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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Line Märtyrerin auf dem Aaiserthrone

Entsagung von ihr zu verlangen. Heroismus zeigen und sich durch freiwillige
Trennung selbst auf dem Altare des Vaterlands opfern. Josephine, in der
Meinung, der Schreiber der Zeilen sei direkt vom Kaiser beauftragt, ihr den
Scheidungsvorschlag zu machen, hielt ihr Schicksal für besiegelt; sie antwortete,
vom Throne herabzusteigen sei sie bereit, doch gleichzeitig den Manu zu ver¬
lieren, dem sie ihre ganze Liebe geschenkt habe, das gehe über ihre Kräfte.
Napoleon aber, dem sie unter heißen Tränen von dem Geschehenen Mitteilung
machte, zeigte, wie groß seine Schwäche der noch immer geliebten Frau gegen¬
über war; er stellte die Tat Fouchös als übertriebenen Eifer hin, und die
Unterredung schloß mit zärtlichen und tröstenden Worten. Immer wieder
scheute der Kaiser vor dem entscheidenden Schritte zurück und suchte einen mo-
6u8 vivsncZi mit Josephine zu finden; so forderte er sie im Frühling 1808
auf, den kleinen Leon, seinen Sohn von der Eleonore, zu adoptieren, und als
die völlig Zermürbte sich auch dazu bereit erklärte, gab er ihr, gerührt von so
viel Liebe, die Versicherung, er werde sich nie von ihr trennen. Die Adoption
unterblieb zwar -- Napoleon wagte doch nicht, Frankreich seinen Bastard als
Nachfolger anzubieten --, aber der ganze Vorgang zeigte aufs deutlichste, wie
schmerzlich ihn der Gedanke berührte, der Frau, die mit dem Aufsteigen seines
Sternes so eng verknüpft war, ein letztes Lebewohl zu sagen.

Doch mit den Tagen, die kamen und gingen, trat immer aufs neue und
immer unabweisbarer an den Kaiser die Forderung nach einem Erben heran;
immer unweigerlicher drängte sich ihm die Erinnerung an das Schicksal des
mazedonischen Weltteiches und die Kämpfe der Diadochen auf; immer un¬
vermeidlicher erschien ihm die Gründung einer Dynastie und die dadurch be¬
dingte Scheidung. Und doch -- der Mann, der in keiner Schlacht gezittert
hatte, erbebte bei dem Gedanken an die Trennung, und das um so mehr, als
eine neue Verbindung ihm nichts weniger als sympathisch war. Was würde
ihm diese zweite Ehe schließlich denn auch bieten? "^' öpouserai un vsntre"
-- das war sein Standpunkt. Aber das Schicksal der armen Kaiserin blieb,
friedlos zu sein. Im Herbste 1808 wurde gelegentlich des zu Erfurt abge¬
haltenen Kongresses das Projekt der Verbindung Napoleons mit einer Gro߬
fürstin zum ersten Male offen ausgesprochen. Josephine fühlte das Damokles¬
schwert über ihrem Haupte und wurde, von Angst gepeinigt, täglich nervöser;
als der Kaiser ihr sehr entzückt über den Zaren schrieb und scherzhaft meinte:
"Wenn Alexander eine Frau wäre, ich glaube, ich würde sie zu meiner Ge¬
liebten machen", sah sie in diesen Worten sosort einen Hinweis auf die bevor¬
stehende Verehelichung ihres Gatten mit einer moskowitischen Prinzessin und
sich selbst verlassen und vereinsamt. Hatten doch auch früher schon Königinnen
von Frankreichs Throne herabsteigen müssen, die kinderlos gewesen gleich ihr,
wie jene Margarete von Valois, an deren Hochzeit mit Heinrich IV. die ent¬
setzliche Bartholomäusnacht noch heute erinnert. Bei allem Glanz und Schimmer
welch trauriges Leben! In ihrer Unruhe fiel ihr dann wohl die oben erwähnte


Line Märtyrerin auf dem Aaiserthrone

Entsagung von ihr zu verlangen. Heroismus zeigen und sich durch freiwillige
Trennung selbst auf dem Altare des Vaterlands opfern. Josephine, in der
Meinung, der Schreiber der Zeilen sei direkt vom Kaiser beauftragt, ihr den
Scheidungsvorschlag zu machen, hielt ihr Schicksal für besiegelt; sie antwortete,
vom Throne herabzusteigen sei sie bereit, doch gleichzeitig den Manu zu ver¬
lieren, dem sie ihre ganze Liebe geschenkt habe, das gehe über ihre Kräfte.
Napoleon aber, dem sie unter heißen Tränen von dem Geschehenen Mitteilung
machte, zeigte, wie groß seine Schwäche der noch immer geliebten Frau gegen¬
über war; er stellte die Tat Fouchös als übertriebenen Eifer hin, und die
Unterredung schloß mit zärtlichen und tröstenden Worten. Immer wieder
scheute der Kaiser vor dem entscheidenden Schritte zurück und suchte einen mo-
6u8 vivsncZi mit Josephine zu finden; so forderte er sie im Frühling 1808
auf, den kleinen Leon, seinen Sohn von der Eleonore, zu adoptieren, und als
die völlig Zermürbte sich auch dazu bereit erklärte, gab er ihr, gerührt von so
viel Liebe, die Versicherung, er werde sich nie von ihr trennen. Die Adoption
unterblieb zwar — Napoleon wagte doch nicht, Frankreich seinen Bastard als
Nachfolger anzubieten —, aber der ganze Vorgang zeigte aufs deutlichste, wie
schmerzlich ihn der Gedanke berührte, der Frau, die mit dem Aufsteigen seines
Sternes so eng verknüpft war, ein letztes Lebewohl zu sagen.

Doch mit den Tagen, die kamen und gingen, trat immer aufs neue und
immer unabweisbarer an den Kaiser die Forderung nach einem Erben heran;
immer unweigerlicher drängte sich ihm die Erinnerung an das Schicksal des
mazedonischen Weltteiches und die Kämpfe der Diadochen auf; immer un¬
vermeidlicher erschien ihm die Gründung einer Dynastie und die dadurch be¬
dingte Scheidung. Und doch — der Mann, der in keiner Schlacht gezittert
hatte, erbebte bei dem Gedanken an die Trennung, und das um so mehr, als
eine neue Verbindung ihm nichts weniger als sympathisch war. Was würde
ihm diese zweite Ehe schließlich denn auch bieten? „^' öpouserai un vsntre"
— das war sein Standpunkt. Aber das Schicksal der armen Kaiserin blieb,
friedlos zu sein. Im Herbste 1808 wurde gelegentlich des zu Erfurt abge¬
haltenen Kongresses das Projekt der Verbindung Napoleons mit einer Gro߬
fürstin zum ersten Male offen ausgesprochen. Josephine fühlte das Damokles¬
schwert über ihrem Haupte und wurde, von Angst gepeinigt, täglich nervöser;
als der Kaiser ihr sehr entzückt über den Zaren schrieb und scherzhaft meinte:
„Wenn Alexander eine Frau wäre, ich glaube, ich würde sie zu meiner Ge¬
liebten machen", sah sie in diesen Worten sosort einen Hinweis auf die bevor¬
stehende Verehelichung ihres Gatten mit einer moskowitischen Prinzessin und
sich selbst verlassen und vereinsamt. Hatten doch auch früher schon Königinnen
von Frankreichs Throne herabsteigen müssen, die kinderlos gewesen gleich ihr,
wie jene Margarete von Valois, an deren Hochzeit mit Heinrich IV. die ent¬
setzliche Bartholomäusnacht noch heute erinnert. Bei allem Glanz und Schimmer
welch trauriges Leben! In ihrer Unruhe fiel ihr dann wohl die oben erwähnte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/413>, abgerufen am 22.07.2024.