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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die neue dänische Verfassung

Vorbild: nachdem das Ministerium sein Programm erledigt hatte, brauchte
es eine neue politische Aufgabe, um seine Lebenskraft zu bewahren, und da
gab es natürlich nichts größeres als die Durchführung einer Verfassungsreform
im Sinne der historischen Forderung der Linken. Wahrscheinlich aber ist das
reine Jdealitätsmoment ausschlaggebend gewesen. Bei diesen gemäßigten Grundt-
vigianern lebt noch die heimliche Liebe zu den Idealen der Jugend, drei
Generationen des Landvolks waren in den Traditionen der alten Forderung
der Linken erzogen worden, und als endlich die Partei an die Regierung kam,
entschloß sie sich, das Versprechen derVäter einzulösen, allen politischen Berechnungen
zum Trotz. Bei der Rechten rief der Vorschlag Entsetzen und Verwirrung
hervor, sie konnte in den eigenen Reihen keine Einigung erreichen außer in dem
rein negativen, den Vorschlag zu Fall zu bringen.

I. C. Christensen (Linke Reformpartei) opponierte taktisch sehr geschickt in
der Absicht, selbst wieder an die Regierung zu gelangen und seine eigene Ver-
fassungsreform zur Verhandlung zu bringen.

Dagegen fand der Vorschlag volle Zustimmung bei den Radikalen und den
Sozialdemokraten.

Indessen fiel das Ministerium Berntsen bei den Wahlen 1913 und da
die nunmehr stärkste Partei, die Sozialdemokraten, sich weigerten, die Regierung
zu übernehmen, so rückte mit Stütze der Sozialdemokraten das radikale Ministerium
Zahle in die Negierung, obwohl die radikale Partei nur eine Minderheits¬
gruppe im Folketing bildet. Das radikale Ministerium hatte das Mandat
die Verfassungsreform durchzuführen und fand insoweit auch Stütze in der
moderaten Linken.

Das Ministerium hat nun diese Aufgabe mit großem Geschick gelöst. Die
neue Verfassung ist ein Kompromiß, die Sozialdemokraten zeigten ein ver¬
ständiges Entgegenkommen und auch der verhandlungswillige Teil der Rechten
hat sich mit Resignation in das Unvermeidliche gefügt, so daß die neue Ver-
fassung schließlich von allen politischen Parteien praktisch gesprochen ohne Wider¬
spruch angenommen wurde.

Die wesentliche Änderung gegenüber der Verfassung von 1866 besteht in
der Erweiterung des aktiven und passiven Wahlrechts zu beiden Kammern und
der Aufhebung aller Privilegien und Standesunterschiede unter der Wählermasse.

Das Wahlrecht zum Folketing erfährt zunächst eine kolossale Erweiterung
durch die Verleihung des aktiven und passiven Wahlrechts an die Frauen in
Gleichstellung mit den Männern. Außerdem erhält das Gesinde Wahlrecht und
in gleicher Weise wird der Fortfall der Bestimmung, daß der Wähler das letzte
Jahr vor der Wahl festen Wohnsitz in dem Wahlkreise oder in der betreffenden
Stadt haben müsse, eine Vermehrung der Wählerzahl bewirken. Schließlich
wird das Wahlrecht allen fünfundzwanzigjährigen Bürgern und Bürgerinnen
erteilt; diese Herabsetzung des Wahlalters von 30 auf 25 Jahre wird indessen
gradweise in Kraft treten, indem jedes vierte Jahr ein neuer Jahrgang hinzutritt.


Die neue dänische Verfassung

Vorbild: nachdem das Ministerium sein Programm erledigt hatte, brauchte
es eine neue politische Aufgabe, um seine Lebenskraft zu bewahren, und da
gab es natürlich nichts größeres als die Durchführung einer Verfassungsreform
im Sinne der historischen Forderung der Linken. Wahrscheinlich aber ist das
reine Jdealitätsmoment ausschlaggebend gewesen. Bei diesen gemäßigten Grundt-
vigianern lebt noch die heimliche Liebe zu den Idealen der Jugend, drei
Generationen des Landvolks waren in den Traditionen der alten Forderung
der Linken erzogen worden, und als endlich die Partei an die Regierung kam,
entschloß sie sich, das Versprechen derVäter einzulösen, allen politischen Berechnungen
zum Trotz. Bei der Rechten rief der Vorschlag Entsetzen und Verwirrung
hervor, sie konnte in den eigenen Reihen keine Einigung erreichen außer in dem
rein negativen, den Vorschlag zu Fall zu bringen.

I. C. Christensen (Linke Reformpartei) opponierte taktisch sehr geschickt in
der Absicht, selbst wieder an die Regierung zu gelangen und seine eigene Ver-
fassungsreform zur Verhandlung zu bringen.

Dagegen fand der Vorschlag volle Zustimmung bei den Radikalen und den
Sozialdemokraten.

Indessen fiel das Ministerium Berntsen bei den Wahlen 1913 und da
die nunmehr stärkste Partei, die Sozialdemokraten, sich weigerten, die Regierung
zu übernehmen, so rückte mit Stütze der Sozialdemokraten das radikale Ministerium
Zahle in die Negierung, obwohl die radikale Partei nur eine Minderheits¬
gruppe im Folketing bildet. Das radikale Ministerium hatte das Mandat
die Verfassungsreform durchzuführen und fand insoweit auch Stütze in der
moderaten Linken.

Das Ministerium hat nun diese Aufgabe mit großem Geschick gelöst. Die
neue Verfassung ist ein Kompromiß, die Sozialdemokraten zeigten ein ver¬
ständiges Entgegenkommen und auch der verhandlungswillige Teil der Rechten
hat sich mit Resignation in das Unvermeidliche gefügt, so daß die neue Ver-
fassung schließlich von allen politischen Parteien praktisch gesprochen ohne Wider¬
spruch angenommen wurde.

Die wesentliche Änderung gegenüber der Verfassung von 1866 besteht in
der Erweiterung des aktiven und passiven Wahlrechts zu beiden Kammern und
der Aufhebung aller Privilegien und Standesunterschiede unter der Wählermasse.

Das Wahlrecht zum Folketing erfährt zunächst eine kolossale Erweiterung
durch die Verleihung des aktiven und passiven Wahlrechts an die Frauen in
Gleichstellung mit den Männern. Außerdem erhält das Gesinde Wahlrecht und
in gleicher Weise wird der Fortfall der Bestimmung, daß der Wähler das letzte
Jahr vor der Wahl festen Wohnsitz in dem Wahlkreise oder in der betreffenden
Stadt haben müsse, eine Vermehrung der Wählerzahl bewirken. Schließlich
wird das Wahlrecht allen fünfundzwanzigjährigen Bürgern und Bürgerinnen
erteilt; diese Herabsetzung des Wahlalters von 30 auf 25 Jahre wird indessen
gradweise in Kraft treten, indem jedes vierte Jahr ein neuer Jahrgang hinzutritt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/55>, abgerufen am 29.12.2024.