die jetzt von allen Ecken und Enden
über eine Erweiterung des österreichisch¬
ungarischen Wirtschaftsgebietes im Anschluß
an das Deutsche Reich, vielleicht auch nach

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]
wirtschaft

Im gegenwärtigen Augenblick, wo die
Frage der zukünftigen Gestaltung der Zoll¬
grenzen zwischen dem deutschen Reiche und
Österreich-Ungarn weite Kreise des Erwerbs¬
lebens, ebenso wie die Politiker lebhaft be¬
schäftigt, bietet eine aktenmäßige Darstellung
der Geschichte der österreichisch-ungarischen
Zwischenzollinie, die Dr. RudolfSieghart
der Gouverneur der österreichischen Boden¬
credit-Anstalt und langjährige Protokollführer
des österreichischen Ministerrates unternommen
hat, ein besonderes Interesse (Zolltrennung
und Zolleinheit. Manzsche k. u. k, Hof-
Verlags- und Universitäts - Buchhandlung,
Wien 1916. Preis brosch. 12 Kr.). Eine un¬
gewöhnlich reichhaltige Stoffsammlung, die sich
aus sämtliche geschichtlichen Zeiträume der
wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Osterreich
und Ungarn von Karl dem Sechsten bis zur
Aufhebung der Zollinie zwischen den beiden
ReichShälsten erstreckt und auch die politische
und wirtschaftliche Entwicklung Ungarns im
Zeichen der Zollgemeinschaft besonders be¬
handelt, gewährt einen umfassenden Überblick
über das Thema, das hart an eine wirtschaft¬
liche Geschichte Österreich-Ungarns überhaupt
grenzt. Die Absicht des Verfassers wird offen¬
kundig aus folgender Stelle seiner Vorrede:
„Bevor wieder einmal die beiden Regierungen
den Martergang der Verhandlungen über den
(1917 ablaufenden) Ausgleich antreten, wollte
ich einem größeren Kreise der Öffentlichkeit
auf Grund eingehender geschichtlicher Studien
darlegen, was beide Staaten der Monarchie
an der Zollgemeinschaft haben, und wie ihre
Bewohner für jetzt und für immer alles
daran setzen müssen, dieses schwer errungene

[Spaltenumbruch]

Gut zu hüten und zu wahren." Auch
die Zusammenfassung der selbständigen Dar¬
legungen des Buches über den gewaltigen
Aufschwung Ungarns in der Zollgemein¬
schaft läßt keinen Zweifel über den Stand¬
punkt, den Dr. Sioghart in der Frage
einnimmt. Es handelt sich in der Tat um
eine sehr eindrucksvolle Befürwortung der Auf¬
rechterhaltung der Zollgemeinschaft zwischen
den beiden Hälften der Habsburgischen Mo¬
narchie, die in eleganter Form, mit dem er¬
probten Rüstzeug des erfahrenen Politikers
und des methodischen Gelehrten zu gleicher
Zeit unternommen wird, wobei man zeit¬
weilig die Erfahrungen verspürt, die der Ver¬
fasser während seiner langjährigen amtlichen
Tätigkeit auch hinter den Kulissen machen
konnte.

Ohne Zweifel bietet also das Buch ein
nicht gewöhnliches Interesse in bezug auf Be¬
handlung und Darstellung der Aufgabe, der
eS gewidmet ist. Der reichsdeutsche Leser aber
wird schon bei oberflächlicher Durchsicht zu
besonderen Fragen angeregt. Die ernsten
Worte, mit denen Dr. Sieghart in voller
Kenntnis der Vergangenheit und Gegenwart
der Beziehungen zwischen den beiden Reichs¬
hälften auf die Gefahren verweist, die aus einer
Zolltrennung Ungarns und Österreichs not¬
wendig hervorgehen müßten, lassen deutlich
erkennen, daß, sei es diesseits der Leitha oder
jenseits der Leitha, noch immer ernsthaft solche
Möglichkeiten in Betracht gezogen werden.
Wenn daS zutrifft, welches Schicksal ist dann
von vornherein den verschiedenen Plänen be-
schieden, die jetzt von allen Ecken und Enden
über eine Erweiterung des österreichisch¬
ungarischen Wirtschaftsgebietes im Anschluß
an das Deutsche Reich, vielleicht auch nach

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[0074] [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches wirtschaft Im gegenwärtigen Augenblick, wo die Frage der zukünftigen Gestaltung der Zoll¬ grenzen zwischen dem deutschen Reiche und Österreich-Ungarn weite Kreise des Erwerbs¬ lebens, ebenso wie die Politiker lebhaft be¬ schäftigt, bietet eine aktenmäßige Darstellung der Geschichte der österreichisch-ungarischen Zwischenzollinie, die Dr. RudolfSieghart der Gouverneur der österreichischen Boden¬ credit-Anstalt und langjährige Protokollführer des österreichischen Ministerrates unternommen hat, ein besonderes Interesse (Zolltrennung und Zolleinheit. Manzsche k. u. k, Hof- Verlags- und Universitäts - Buchhandlung, Wien 1916. Preis brosch. 12 Kr.). Eine un¬ gewöhnlich reichhaltige Stoffsammlung, die sich aus sämtliche geschichtlichen Zeiträume der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Osterreich und Ungarn von Karl dem Sechsten bis zur Aufhebung der Zollinie zwischen den beiden ReichShälsten erstreckt und auch die politische und wirtschaftliche Entwicklung Ungarns im Zeichen der Zollgemeinschaft besonders be¬ handelt, gewährt einen umfassenden Überblick über das Thema, das hart an eine wirtschaft¬ liche Geschichte Österreich-Ungarns überhaupt grenzt. Die Absicht des Verfassers wird offen¬ kundig aus folgender Stelle seiner Vorrede: „Bevor wieder einmal die beiden Regierungen den Martergang der Verhandlungen über den (1917 ablaufenden) Ausgleich antreten, wollte ich einem größeren Kreise der Öffentlichkeit auf Grund eingehender geschichtlicher Studien darlegen, was beide Staaten der Monarchie an der Zollgemeinschaft haben, und wie ihre Bewohner für jetzt und für immer alles daran setzen müssen, dieses schwer errungene Gut zu hüten und zu wahren." Auch die Zusammenfassung der selbständigen Dar¬ legungen des Buches über den gewaltigen Aufschwung Ungarns in der Zollgemein¬ schaft läßt keinen Zweifel über den Stand¬ punkt, den Dr. Sioghart in der Frage einnimmt. Es handelt sich in der Tat um eine sehr eindrucksvolle Befürwortung der Auf¬ rechterhaltung der Zollgemeinschaft zwischen den beiden Hälften der Habsburgischen Mo¬ narchie, die in eleganter Form, mit dem er¬ probten Rüstzeug des erfahrenen Politikers und des methodischen Gelehrten zu gleicher Zeit unternommen wird, wobei man zeit¬ weilig die Erfahrungen verspürt, die der Ver¬ fasser während seiner langjährigen amtlichen Tätigkeit auch hinter den Kulissen machen konnte. Ohne Zweifel bietet also das Buch ein nicht gewöhnliches Interesse in bezug auf Be¬ handlung und Darstellung der Aufgabe, der eS gewidmet ist. Der reichsdeutsche Leser aber wird schon bei oberflächlicher Durchsicht zu besonderen Fragen angeregt. Die ernsten Worte, mit denen Dr. Sieghart in voller Kenntnis der Vergangenheit und Gegenwart der Beziehungen zwischen den beiden Reichs¬ hälften auf die Gefahren verweist, die aus einer Zolltrennung Ungarns und Österreichs not¬ wendig hervorgehen müßten, lassen deutlich erkennen, daß, sei es diesseits der Leitha oder jenseits der Leitha, noch immer ernsthaft solche Möglichkeiten in Betracht gezogen werden. Wenn daS zutrifft, welches Schicksal ist dann von vornherein den verschiedenen Plänen be- schieden, die jetzt von allen Ecken und Enden über eine Erweiterung des österreichisch¬ ungarischen Wirtschaftsgebietes im Anschluß an das Deutsche Reich, vielleicht auch nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/74>, abgerufen am 27.12.2024.