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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Das Niederländische im Sprachunterricht

Länder, für niederländisch sprechen am unmittelbarsten die belgische Frage und
die Übereinstimmung mit dem Vlämischen, aber auch noch andere Gründe. .

Bei der Vielheit der sich meldenden Ansprüche ist Maßhalten und plan¬
mäßiges Vorgehen geboten. Eine Grundvoraussetzung, um die Umwälzung in
der Auswahl sprachlichen Lernstoffes glücklich durchzuführen, ist die Beherzigung
des Satzes: Eines schickt sich nicht sür alle. Schultechnisch sollte daher nicht
zentralistisch, sondern föderalistisch verfahren werden. Das will sagen: bestimmte
Landesteile haben mit Hilfe ihrer Universitäten, höheren Lehranstalten oder
Spezialschulen solche besondere Aufgaben zu übernehmen, die ihrer geographischen
Lage und der Stammesart ihrer Bewohner gemäß sind. Die Ostmark kann
nicht dieselben Ziele verfolgen wie der industrielle Westen, die Ostseeküste hat
andere Interessen als die oberdeutschen Donauländer. So eingeschränkt ergibt
sich für das Niederländische als Fremdsprache ein natürliches Beschulungsgebiet:
West- und Nordwestdeutschland, etwa von Aachen bis Hamburg, in. a. W. die
alte Sprachzone des niederfränkischen und niedersächsischen Stammes.

Von allen Fremdsprachen steht das Niederländische dem Deutschen am
nächsten. In Rücksicht auf den Anklang an das Plattdeutsche hat man es sogar
schlechthin als niederdeutsch oder als den zur Schriftsprache entwickelten Zweig
des Niederdeutschen bezeichnet. Die nahe Verwandtschaft hat zu der Ansicht
verleitet, daß es ein leichtes sei, niederländisch zu lernen, ja daß es einer schul¬
mäßigen Erlernung garnicht bedürfe. Wäre wirklich eine Verständigung auf
Grundlage der Verwandtschaft so leicht möglich, so hätte zu Anfang des Krieges
vielleicht manches Mißverständnis verhindert werden können. Leider sind aber
auch heute noch unsere Offiziere und Beamten in Vlämisch-Belgien oft genötigt,
sich des Französischen als Vermittlungssprache zu bedienen, wenn sie eine ge¬
ordnete mündliche Verhandlung mit den Landeseinwohnern führen wollen. So
bedeutsam die Kenntnis des Plattdeutschen zur Erlernung und zum schulmäßigen
Studium des Niederländischen ist, im Verkehr reicht es unter Zuhilfenahme der
Zeichensprache nur zu einer Notverständigung aus.

Ohne Frage hat die niederländische Sprache große Zukunstsmöglichkeiten.
Außer von 11 -- 12 Millionen Bewohnern Hollands und Belgiens wird sie in
niederländisch-Jndien und ganz Südafrika gesprochen. Hier steht sie in einer
ähnlichen Abwehrstellung gegen das Englische wie in Belgien gegen das Fran¬
zösische. In Nordbelgien spricht bekanntlich nur das "Volk" Vlämisch-nieder-
ländisch, während die sogenannten besseren Kreise Vorliebe für das Französische
zeigen. Es gibt in Deutschland Uneinsichtige genug, welche meinen, dieser Streit
gehe uns Deutsche nichts an, nur die Interessen des Hochdeutschen seien von
uns zu vertreten. So gewiß es ist, daß die Reichsdeutschen ihre eigene Sprache
in erster Linie verteidigen müssen, so sollte doch kein Zweifel darüber auf¬
kommen, daß im Kampfe zwischen Französisch und Vlämisch die verwandte
Sprache unterstützt, die fremde zurückgedrängt werden muß. Eine solche Zurück¬
drängung ist allerdings nur dann möglich, wenn die Deutschen sich bemühen,


Grenzvoten IV 1916 2V
Das Niederländische im Sprachunterricht

Länder, für niederländisch sprechen am unmittelbarsten die belgische Frage und
die Übereinstimmung mit dem Vlämischen, aber auch noch andere Gründe. .

Bei der Vielheit der sich meldenden Ansprüche ist Maßhalten und plan¬
mäßiges Vorgehen geboten. Eine Grundvoraussetzung, um die Umwälzung in
der Auswahl sprachlichen Lernstoffes glücklich durchzuführen, ist die Beherzigung
des Satzes: Eines schickt sich nicht sür alle. Schultechnisch sollte daher nicht
zentralistisch, sondern föderalistisch verfahren werden. Das will sagen: bestimmte
Landesteile haben mit Hilfe ihrer Universitäten, höheren Lehranstalten oder
Spezialschulen solche besondere Aufgaben zu übernehmen, die ihrer geographischen
Lage und der Stammesart ihrer Bewohner gemäß sind. Die Ostmark kann
nicht dieselben Ziele verfolgen wie der industrielle Westen, die Ostseeküste hat
andere Interessen als die oberdeutschen Donauländer. So eingeschränkt ergibt
sich für das Niederländische als Fremdsprache ein natürliches Beschulungsgebiet:
West- und Nordwestdeutschland, etwa von Aachen bis Hamburg, in. a. W. die
alte Sprachzone des niederfränkischen und niedersächsischen Stammes.

Von allen Fremdsprachen steht das Niederländische dem Deutschen am
nächsten. In Rücksicht auf den Anklang an das Plattdeutsche hat man es sogar
schlechthin als niederdeutsch oder als den zur Schriftsprache entwickelten Zweig
des Niederdeutschen bezeichnet. Die nahe Verwandtschaft hat zu der Ansicht
verleitet, daß es ein leichtes sei, niederländisch zu lernen, ja daß es einer schul¬
mäßigen Erlernung garnicht bedürfe. Wäre wirklich eine Verständigung auf
Grundlage der Verwandtschaft so leicht möglich, so hätte zu Anfang des Krieges
vielleicht manches Mißverständnis verhindert werden können. Leider sind aber
auch heute noch unsere Offiziere und Beamten in Vlämisch-Belgien oft genötigt,
sich des Französischen als Vermittlungssprache zu bedienen, wenn sie eine ge¬
ordnete mündliche Verhandlung mit den Landeseinwohnern führen wollen. So
bedeutsam die Kenntnis des Plattdeutschen zur Erlernung und zum schulmäßigen
Studium des Niederländischen ist, im Verkehr reicht es unter Zuhilfenahme der
Zeichensprache nur zu einer Notverständigung aus.

Ohne Frage hat die niederländische Sprache große Zukunstsmöglichkeiten.
Außer von 11 — 12 Millionen Bewohnern Hollands und Belgiens wird sie in
niederländisch-Jndien und ganz Südafrika gesprochen. Hier steht sie in einer
ähnlichen Abwehrstellung gegen das Englische wie in Belgien gegen das Fran¬
zösische. In Nordbelgien spricht bekanntlich nur das „Volk" Vlämisch-nieder-
ländisch, während die sogenannten besseren Kreise Vorliebe für das Französische
zeigen. Es gibt in Deutschland Uneinsichtige genug, welche meinen, dieser Streit
gehe uns Deutsche nichts an, nur die Interessen des Hochdeutschen seien von
uns zu vertreten. So gewiß es ist, daß die Reichsdeutschen ihre eigene Sprache
in erster Linie verteidigen müssen, so sollte doch kein Zweifel darüber auf¬
kommen, daß im Kampfe zwischen Französisch und Vlämisch die verwandte
Sprache unterstützt, die fremde zurückgedrängt werden muß. Eine solche Zurück¬
drängung ist allerdings nur dann möglich, wenn die Deutschen sich bemühen,


Grenzvoten IV 1916 2V
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[0407] Das Niederländische im Sprachunterricht Länder, für niederländisch sprechen am unmittelbarsten die belgische Frage und die Übereinstimmung mit dem Vlämischen, aber auch noch andere Gründe. . Bei der Vielheit der sich meldenden Ansprüche ist Maßhalten und plan¬ mäßiges Vorgehen geboten. Eine Grundvoraussetzung, um die Umwälzung in der Auswahl sprachlichen Lernstoffes glücklich durchzuführen, ist die Beherzigung des Satzes: Eines schickt sich nicht sür alle. Schultechnisch sollte daher nicht zentralistisch, sondern föderalistisch verfahren werden. Das will sagen: bestimmte Landesteile haben mit Hilfe ihrer Universitäten, höheren Lehranstalten oder Spezialschulen solche besondere Aufgaben zu übernehmen, die ihrer geographischen Lage und der Stammesart ihrer Bewohner gemäß sind. Die Ostmark kann nicht dieselben Ziele verfolgen wie der industrielle Westen, die Ostseeküste hat andere Interessen als die oberdeutschen Donauländer. So eingeschränkt ergibt sich für das Niederländische als Fremdsprache ein natürliches Beschulungsgebiet: West- und Nordwestdeutschland, etwa von Aachen bis Hamburg, in. a. W. die alte Sprachzone des niederfränkischen und niedersächsischen Stammes. Von allen Fremdsprachen steht das Niederländische dem Deutschen am nächsten. In Rücksicht auf den Anklang an das Plattdeutsche hat man es sogar schlechthin als niederdeutsch oder als den zur Schriftsprache entwickelten Zweig des Niederdeutschen bezeichnet. Die nahe Verwandtschaft hat zu der Ansicht verleitet, daß es ein leichtes sei, niederländisch zu lernen, ja daß es einer schul¬ mäßigen Erlernung garnicht bedürfe. Wäre wirklich eine Verständigung auf Grundlage der Verwandtschaft so leicht möglich, so hätte zu Anfang des Krieges vielleicht manches Mißverständnis verhindert werden können. Leider sind aber auch heute noch unsere Offiziere und Beamten in Vlämisch-Belgien oft genötigt, sich des Französischen als Vermittlungssprache zu bedienen, wenn sie eine ge¬ ordnete mündliche Verhandlung mit den Landeseinwohnern führen wollen. So bedeutsam die Kenntnis des Plattdeutschen zur Erlernung und zum schulmäßigen Studium des Niederländischen ist, im Verkehr reicht es unter Zuhilfenahme der Zeichensprache nur zu einer Notverständigung aus. Ohne Frage hat die niederländische Sprache große Zukunstsmöglichkeiten. Außer von 11 — 12 Millionen Bewohnern Hollands und Belgiens wird sie in niederländisch-Jndien und ganz Südafrika gesprochen. Hier steht sie in einer ähnlichen Abwehrstellung gegen das Englische wie in Belgien gegen das Fran¬ zösische. In Nordbelgien spricht bekanntlich nur das „Volk" Vlämisch-nieder- ländisch, während die sogenannten besseren Kreise Vorliebe für das Französische zeigen. Es gibt in Deutschland Uneinsichtige genug, welche meinen, dieser Streit gehe uns Deutsche nichts an, nur die Interessen des Hochdeutschen seien von uns zu vertreten. So gewiß es ist, daß die Reichsdeutschen ihre eigene Sprache in erster Linie verteidigen müssen, so sollte doch kein Zweifel darüber auf¬ kommen, daß im Kampfe zwischen Französisch und Vlämisch die verwandte Sprache unterstützt, die fremde zurückgedrängt werden muß. Eine solche Zurück¬ drängung ist allerdings nur dann möglich, wenn die Deutschen sich bemühen, Grenzvoten IV 1916 2V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/407>, abgerufen am 22.07.2024.