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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Line Märtyrerin auf dem Uaiserthrone

"ach dem Palastpräfekten Bausset, der in Ausübung seines Dienstes im Neben¬
zimmer weilte. Als dieser herbeistürzte, sah er Josephine, jammervolle Klage¬
rufe ausstoßend und halb ohnmächtig, auf dem Teppich kauern; die beiden
Männer trugen sie die schmale Treppe hinab, die in ihre Privatzimmer führte,
wo sie der Pflege der gerade zu Besuch am Kaiserhofe weilenden Hortense und
des schnell herbeigerufenen Corvisart übergeben wurde.

Die Zeit bis zur formellen Lösung ihrer Ehe war für Josephine entsetzlich.
Zum 2. Dezember, dem Jahrestage der Kaiserkrönung und demjenigen der
Schlacht bei Austerlitz, kamen viele verbündete Fürsten nach Paris, und natür¬
lich fanden ihnen zu Ehren allerhand Festlichkeiten statt, denen die arme Kaiserin
in großem Staate beiwohnen mußte, Blumen an der Brust, ein Diadem von
Brillanten auf dem Haupte, ein erzwungenes Lächeln um die zusammengepreßten
Lippen und im Herzen den Tod. Am Morgen des Gedenktages erschien sie
zum 1s ahnen in Notre-Dame, wo vor fünf Jahren dieselbe Hand ihr die
Krone aufgesetzt hatte, die sie ihr wieder zu nehmen nun sich anschickte. Abends
zeigte sie sich dann bei einem Bankett in den Tuilerien, umgeben von dem
ganzen Pomp kaiserlicher Majestät, und ebenso am folgenden Tage auf dem
Feste, das die Stadt Paris im Rathause gab. Viele mitleidige Blicke richteten
sich hier auf sie, und den Worten, die sie sprach, begegnete oft tiefe Rührung;
denn Josephine war mit Recht in hohem Grade beliebt.

Am 15. Dezember wurde die Scheidung vollzogen; demütig fügte die
schwer Geprüfte sich dem Willen des geliebten Mannes, wenn auch unter den
heftigsten körperlichen und seelischen Erschütterungen: von Schmerz überwältigt,
aber von Stolz gehoben, gab sie die Erklärung ab, daß sie, das Wohl Frank¬
reichs höher stellend als ihr Glück, mit der Lösung des Ehebundes einverstanden
sei. So ging das Drama zu Ende; das blutende Herz der interessanten Frau,
dem ein grausames Schicksal so schwere Wunden geschlagen hatte, fand in der
Ruhe, die Entsagung zu geben vermag, den so lange und so heiß, aber stets
vergebens ersehnten Frieden.




Line Märtyrerin auf dem Uaiserthrone

«ach dem Palastpräfekten Bausset, der in Ausübung seines Dienstes im Neben¬
zimmer weilte. Als dieser herbeistürzte, sah er Josephine, jammervolle Klage¬
rufe ausstoßend und halb ohnmächtig, auf dem Teppich kauern; die beiden
Männer trugen sie die schmale Treppe hinab, die in ihre Privatzimmer führte,
wo sie der Pflege der gerade zu Besuch am Kaiserhofe weilenden Hortense und
des schnell herbeigerufenen Corvisart übergeben wurde.

Die Zeit bis zur formellen Lösung ihrer Ehe war für Josephine entsetzlich.
Zum 2. Dezember, dem Jahrestage der Kaiserkrönung und demjenigen der
Schlacht bei Austerlitz, kamen viele verbündete Fürsten nach Paris, und natür¬
lich fanden ihnen zu Ehren allerhand Festlichkeiten statt, denen die arme Kaiserin
in großem Staate beiwohnen mußte, Blumen an der Brust, ein Diadem von
Brillanten auf dem Haupte, ein erzwungenes Lächeln um die zusammengepreßten
Lippen und im Herzen den Tod. Am Morgen des Gedenktages erschien sie
zum 1s ahnen in Notre-Dame, wo vor fünf Jahren dieselbe Hand ihr die
Krone aufgesetzt hatte, die sie ihr wieder zu nehmen nun sich anschickte. Abends
zeigte sie sich dann bei einem Bankett in den Tuilerien, umgeben von dem
ganzen Pomp kaiserlicher Majestät, und ebenso am folgenden Tage auf dem
Feste, das die Stadt Paris im Rathause gab. Viele mitleidige Blicke richteten
sich hier auf sie, und den Worten, die sie sprach, begegnete oft tiefe Rührung;
denn Josephine war mit Recht in hohem Grade beliebt.

Am 15. Dezember wurde die Scheidung vollzogen; demütig fügte die
schwer Geprüfte sich dem Willen des geliebten Mannes, wenn auch unter den
heftigsten körperlichen und seelischen Erschütterungen: von Schmerz überwältigt,
aber von Stolz gehoben, gab sie die Erklärung ab, daß sie, das Wohl Frank¬
reichs höher stellend als ihr Glück, mit der Lösung des Ehebundes einverstanden
sei. So ging das Drama zu Ende; das blutende Herz der interessanten Frau,
dem ein grausames Schicksal so schwere Wunden geschlagen hatte, fand in der
Ruhe, die Entsagung zu geben vermag, den so lange und so heiß, aber stets
vergebens ersehnten Frieden.




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[0416] Line Märtyrerin auf dem Uaiserthrone «ach dem Palastpräfekten Bausset, der in Ausübung seines Dienstes im Neben¬ zimmer weilte. Als dieser herbeistürzte, sah er Josephine, jammervolle Klage¬ rufe ausstoßend und halb ohnmächtig, auf dem Teppich kauern; die beiden Männer trugen sie die schmale Treppe hinab, die in ihre Privatzimmer führte, wo sie der Pflege der gerade zu Besuch am Kaiserhofe weilenden Hortense und des schnell herbeigerufenen Corvisart übergeben wurde. Die Zeit bis zur formellen Lösung ihrer Ehe war für Josephine entsetzlich. Zum 2. Dezember, dem Jahrestage der Kaiserkrönung und demjenigen der Schlacht bei Austerlitz, kamen viele verbündete Fürsten nach Paris, und natür¬ lich fanden ihnen zu Ehren allerhand Festlichkeiten statt, denen die arme Kaiserin in großem Staate beiwohnen mußte, Blumen an der Brust, ein Diadem von Brillanten auf dem Haupte, ein erzwungenes Lächeln um die zusammengepreßten Lippen und im Herzen den Tod. Am Morgen des Gedenktages erschien sie zum 1s ahnen in Notre-Dame, wo vor fünf Jahren dieselbe Hand ihr die Krone aufgesetzt hatte, die sie ihr wieder zu nehmen nun sich anschickte. Abends zeigte sie sich dann bei einem Bankett in den Tuilerien, umgeben von dem ganzen Pomp kaiserlicher Majestät, und ebenso am folgenden Tage auf dem Feste, das die Stadt Paris im Rathause gab. Viele mitleidige Blicke richteten sich hier auf sie, und den Worten, die sie sprach, begegnete oft tiefe Rührung; denn Josephine war mit Recht in hohem Grade beliebt. Am 15. Dezember wurde die Scheidung vollzogen; demütig fügte die schwer Geprüfte sich dem Willen des geliebten Mannes, wenn auch unter den heftigsten körperlichen und seelischen Erschütterungen: von Schmerz überwältigt, aber von Stolz gehoben, gab sie die Erklärung ab, daß sie, das Wohl Frank¬ reichs höher stellend als ihr Glück, mit der Lösung des Ehebundes einverstanden sei. So ging das Drama zu Ende; das blutende Herz der interessanten Frau, dem ein grausames Schicksal so schwere Wunden geschlagen hatte, fand in der Ruhe, die Entsagung zu geben vermag, den so lange und so heiß, aber stets vergebens ersehnten Frieden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/416>, abgerufen am 24.08.2024.